Carles Puigdemont (Mitte) mit seinen zwei Anwälten bei einer Pressekonferenz in Sardinien vor über einem Jahr. Er lebt heute in Brüssel.

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Der im Brüsseler Exil lebende ehemalige Regierungschef der nordostspanischen Region Katalonien, Carles Puigdemont, wird seit Donnerstag von der spanischen Justiz nicht mehr wegen "Aufstands" gesucht, sondern nur noch wegen "Ungehorsams" gegenüber der Zentralregierung und "Veruntreuung öffentlicher Gelder". Ermittlungsrichter Pablo Llarena vom Obersten Gerichtshof in Spanien reagierte mit der Änderung des europäischen Haftbefehls auf eine Strafrechtsreform, die am Donnerstag in Kraft getreten ist. Darin wurde der Straftatbestand "Aufstand" gestrichen und durch "schwere öffentliche Unordnung" ersetzt. Auch der Haftbefehl für zwei Mitstreiter Puigdemonts, die sich in Brüssel beziehungsweise in Schottland aufhalten, wurden entsprechend geändert.

Puigdemont, der mittlerweile als Abgeordneter im Europaparlament sitzt, hatte mit seiner Regierung und der Zivilgesellschaft trotz Verbots aus Madrid am 1. Oktober 2017 ein Unabhängigkeitsreferendum in Katalonien abgehalten. Als die Zentralregierung seine Autonomieregierung des Amtes enthob und die Justiz begann, gegen die Mitglieder des katalanischen Kabinetts sowie mehrere Politiker und Aktivisten wegen "Aufstands" zu ermitteln, gingen Puigdemont und zwei seiner Minister ins Exil. Seither werden sie per europäischem Haftbefehl gesucht.

Neun katalanische Politiker und Aktivisten, die in Spanien blieben, wurden zu Strafen von bis zu 13 Jahren wegen "Aufstands" und "Veruntreuung öffentlicher Gelder" verurteilt. Die jetzige Linksregierung in Madrid unter dem Sozialisten Pedro Sánchez begnadigte sie 2021.

Ermittlungsrichter bedauert neues Strafrecht

Llarena, für den die Volksabstimmung mit über zwei Millionen Wählern und Wählerinnen bisher ein "Aufstand" war, sieht nun nicht einmal mehr "öffentliche Unordnung" gegeben. Er bedauert, dass die Gesetzesreform "einen Kontext nahe der Entkriminalisierung" schaffe, da das, was am 1. Oktober 2017 geschehen ist, jetzt nicht mehr vom Strafrecht abgedeckt sei.

Die Regierung Sánchez hatte das Strafrecht Ende 2022 geändert. Der Grund: Der Aufstandsparagraf war so nicht kompatibel mit den Rechtsnormen anderer EU-Länder. Weder Belgien noch Deutschland oder Schottland hatten Puigdemont und die beiden Mitstreiter aufgrund des europäischen Haftbefehls ausgeliefert. Sie wollten einfach keinen "Aufstand" in einer Volksabstimmung sehen.

Höchststrafe gesenkt

Auch der Straftatbestand der "Veruntreuung öffentlicher Gelder" wurde reformiert. Die Höchststrafe wurde von acht auf vier Jahre gesenkt, wenn keine persönliche Bereicherung vorliegt. Beim Abhalten eines Referendums mit öffentlichen Geldern ist persönliche Bereicherung wohl nicht gegeben.

Der Oberste Gerichtshof wird jetzt den Spruch gegen die 13 verurteilten Politiker und Aktivisten überprüfen und revidieren müssen. Und hunderte Beamte, die ebenfalls der Veruntreuung bezichtigt werden, weil sie etwa als Direktor ihre Schule als Wahllokal zur Verfügung gestellt hatten, dürfen ebenfalls mit geringeren Strafen rechnen. (Reiner Wandler aus Madrid, 12.1.2023)