Eine Ehe, in der der Sex ausbleibt: Marcello Mastroianni und Claudia Cardinale in "Il bell’Antonio".

Foto: Filmmuseum

Sie suchen das schnelle Geld und ebenso spontanes Vergnügen. Ersteres wird dabei ordentlich verprasst. Drei mittellose Gauner streunen in Mauro Bologninis La notte brava (1960) durch Rom – einen Tag und eine rauschhafte Nacht lang. Es geht um das Einlösen einer Intensität, heute, ein paar Stunden zumindest, sollte es doch klappen!

Moral zählt wenig, Hedonismus bestimmt den Kurs. Die Begegnungen mit Frauen bleiben flüchtig – und Letztere den Männern dann nicht selten überlegen. Als drei Raubtiere werden sie von einem ungleich reicheren Müßiggänger einmal fast zärtlich beschrieben – das stimmt auch deshalb, weil sie ihrer eigenen Klasse nie entkommen werden.

Tomas Milian

Bolognini gilt zwar nicht als einer der ganz großen Namen des italienischen Kinos, aber kann auf ein vielseitiges, bis in die 80er-Jahre hineinreichendes Werk verweisen. Sein Drehbuchautor indes strahlt als ewiger Stern: Pier Paolo Pasolini, dessen Roman Raggazi di vita dem Film als lose Vorlage diente. Bolognini, selbst Kommunist und homosexuell – anders als Pasolini mehr im Geheimen –, spielte eine wichtige Rolle darin, den Schriftsteller und Intellektuellen für das neue Medium zu begeistern.

Ihre gemeinsam realisierten Filme spiegeln auch das geteilte Interesse für die depravierte Jugend wider. La notte brava ist dafür ein gutes Beispiel. Mit dem jazzigen Score, der luftigen, rhythmischen Eleganz, vor allem den attraktiven Darstellerinnen wie Jean-Claude Brialy, Anna Maria Ferrero und Laurent Terzieff entsprach er dem Bild des "rosa Neorealismus", der die Erneuerungsbewegung des Nachkriegskinos mit etwas mehr Aufputz (und Kommerzialität) versorgt hat.

Pasolini war das fast zu viel an Schauwerten, aber er respektierte seinen Freund, der ihm auch zu seinem Debüt Accattone (1961) verhalf. Darin besetzte er den Part des "Schmarotzers" dann aber mit Franco Citti, einem echten Kind der Vorstädte.

Skandale und untreue Partisanen

Das Filmmuseum stellt in seiner großen Retrospektive nun drei "Hundertjährige" zueinander in Beziehung, neben Pasolini und Bolognini auch den ebenfalls 1922 geborenen Carlo Lizzani. Einen paradigmatischen "auteur" wie Pasolini mit zwei weniger bekannten Regisseuren zu begleiten, wirkt auf den ersten Blick ungewöhnlich. Schließlich haben nur wenige andere eine eigene Theorie eines transnationalen Kinos formuliert, um dieses dann schrittweise zu radikalisieren, bis hin zu "Skandalen" wie Porcile (1969) und Saló (Die 120 Tage von Sodom), die gegen bürgerliche Herrschaft und den Konsumismus polemisierten.

Die kuratorische Ergänzung ist schon deshalb lohnend, weil sie Pasolini um ein kulturelles Umfeld ergänzt, in dem er sich später nochmals neu erfinden konnte. In Lizzanis Ilgobbo (1960) übernahm er den Part eines Widerstandskämpfers, der nach der Folter der Faschisten seine Hand und Würde verliert und sich in einen kaltherzigen Zuhälter verwandelt. Der Film ist kein ungebrochenes Heldenlied auf den Widerstand, im Gegenteil: Lizzani zeichnet das Porträt einer Gesellschaft, in der es keine dauerhaften Allianzen gibt. Der Franzose Gérard Blain spielt den "Buckligen", einen Partisan, der seine Außenseiterrolle mit feurigem Temperament kompensiert und nach dem Einmarsch der Alliierten in die Kriminalität abdriftet.

Verwerfungen der Industrialisierung

Ästhetisch trennt Lizzani und Pasolini einiges, doch in beiden Werken herrscht derselbe Druck. Die Erfahrungen des Krieges müssen mit der überstürzten Verwandlung Italiens in eine Industrienation abgeglichen werden. Während Pasolini in mythopoetischen Filmen wie Edipe Re seiner Suche nach dem verlorenen "einfachen Volk" nachging, inszeniert Lizzani beinharte Genrefilme wie Banditi a Milano (1968). Der Bankräuber (Gian Maria Volonté) ist bei ihm zugleich manischer Antiheld wie verbitterter Partisane. Er tarnt sich als Unternehmer, holt sich "sein" Kapital dann aber lieber mit der Handfeuerwaffe.

Ähnliche Linien kann man auch zwischen Bolognini und Pasolini ziehen. Il bell’Antonio (1960), in dem just Marcello Mastroianni einen impotenten Liebhaber verkörpert, ist ein zwischen Komik und Wehmut changierender Film über eine Männlichkeit, die wie eine harte Währung funktioniert. Pasolini, der auch hier das Drehbuch mitschrieb, ging später den umgekehrten Weg über die Straße: In einem seiner schönsten Filme, Comizi d’amore (1963), fragt er die Italienerinnen und Italiener über ihr Verhältnis zu Liebe und Sex – und findet in den Antworten den Umbruch. (Dominik Kamalzadeh, 13.1.2023)