Darf es eine Maske sein, eine Perücke oder doch besser eine Sturmhaube? Im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts wird Donnerstagvormittag alles in Bewegung gesetzt, was die österreichische Strafprozessordnung so hergibt. Denn der anonyme Zeuge soll endlich zum Reden gebracht werden.

Dieser ist über eine "Schalte" – gemeint ist eine Videokonferenz – aus der Slowakei zu sehen. Mit einer Art Nebel wird der Zeuge unsichtbar gemacht, seine Stimme zu einem comichaften Kichern verzerrt. Sichtbar ist nur der slowakische Richter auf der anderen Hälfte des eingespielten Bildes. Die Verteidigung wird unruhig. Das mag zwar nach slowakischer Rechtsordnung zulässig sein, wird betont, aber nicht in Österreich. Hierzulande verlangt man vehement nach einem "Mienenspiel".

Nichts gehört oder doch enttäuscht?

Der Mann hinter der Nebelwand ist einer der Verkäufer des slowakischen Waffengeschäfts, in dem sich der Jihadist K. F. im Sommer 2020 nach Munition für jenes Sturmgewehr erkundigt hatte, mit dem er nur wenige Monate später in der Wiener Innenstadt um sich schießen sollte.

Zu dem Geschäft chauffiert hat ihn Arijanit F. Der 23-jährige Kosovare ist einer von sechs Hauptangeklagten, die sich im Wiener Terrorprozess als mutmaßliche Beitragstäter verantworten müssen. Da die beiden jungen Männer keinen Waffenschein vorweisen konnten, war der Munitionskauf laut Anklage gescheitert.

Arijanit F. will von dem Ansinnen des späteren Attentäters in dem Waffengeschäft gar nichts mitbekommen haben. Dieser Version widersprachen die Verkäufer des Shops in einer früheren Einvernahme. Sowohl der spätere Terrorist als auch der nun Angeklagte hätten gemeinsam nach der speziellen Munition gefragt und seien schließlich enttäuscht von dannen gezogen. Es steht also Aussage gegen Aussage.

Der Prozess zum jihadistischen Terroranschlag vom 2. November 2020 läuft noch bis Anfang Februar. Dann sollen die Urteile gesprochen werden.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Doch vor Gericht kommt man mit den anonymen Zeugen einfach nicht ins Gespräch. Schon am Dienstag sagte eine der beiden Personen krank ab, als die "Schalte" schon stand.

Nun drängt der Verteidiger von Arijanit F. darauf, den Nebel zu lichten. Man möchte das "Mienenspiel" des Befragten erkennen, also das Verhalten des Zeugen bei der Einvernahme von einem weitestgehend sichtbaren Gesicht ablesen. Auch der Stimmverzerrer wird in dieser Form nicht akzeptiert. Das sieht die anwesende Staatsanwältin ebenso.

Der Richter in Österreich bietet dem Zeugen als Alternative an, sich beispielsweise zu maskieren oder eine Perücke zu tragen. Aus der Slowakei wird nach kurzer Beratung eine Sturmhaube vorgeschlagen, die zumindest Augen und Mund sichtbar machen würde. Bis die Haube "zugestellt" wird, wie es heißt, vergehen allerdings wieder etliche Minuten.

Dann wird das schwarze Stück Stoff, in dem im Wiener Straflandesgericht so viel Hoffnung liegt, etwas kurios präsentiert. Zunächst zieht sich eine unbekannte Person aufseiten der Slowakei die Haube über die Hand und streckt sie in Richtung Kamera, als sei es eine Handpuppe. Dann stülpt sich ein dort anwesender Polizist die Sturmhaube über den Kopf, taucht plötzlich hinter dem slowakischen Richter auf und führt sie den Zuschauerinnen und Zuschauern in Österreich in all ihrer Pracht vor.

Diese kurze Einlage reicht der Verteidigung von Arijanit F. trotzdem nicht. Am 19. Jänner wird es einen erneuten Versuch geben, mit den beiden Verkäufern ins Gespräch zu kommen. Der Richter will jedenfalls nicht mehr länger warten. Kommt es wieder zu Diskrepanzen modischer Natur, würde der Vorsitzende vorschlagen, die Öffentlichkeit und die Angeklagten von der Befragung auszuschließen. Dann müsste man sich für die Zeugen zumindest keine originelle Maskerade mehr einfallen lassen. Dem müsste der Zeuge aber erst einmal zustimmen. (Jan Michael Marchart, 12.1.2023)