Israels neue Regierung sei auf dem besten Weg, "das Justizsystem zu zerstören". Dieser Warnruf kommt nicht von Oppositionsparteien, sondern von sämtlichen noch lebenden früheren Generalstaatsanwälten des Landes. Die Juristen, die teilweise dem Lager von Ministerpräsident Benjamin Netanjahu zugerechnet werden, haben in seltener Einigkeit einen offenen Brief veröffentlicht. Darin rufen sie die Regierung auf, ihr Programm für einen radikalen Umbau des Justizsystems fallen zu lassen.

In Tel Aviv wird gegen die Pläne Netanjahus demonstriert. "Der Oberste Gerichtshof schützt uns alle", steht da.
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"Wir waren schockiert, als wir von den Plänen des Justizministers hörten", schreiben die Juristen. Die neue Regierung wolle den unabhängigen Obersten Gerichtshof "in eine quasipolitische Einrichtung verwandeln". Die Reform erlaube der Koalition, "jeden Akt dieser Regierung zu legalisieren – egal, wie falsch oder schädlich er sein mag." Protestrufe gegen das Justizpaket wurde am Donnerstag auch auf der Straße laut. Hunderte Juristen demonstrierten vor Israels Gerichten, Justizangestellte legten für eine Stunde die Arbeit nieder.

Regierung unverdrossen

Die Regierung ist dennoch entschlossen, den Rechtsstaat radikal umzubauen. Sie will den Obersten Gerichtshof entmachten. Dessen Kompetenz, Gesetze zu überprüfen und zu garantieren, dass sie im Einklang mit den Grundrechten stehen, wird de facto ausgehebelt.

Zwar können die Höchstrichter auch weiterhin Gesetze prüfen. Aufheben können sie diese aber nur, wenn es ihnen gelingt, binnen dreißig Tagen die volle Besetzung von 15 Höchstrichtern zusammenzutrommeln und einen Entschluss zu fällen. Bisher reichte dafür eine einfache Mehrheit, künftig müssen sich 80 Prozent der Höchstrichter für die Aufhebung des Gesetzes aussprechen. Sollten also nur drei Höchstrichter anderer Meinung sein, kommt kein Aufhebungsbeschluss zustande. Selbst dann, wenn das Höchstgericht alle diese Hürden überspringt und die Gesetzesnovelle disqualifiziert, kann das Parlament den Gerichtshof immer noch "überstimmen". Dafür reicht dann eine einfache Stimmenmehrheit. Darüber hinaus will die Regierung künftig auch bestimmen, wer Höchstrichter wird.

Mikrofone abgedreht

Man muss in Israel lange suchen, um namhafte Juristen zu finden, die das Reformpaket nicht kritisieren. Die Regierung beruhigt: Man könne ja über alles diskutieren, die Opposition sei zur Debatte eingeladen. Wie das in der Praxis abläuft, zeigte sich im Verfassungsausschuss des Parlaments. Als Abgeordnete der Opposition lautstark das Wort ergriffen, drehte ihnen der Ausschussvorsitzende, Simcha Rotman von der rechtsextremen Partei Religiöse Zionisten, die Mikrofone ab.

In einem Radiointerview verteidigte Rotman die Justizreform: "Das einzige Recht, das hier verletzt wird, ist das Recht, dieses Land zu regieren, ohne gewählt geworden zu sein." Das ist der Spin, den die Rechtsparteien seit Jahren einsetzen, um Stimmung gegen die Justiz zu machen: Die Richter hätten zu viel Macht und würden diese gegen den Willen des Volkes gebrauchen.

Geringe Macht

Tatsache ist, dass die Gerichte in Israel sogar relativ wenig Macht haben. Das Höchstgericht kann zwar überprüfen, ob ein Gesetz grundrechtswidrig ist oder nicht. Das Parlament kann das Grundrecht aber mit einfacher Stimmenmehrheit ändern. Eine geschriebene Verfassung gibt es nicht, auch muss die Regierung selbst bei einem Gesamtumbau der Demokratie kein Referendum abhalten. Die Koalition kann mit ihrer Stimmenmehrheit schon jetzt relativ weit gehen.

Eine extreme Maßnahme schlug zuletzt Zvika Fogel, ein Abgeordneter der rechtsextremen Partei Jüdische Kraft, vor: Man solle bestimmte Oppositionspolitiker am besten ins Gefängnis sperren, forderte er. (Maria Sterkl aus Jerusalem, 12.1.2023)