Müdigkeit, die in den Knochen steckt: Die Hustle-Kultur ist für den menschlichen Körper oft nicht das Gesündeste.
Foto: Westend61

Wenn ich über Müdigkeit schreibe, meine ich nicht die Art von müde, die man mit einer extra Nacht Schlaf wieder ausgleichen kann. Sondern ich meine die Art von müde, die in den Knochen sitzt und dafür sorgt, dass abends nichts mehr geht außer Tiefkühlpizza und Netfix. Ich war so müde, dass ich sogar einen richtig guten Job gekündigt habe. Weil ich nicht mehr konnte. Weil ich ausgebrannt war. Von der Arbeit. Vom Streben nach immer mehr Produktivität. Von meiner "Karriere". Von der Welt um uns herum. Und ganz besonders von all den Krisen. Unsere Welt steht in Flammen, im wahrsten Sinne des Wortes. Und wir? Brennen aus, um bloß keine Deadline zu reißen. Was zur Hölle machen wir da eigentlich? Warum tun wir uns das an?

Eigentlich dachte ich, dass ich richtig gut bin im Arbeiten. Ich komme aus einer Familie, in der alle immer viel gearbeitet haben: an der Kasse, im Autohaus, bei McDonald’s. Ich habe früher mein Geld mit Babysitten verdient, bin in den Semesterferien an der Kasse gestanden, habe ein Praktikum nach dem anderen gemacht, nebenbei in einer Marketingfirma gejobbt. Ich wusste, dass ich nicht erben würde und dass meine Eltern mich finanziell nur wenig unterstützen konnten. Wenn ich beruflich vorankommen wollte, dann musste ich besser sein und mehr arbeiten als andere. Irgendwann landete ich auf dieser "Karriereleiter", wurde Wirtschaftsredakteurin, später Redaktionsleiterin. Auf dem Papier sah alles perfekt aus. Aber innen drin hat es sich oft ganz anders angefühlt.

Selfcare-Stress

Ich dachte damals, dass es an mir liegt: dass ich das mit dem Meditieren endlich mal hinkriegen sollte. Oder diese Tricks von erfolgreichen CEOs ausprobieren: Um 4.30 Uhr aufstehen, ein Glas warmes Wasser trinken, joggen gehen, und dann von sechs Uhr morgens bis zehn Uhr abends am Laptop sitzen. Vielleicht müsste ich auch einfach nur häufiger im Wald spazieren gehen. Self Care ist schließlich die Lösung für alles. Das wurde uns zumindest immer suggeriert: Wenn du gestresst bist, dann liegt es an dir. Du musst dich nur mehr anstrengen, dein Mindset ändern und endlich Inbox Zero achieven, wie die Start-up-Szene es formulieren würde.

Heute weiß ich, dass das alles Bullshit ist. Nicht wir funktionieren nicht gut genug, sondern unsere Arbeitswelt ist kaputt. Das macht uns krank: Wir sind müde, ausgebrannt, gestresst. Und wir beginnen, die Realität zu erkennen: Self Care und Hustle-Kultur bringen uns nicht weiter. Es hilft niemandem, wenn wir so viel arbeiten, dass wir ausbrennen und uns am Ende noch dafür feiern. Wir werden es nicht besser haben als unsere Eltern, wenn wir uns nur genug anstrengen, denn dieses Versprechen wurde längst gebrochen. Wir haben versucht, die Müdigkeit zu ignorieren und weiterzumachen in der Hoffnung, irgendwann auf der anderen Seite herauszukommen. Wir dachten, dass wir die Einzigen sind, die sich so fühlen. Dass es ein individuelles Problem ist. Dabei ist es ein systemisches Problem, das uns alle ins kollektive Burnout führt. (…)

Sara Weber sieht Arbeitsverdichtung.
Foto: Maya Claussen

Burnout als Ehrenorden

Burnout wird immer noch oft als Ehrenorden gesehen, den man verliehen bekommt, wenn man hart genug gearbeitet hat. Du bist ausgebrannt? Dann hast du alles richtig gemacht, herzlichen Glückwunsch. Das ist eine der Sachen, die wir uns aus den USA abgeschaut haben, dem Land, aus dem mein Vater kommt und das meine zweite Heimat ist. Dieses Abschauen gilt auch für viele andere Aspekte von Arbeit: Wenn in den schicken Silicon-Valley-Büros mit ihren Tischkickern alle nur von Produktivität reden und so Milliarden machen, dann kann das ja nicht so falsch sein. Was wir dabei ignoriert haben, ist das kaputte System der USA, das ohne bezahlte Elternzeit auskommt, wo Krankenversicherung teuer und an den Job gekoppelt ist und es kaum Rechte für Arbeitnehmer*innen gibt. Genau deshalb werde ich in diesem Buch auch immer mal wieder in die USA blicken: Weil wir dort Ideen und Chancen für die Zukunft von Arbeit sehen, die eine Strahlkraft über das Land hinaus haben können. Und auch, weil wir dort sehen, was alles richtig schlecht läuft. So wie bei der Kultur der Überarbeitung. Jetzt fliegt uns das alles um die Ohren.

