"Schreibe einen Aufsatz über die Auswirkungen des Klimawandels auf deine Zukunft", "Fasse in 150 Wörtern den Inhalt von Faust zusammen" oder "Wie lautet die Lösung zu dieser Gleichung?" Solche Arbeitsaufträge gehören für viele Schülerinnen und Schüler zum Lernalltag. Doch immer häufiger werden derartige Aufgaben auch zum Job eines Roboters, der künstlichen Intelligenz Chat GPT des Softwareherstellers Open AI. Wer das Programm mit solchen Fragen füttert, erhält verblüffend menschenähnliche Antworten, da es sogar den Schreibstil der Nutzerinnen und Nutzer imitieren kann.

Seit seiner Veröffentlichung im November des Vorjahres sorgt Chat GPT für Diskussionen. Auch im Bildungssektor, wo die Debatte stark an jene erinnert, als Wikipedia Einzug in die Klassenzimmer hielt. Manche Lehrende sorgen sich, dass das Tool dazu einlädt, nicht mehr selbst die Hausaufgaben zu verfassen, nicht mehr kritisch nachzudenken, was wiederum negative Auswirkungen auf den Lernprozess habe. Andere sehen darin eine Chance – nämlich dass sich die Art, wie Wissen überprüft wird, ändert und neue Lerntechniken entstehen.

Kein Verbot

In den USA wurde das Tool bereits in Schulen in New York und Los Angeles verboten. Die International Conference on Machine Learning will keine wissenschaftlichen Artikel mehr annehmen, die mit der künstlichen Intelligenz verfasst wurden. Doch wie wird mit Chat GPT in den Schulen und Hochschulen hierzulande umgegangen?

Chat GPT verfasst Deutsch- oder Matheaufgaben. Die KI Midjourney übernimmt den Kunstunterricht – und erstellt auf Befehl Illustrationen wie diese.
Foto: Midjourney

"Es ist nicht sinnvoll, neue Technologien zu verbieten und die Schule davor abschotten", sagt Bildungsminister Martin Polaschek (ÖVP) auf STANDARD-Anfrage. Im Gegenteil sei es die Aufgabe der Schule, solche Technologien auch zum Unterrichtsinhalt zu machen. Das findet auch Alicia Bankhofer, die Englisch und digitale Grundbildung am Gymnasium Anton-Krieger-Gasse in Wien-Liesing unterrichtet. "Die Entwicklung ist positiv. Es wäre fatal, sie zu ignorieren. Wir sollten die Jugendlichen coachen, dass sie richtig damit umgehen können." Bei Tests erlaubt sie den Einsatz der KI zwar nicht, beim Lernen könnte sie aber helfen, um etwa Inhalte knapp zusammenzufassen.

Teil des Unterrichts

Bankhofer, die auch E-Learning-Koordinatorin an der Schule ist, hat bereits Materialien für Schülerinnen und Schüler, aber auch Lehrende erarbeitet. Aktuell bespricht sie im Unterricht, was Urheberrecht und akademische Integrität bedeuten – Punkte, die bei KI-Texten kritisch zu hinterfragen sind. Kommende Woche will sie darauf aufbauend künstliche Intelligenzen thematisieren und unterschiedliche Tools – darunter Chat GPT – vorstellen. Damit dürfte die Lehrerin für digitale Grundbildung und E-Learning-Koordinatorin eine der Ersten sein. Sie kenne eine Kollegin, die das Tool bereits einsetzt: "Das ist einfach noch zu neu", sagt Bankhofer. Nächste Woche soll es ein Infotreffen geben, wo sie ihr Kollegium über die Vor- und Nachteile aufklärt.

Bankhofer mache sich noch keine Sorgen, dass nun alle Schülerinnen und Schüler digitale Gruppenarbeiten mit der künstlichen Intelligenz verfassen. Zumal die Seite in den vergangenen Tagen – vermutlich wegen der vielen Zugriffe – die meiste Zeit über nicht aufrufbar war. Unterstufenklassen kannten Chat GPT jedenfalls noch nicht. In der Oberstufe sei das Tool schon ausprobiert worden. Einige nutzen es, etwa zur Recherche für die vorwissenschaftliche Arbeit oder um sich Dinge erklären zu lassen, sagt Kollegin Alexandra Wölfer, Lehrerin für Geschichte, Englisch und digitale Bildung.

Bekannt sei das Tool vor allem von Tiktok. So sieht man in einem Video zum Beispiel einen Jugendlichen, der Playstation spielt. Darüber steht: "Wenn du nur noch eine halbe Stunde bis zur finalen Abgabe des zehnseitigen Essays hast." Er steht kurz auf, tippt die Fragestellung in Chat GPT ein – schwupps, hat er die Hausübung binnen Sekunden erledigt und schon wieder den Playstation-Controller in der Hand.

