Kosovos Premier Albin Kurti beim Unterschreiben des EU-Beitrittsantrags im Dezember 2012.

Foto: imago / /Vudi Xhymshiti

Albin Kurti, der am Donnerstag Wien besucht, sieht den Einfluss Russlands auf dem Balkan wachsen. Das sei auch bereits vor dem Ukraine-Krieg so gewesen. Im Gespräch mit dem STANDARD meint der kosovarische Premier, dass Serbien seit einem Jahr eine russische "Gubernjia" sei, also eine Provinz. Serbiens Neutralität sei vorgetäuscht. "Was mich aber mehr beunruhigt, ist die Neutralität des demokratischen Westen gegenüber der vorgetäuschten Neutralität Serbiens", so Kurti.

Serbien habe keine Sanktionen gegen Russland verhängt, den Krieg gegen die Ukraine nicht verurteilt, die serbisch-orthodoxe Kirche sei nicht mit der ukrainisch-orthodoxen Kirche solidarisch, sondern mit jener in Moskau. Zudem habe die serbische Regierung vergangenes Jahr drei wichtige Vereinbarungen mit Russland getroffen. Einmal ging es im Mai um billige Versorgung mit russischem Gas, dann im September um die Koordinierung der gemeinsamen Außenpolitik, und drittens sei der stärkste prorussische Politiker Aleksandar Vulin zum Chef des serbischen Geheimdiensts ernannt worden.

Slawische Bruderschaft

Kurti verweist im STANDARD auch auf die militärische Zusammenarbeit zwischen Serbien und Russland. Im Jahr 2021 hätten die beiden Staaten 91 gemeinsame militärische Aktivitäten geplant, aber sogar 104 durchgeführt. Die beiden bemerkenswertesten seien der "Slawische Schild" und die "Slawische Bruderschaft" gewesen. Kurti meint, dass es eine Komponente der panslawischen Hegemonie im Kreml gebe. Serbien werde vom Kreml als die am nächsten stehende Nation gesehen.

Serbien habe seit 2001 rund um den Kosovo 48 Operationsbasen errichtet. Die Nachtwölfe und Wagner-Söldner kurvten dort herum. Das sogenannte russische Humanitäre Zentrum in Niš, nur 160 Kilometer von der kosovarischen Hauptstadt Prishtina entfernt, sei "voller Spione und Agenten der Russischen Föderation", so Kurti. Zudem befinde sich eine regionale Basis für das russische Medium "Sputnik" in Belgrad. 56 Prozent der serbischen Ölindustrie gehörten der Gazprom, 51 Prozent der größten Gasspeicher in Südosteuropa gehörten ebenfalls der Gazprom.

MiG-29-Kampjets

Serbien habe zudem 40 MiG-29-Kampfjets, davon seien acht von Belarus und sechs von Russland gespendet worden. "Ende September 2021 stieg eine MiG-29 an der Grenze zum Kosovo in die Luft, gleichzeitig besuchte der russische Botschafter in Serbien, Alexander Bozan-Chartschenko, die kosovarische Grenze, um die serbischen Truppen zu inspizieren. Das war vor dem Krieg gegen die Ukraine", erzählt Kurti dem STANDARD.

Der Regierungschef verweist auch darauf, dass das letzte Treffen zwischen dem serbischen Präsidenten Aleksandar Vučić und Putin am 25. November 2021, drei Monate vor der Invasion in die Ukraine, stattgefunden habe. "Damals sprachen die beiden über den Norden des Kosovo, Vučić zeigte Putin den Norden des Kosovo auf einer Landkarte. Ein Teil der Verbindung zwischen Belgrad und Moskau ist also offensichtlich die Beschäftigung mit dem Norden des Kosovo", so Kurti.

Putin 2001 im Kosovo

Zuletzt war es genau dort wieder zu Protesten von Serben gegen das Vorgehen der kosovarischen Behörden gekommen. Kurti erinnert daran, dass manche Serben, die heute im Norden des Kosovo leben, ursprünglich gar nicht von dort waren. "1999, als uns die Nato befreite, stand Milošević vor einer Entscheidung: Sollte er einige Macht über die Serben im gesamten Kosovo haben oder alle Macht über manche Serben in einem Teil des Landes? Er hat sich für Zweiteres, für den Norden, entschieden und die Serben dorthin umgruppiert", so Kurti.

Putin sei zwei Monate nach dem Ende des Krieges im Kosovo an die Macht gekommen. "Als ich als Kriegsgefangener im Juni 1999 in einem serbischen Gefängnis saß, brachte ein gewisser Junus-bek Jewkurow 206 russische Soldaten aus Bosnien und Herzegowina in 30 bewaffneten Fahrzeugen hierher nach Prishtina, um am Flughafen die Nato auszubooten. Er traf dort den britischen General Sir Michael Jackson. Dieser sprach mit General Wesley Clark, der sagte, dass man die russischen Truppen loswerden sollte", erinnert er daran, dass auch im Kosovo russische Truppen stationiert waren.

Nato-Erfolgsgeschichte stört Putin

"Es wurde vereinbart, dass es keine operative militärische Zone für die Russen geben sollte, aber die Anzahl der Truppen wurde auf 605 erhöht, und sie blieben für vier Jahre. Am zweiten Jahrestag der Ankunft der russischen Truppen auf unserem Flughafen, am 17. Juni 2001, kam Wladimir Putin nach Prishtina", sagt Kurti. Er verweist darauf, dass Putin auch heute viel über den Kosovo spreche. "Putin redet jede Woche vom Kosovo, er ist besessen vom Kosovo. Er denkt, dass der Irak und Afghanistan Misserfolge waren, und er hasst es, dass der Kosovo eine Erfolgsgeschichte der Nato ist." Nur zwei Wochen nachdem Putin und Vučić im November 2021 zusammengetroffen seien, sei Junus-bek Jewkurow zur Nummer zwei in der russischen Armee, dem Stellvertreter von Verteidigungsminister Sergej Schoigu, ernannt worden.

Serbien selbst spielt nach Auffassung von Kurti "die Rolle Russlands auf dem Balkan". Serbien sehe den bosnischen Landesteil Republika Srpska so ähnlich, wie Russland seinen Nachbarn Belarus sieht – also als Region, die unter der eigenen Kontrolle steht. Und es gebe noch weitere Parallelen: Serbien sehe Montenegro so, wie Russland die Ukraine sieht, und den Kosovo so, wie Russland die Republik Moldau sieht. Der Norden des Kosovo spiele in diesem Bild die Rolle der abgespaltenen Region Transnistrien, die unter der Kontrolle Russlands steht. "Ich sage nicht, dass Serbien jetzt bereits wie Russland ist, aber es gibt die Absicht. Und diese Absicht ist kriminell."

Nur "vorübergehende Staaten"

In Serbien rede man gerne über den Status des Kosovo, aber eigentlich bleibe der Status von Serbien selbst unklar. "Das macht sie nervös, und diese Nervosität wird auf die umliegenden Nachbarstaaten projiziert. Serbien sieht Bosnien-Herzegowina, Montenegro und den Kosovo, sogar Nordmazedonien nur als vorübergehende Staaten, weil es hegemoniale, expansionistische Ambitionen hat", so Kurti zum STANDARD. "Nach dem Zerfall Jugoslawiens hat sich nur Serbien nicht mit dem eigenen Status abgefunden. Die Leute, die in Frieden und Wohlstand in Serbien leben wollen, werden nicht gehört, weil es keine Demokratie gibt." (Adelheid Wölfl, 12.1.2023)