Seán Binder umarmt einen Unterstützer vor dem Gerichtsgebäude auf Lesbos.

Foto: ELIAS MARCOU / Reuters

Vier Jahre hat es gedauert, bis sich die 24 Flüchtlingshelfer auf der griechischen Insel Lesbos vor Gericht verteidigen konnten. Und dann platzte der Prozess schnell. Am Freitag beantragte die Staatsanwaltschaft, dass das Verfahren – zumindest gegen die internationalen Seenotretter – eingestellt wird, die Anklage wegen Spionage aufgehoben wird. Und die Richterinnen folgten dem Antrag.

Einer der Gründe dafür war, dass den Betroffenen die Anklageschrift nicht übersetzt zugestellt worden ist. Außerdem waren sie in ebenjener nicht mit Namen identifiziert, sondern tauchten nur als nicht zuordenbare Nummern im Dokument auf.

Die Richterinnen folgten der Staatsanwaltschaft.

Das bedeutet einen ersten Sieg für die Seenotretter – allen voran die bekannten Gesichter Seán Binder und Sarah Mardini, die für die Hilfsorganisation Emergency Response Center International (ERCI) tätig waren. Mardinis eigene Fluchtgeschichte von Syrien übers Mittelmeer wurde von Netflix unter dem Titel "Die Schwimmerinnen" erst kürzlich verfilmt.

Fraglicher Spionagevorwurf

Doch das bedeutet noch immer nicht, dass das "Damoklesschwert" einer Verurteilung, wie Binder in Interviews sagte, verschwunden ist. Denn in diesem Prozess ging es um die vergleichsweise nicht so schwerwiegenden Vorwürfe gegen die Helferinnen und Helfer. Die illegale Nutzung von Funkfrequenzen etwa – wobei die Seenotretter angeben, dass sie die sowieso offene Notruffrequenz verwendet hätten. Oder den Vorwurf der Spionage, weil die griechischen Behörden den Flüchtlingshelferinnen und -helfern vorwerfen, dass sie über ein "verschlüsseltes Nachrichtenprogramm" kommuniziert hätten, um die Standorte der havarierten Boote zu prüfen. Die Rede ist von Whatsapp.

Der Spionagevorwurf wurde am Freitag gleich zu Beginn des Prozesstages mit vielen Fragezeichen versehen. Denn dieser setzt voraus, dass die Angeklagten zuerst wegen der Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung verurteilt werden. Und diese schweren Vorwürfe – aufgrund derer die griechischen Behörden ebenfalls gegen die 24 Seenotretterinnen und -retter ermitteln – haben es noch nicht vor Gericht geschafft. Das könnte noch Jahre dauern und lässt das "Damoklesschwert" weiter über den Betroffenen schweben. (Bianca Blei, 13.1.2023)