Helga Krismer glaubt, dass die Bevölkerung seit dem Ukraine-Krieg anders über Windräder denkt.

Foto: heribert corn

Vor fünf Jahren befanden sich die niederösterreichischen Grünen und ihre Landessprecherin Helga Krismer im Tal der Tränen: Die Bundespartei war aus dem Nationalrat geflogen, die Landespartei finanziell schlecht aufgestellt. Für die kommende Landtagswahl am 29. Jänner fühlt sich Krismer hingegen bestens gerüstet. In Umfragen stehen die Grünen bei sieben Prozent.

STANDARD: Frau Krismer, wie gut können Sie mit Johanna Mikl-Leitner?

Krismer: Mit Johanna Mikl-Leitner als Person habe ich ein freundliches Verhältnis. Mit ihr als politisches Gegenüber – das kann ich sehr schwer beurteilen, weil wir auf dieser Ebene wenig miteinander zu tun haben. Sie scheut den Dialog.

STANDARD: Wenn die ÖVP die absolute Mehrheit im Landtag verliert, könnte sie eine Partnerin brauchen.

Krismer: Mich treibt um, wie man das Land gut weiterbringt. In den nächsten fünf Jahren wird das Klimabudget Niederösterreichs verbraucht sein. Alles, wo sich die Grünen einbringen können, ist also gut.

STANDARD: Lebt Ihre Hoffnung auf einen Sitz in der Landesregierung? Weil in Niederösterreich der Proporz gilt, würde Ihnen ab einer gewissen Stimmenstärke einer zustehen.

Krismer: Wir möchten möglichst viele Menschen davon überzeugen, dass Klima und Energie Überlebensfragen sind. Wenn die Zustimmung ausreicht, dass man in die Landesregierung hineinkommt, dann freut es mich. Schon bei der ersten Sitzung werde ich aber einen Antrag stellen, das Proporzsystem abzuschaffen.

STANDARD: Aktuell können Sie ja keine Anträge stellen, weil Sie nur drei Landtagssitze haben. Dafür bräuchten Sie vier Mandate. Haben Sie die Wahl verloren, wenn Sie diese Hürde nicht schaffen?

Krismer: Die Frage ist ja: Wer hat dann verloren? Es würde schwieriger werden, diese großen Themen in Niederösterreich weiterzubringen. Wir haben jetzt Jahrzehnte der Ignoranz hinter uns. Wenn es nicht genug Kraft für uns gibt, mache ich mir wirklich Sorgen um Niederösterreich. Dieses Land hat so viel Energie: nicht nur Wind, Sonne und Biomasse, sondern auch innovative Betriebe. Die Menschen sind so viel weiter als ÖVP, SPÖ und FPÖ.

STANDARD: Sie fordern 330 neue Windkraftwerke. Da werden einige Leute Windräder vor der Haustür haben, die sie nicht wollen. Muss man über Leute drüberfahren, um das Klima zu retten?

Krismer: Die Einstellung bei den Menschen gegenüber Windrädern hat sich seit Putins Angriffskrieg auf die Ukraine verändert. Die Landesregierung will bis 2030 acht Terawattstunden Strom aus Wind produzieren – derzeit stehen wir bei vier. Die ÖVP ist immer großartig im Ziele-Vorgeben, aber dann wird nicht geliefert. Wir brauchen größere und neue Zonen. Und es braucht eben Verhandlungen mit der Zivilgesellschaft.

STANDARD: Sie glauben, 330 neue Windräder gehen ohne Widerstand?

Krismer: Demokratie braucht Widerstand. Es geht immer darum, Interessen auszugleichen. Alle Menschen, die mitdenken und in die Zukunft mitgehen wollen, werden sagen: Wir werden 330 zusätzliche Windkraftanlagen in Niederösterreich sehr gut vertragen.

STANDARD: Hat das Einfamilienhaus auf dem Land als Lebenskonzept eine Zukunft?

Krismer: Ich gehöre nicht zu denen, die Lebenskonzepte vorschreiben. Viele wollen gar kein eigenes Haus mehr, andere wünschen es sich, weil sie dann die Möglichkeit haben, eine Wärmepumpe oder eine Photovoltaikanlage zu installieren. Das Einfamilienhaus wird in Niederösterreich weiterhin seine Berechtigung haben. Aber – und dafür werde ich mich einsetzen – in einer fast autarken, modernen Form.

"Wir müssen Strukturen verändern. Aber es geht wirklich nicht um Verbote, sondern um Angebote", sagt Helga Krismer.
Foto: heribert corn

STANDARD: Müsste man den Menschen nicht ehrlicherweise sagen: Auch im bestmöglichen Öffi-System wird auf dem Land nicht alle zehn Minuten ein Bus fahren? Dass es durch die Mobilitätswende auch einen Bequemlichkeitsverlust geben wird?

Krismer: Die Frage ist, was für wen bequem ist – das kann ich niemandem vorschreiben. Das Land muss die Möglichkeit schaffen umzusteigen. Das ist vielleicht kein Takt von zehn Minuten, aber eine halbe Stunde sollten wir schaffen – ganztägig. Für die sogenannte letzte Meile zwischen Bushaltestelle und Haustür gibt es tolle Konzepte. Ich weiß, wovon ich spreche: Wir haben in Baden (wo Krismer Vizebürgermeisterin ist, Anm.) eine europaweite Ausschreibung gemacht. Das kostet die Stadt 450.000 Euro, dafür bieten wir Rad, Scooter und Carsharing an – das muss Politik leisten.

STANDARD: Sie wollen offensichtlich nicht in die altbekannte "Grüne Verbotspartei"-Falle tappen. Aber kann man wirklich mit Angeboten genug Menschen zu einem Umstieg bewegen, um die Klimaziele zu erreichen?

Krismer: Den Grünen kann man nicht vorwerfen, dass sie nicht Veränderung auf allen Ebenen betreiben würden. Wir müssen Strukturen verändern. Aber es geht wirklich nicht um Verbote, sondern um Angebote.

STANDARD: Sie sitzen jetzt seit 20 Jahren im Landtag. Wie lange bleiben Sie noch Chefin der Grünen Niederösterreich?

Krismer: Na, das sind Fragen heute! Ich habe immer gesagt, dass ich Landessprecherin bleibe, wenn die Partei mit meiner Arbeit zufrieden ist. Den Eindruck hatte ich zuletzt schon. Ich habe mich noch nie für eine politische Funktion aufgedrängt. Mir ist es bis heute wirklich alles passiert. (Sebastian Fellner, 13.1.2023)