Fake News erkennen

Das sehen Lehrende wie Bankhofer natürlich nicht gern. Und wie gut die Hausübung letztlich wirklich ist, ist fraglich. Geht es um weitverbreitetes, standardisiertes Wissen, liefert die künstliche Intelligenz relativ gute Antworten, die jenen von Schülern und Studierenden in nichts nachstehen. Doch sobald es komplizierter wird, versagt das Programm – noch. Und es klingt oft glaubwürdiger, als es ist: Die KI fabriziert mitunter Falschinformationen, erfindet Quellen und wissenschaftliche Studien, die es gar nicht gibt. Auch die Datenlage ist nicht hochaktuell: Derzeit greift Chat GPT auf Informationen bis 2021 zurück. All das wüssten viele Schüler nicht, erzählen die beiden Lehrerinnen.

Das kann eine Herausforderung für Lernende und Lehrende werden. Erstere sollten lernen, wie sie Fake News erkennen und Quellen prüfen, plädiert Safer Internet, eine Initiative für Medienkompetenz. Zugleich sammeln sie so neue Kompetenzen im Umgang mit KI, die in unserer künftigen Gesellschaft wichtig sein werden – nicht nur Rechercheskills, sondern etwa auch, wie man einen Bot befragen muss, damit er die richtigen Antworten gibt. Auch Lehrende sollten sich damit auseinandersetzen, findet Bankhofer: "Das zeigt den Kindern, dass wir uns auskennen. Dann haben sie nicht das Gefühl, sie könnten uns austricksen."

So verwenden Bankhofer und ihre Kollegin Wölfer den Bot, um den Unterricht zu gestalten – und können damit auch Routineaufgaben abgeben: Chat GPT erstellt Lückentexte für Englisch oder findet Beispiele für umstrittene Ländergrenzen für den Geschichteunterricht. Aus dem Bildungsministerium heißt es, dass Lehrende dabei "intensiv informiert und durch Fort- und Weiterbildung" unterstützt werden.

Schummeln erkennen

Dass Chat GPT zum Schummeln anregt, ist nicht auszuschließen. Doch Abschreiben ist grundsätzlich nichts Neues für den Bildungssektor. "Wer schummeln will, wird es tun", sagt Lehrerin Bankhofer. Nach ihrer Erfahrung kämen fünf von 25 Schülern auf die Idee, zu betrügen. Ein automatisierter Text gilt nicht als selbst erbrachte Leistung. Die rechtliche Einordnung als Plagiat ist laut Minister Polaschek "noch nicht ganz klar", da er ja aus Vorgängertexten aus dem Internet zusammengestellt wird. Insofern wäre der KI-Text ähnlich zu beurteilen wie einer, der von einem Ghostwriter geschrieben wurde.

Und woran erkennen die Lehrenden, dass das Referat von Chat GPT ausgespuckt wurde? Einerseits gibt es mittlerweile KI-Tools, die KIs aufspüren (mehr dazu in diesem Artikel). So hat beispielsweise ein Student der Princeton-Universität bereits die – auch umstrittene – App GPT Zero entwickelt, die erkennt, ob Chat GPT der Autor eines Textes ist. Ein Indiz ist auch, dass sich die Texte stark ähneln, weil die Nutzer den Bot mit gleichen Fragen füttern. Dazu kommt die "Beziehungsarbeit", sagt Lehrerin Bankhofer: "Wenn ich die Schüler kenne, kann ich einschätzen, wer wozu imstande ist. Kommt von einem schlechteren Schüler ein fehlerfreier Text, hatte er Hilfe – von einem Menschen oder Bot."

Darin liege aber auch die Chance, die Art, wie Wissen vermittelt und abgeprüft wird, zu modernisieren, betont Lehrerin Bankhofer: "Schule heißt nicht, nur Fakten abzuprüfen – so lernt man nicht nachhaltig. Es geht darum, das Wissen zu interpretieren. Das Verständnis dafür ist zwar da, aber die Alltagspraxis nicht – die Prüfungsformate und Hausübungen wurden bislang nicht dahingehend verändert." So könnten mündliche Prüfungen oder Fragen, die auf das Verständnis abzielen, eine Lösung sein. Sie überlegt, keine Aufsätze mehr als Hausübung zu geben. Zum Beispiel könnten die Jugendlichen ein kurzes Erklärvideo zum Klimawandel aufnehmen statt diesen in einem Text zu erörtern.

Chat GPT hat auch eine Meinung – obwohl die KI sagt, dass sie eigentlich keine eigenen Gedanken und Gefühle hat. Fragt man sie nach ihrer Position zu den Klimaprotesten, warnt sie davor: Sich auf die Straße zu kleben sei illegal. (Selina Thaler, 18.1.2023)