Burnout ist nichts, worauf man stolz sein sollte. Burnout hat gesundheitliche Folgen, die sich sogar in der Struktur des Gehirns zeigen. Burnout kann zu hohem Cholesterinspiegel und Diabetes führen, zu Herz- und Kreislauferkrankungen, Schmerzen des Bewegungsapparats, verändertem Schmerzempfinden, anhaltender Müdigkeit, Kopfschmerzen, zu Atemwegs- und Magen-Darm-Problemen, Schlaflosigkeit, depressiven und psychischen Störungen. Burnout kann dich ins Krankenhaus bringen – oder sogar zu früh sterben lassen. (…)

Psychische Überlastung

Burnout ist offiziell keine eigenständige Krankheit. Stattdessen hängt es oft mit anderen psychischen Erkrankungen wie Depressionen und Angststörungen zusammen. Sie sind es auch, die häufig auf der Krankmeldung stehen, wenn Menschen ausgebrannt sind. Die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen sind in den vergangenen zehn Jahren stark angestiegen. Vor allem Depressionen, Anpassungs- und Angststörungen führen heute zu mehr Fehltagen. Von Anpassungsstörungen spricht man, wenn Menschen auf eine besondere Situation oder große Veränderung mit psychischen Beschwerden reagieren. Typischerweise sind das Trennungen oder die Geburt eines Kindes. Aber auch eine globale Pandemie zählt dazu.

Gleichzeitig ist eine Krankschreibung etwas, das viele Menschen zu vermeiden versuchen. Sie sind zwar krank, aber sie arbeiten weiter, als wäre nichts. Das gilt ironischerweise vor allem für diejenigen, die besonders kaputt sind: Die Hälfte der Personen, die eine besonders hohe Belastung am Arbeitsplatz spüren, haben in der ersten Jahreshälfte 2021 eine Woche oder mehr gearbeitet, obwohl sie krank waren. (…) Es ist fast, als dürfte man sich in der Arbeitswelt keinerlei Schwächen zugestehen. Der Sozialpsychologe Devon Price nennt das die Laziness Lie: die Faulheitslüge. Wir haben Schuldgefühle, wenn wir "nicht genug" tun – und arbeiten uns krank.

Wir lügen uns in die Tasche, indem wir behaupten, dass wir faul sind, wenn wir nicht jede Sekunde des Tages produktiv verbringen. "Die meisten von uns fühlen sich die meiste Zeit müde, überfordert und enttäuscht von sich selbst", schreibt Price. "Egal wie viel wir erreicht haben oder wie hart wir gearbeitet haben, wir glauben nie, dass wir genug getan haben, um zufrieden oder mit uns im Reinen zu sein. Wir finden nie, dass wir eine Pause verdient haben. Also arbeiten wir weiter, als wäre nichts geschehen. (…)

Sara Weber, "Die Welt geht unter, und ich muss trotzdem arbeiten?". € 18,– / 240 Seiten. Kiwi, 2023.
Kiepenheuer & Witsch

Workaholic-Kultur

Diese Workaholic-Kultur und die damit einhergehende Überarbeitung ist einer der Hauptgründe dafür, dass Menschen ausbrennen. Arbeit verdichtet sich: Tätigkeiten, für die es früher einzelne Jobs gab, werden heute oft in eine Stelle gepresst. Die Arbeitslast steigt. Alle wollen die eierlegende Wollmilchsau. Ich erinnere mich noch daran, wie uns in der Journalistenschule eingebläut wurde: Ihr müsst alles können, schreiben, Audio aufnehmen und schneiden, Video selbst drehen, Videos schneiden. Social Media auch, eh klar, ihr seid ja jung. Aber dass nicht alle Praktikant*innen automatisch auch Tiktok-Superstars sind, nur weil ein bestimmter Jahrgang bei ihnen im Ausweis steht, interessiert in der Personalabteilung niemanden. All diese Anforderungen, von denen mir in der Journalistenschule erzählt wurde, habe ich letztens in einer Stellenausschreibung eines großen Medienhauses gesehen. Außerdem war dort gefragt: eine Menge Erfahrung. Die Stelle war eine Präsenzstelle, befristet auf ein Jahr. Diese Ausschreibung ist kein Einzelfall.

Viele Unternehmen wollen, dass ihre Beschäftigten alles können. Im Gegenzug gibt es zwar ein Gehalt, aber keine Sicherheit oder Weiterentwicklungsmöglichkeiten. Bei Computern sprach man lange von Moore’s Law: Durch die stetige Entwicklungsarbeit in der Elektronikindustrie verdoppelt sich die Anzahl von Transistoren in einem dichten integrierten Schaltkreis alle zwei Jahre. Oder anders gesagt: Ein Laptop, den ich heute kaufe, ist doppelt so schnell wie einer, den ich vor zwei Jahren bekommen hätte – und kostet nur noch die Hälfte. Das galt zumindest die letzten Jahre noch. Ein Freund schrieb mir kürzlich, dass er genau daran im Kontext seiner Arbeit denken musste: "Wann zur Hölle bin ich ein Computer geworden?", fragte er. Seit wann gilt die Logik von Moore’s Law nicht mehr nur für unsere Laptops, sondern auch für die Menschen, die mit ihnen arbeiten? Unsere Arbeitsproduktivität steigt immer weiter an, selbst in den ersten beiden Corona-Jahren. Aber wie lange soll das noch so weitergehen? Moore’s Law hat sich bereits verlangsamt, aber bei uns Menschen scheint die Geschwindigkeit eher noch anzuziehen.

Arbeitsverdichtung und Personalmangel

Wir sehen diese Arbeitsverdichtung nicht nur in Büros und bei der sogenannten Wissensarbeit, sondern auch in Branchen, die schon lange massiv unter Personalmangel leiden: in der Pflege, in der Erziehung, in der Lehre. Vier von zehn Mitarbeiter*innen in Erziehungs- und Sozialberufen spüren eine Mehrbelastung aufgrund von Personalmangel. Im Verkauf trifft das auf mehr als die Hälfte der Beschäftigten zu, in der Pflege auf fast zwei Drittel. Teams wurden kleingespart, und die Überarbeitung wurde damit in Kauf genommen. Schon 2019 haben 70 Prozent der Arbeitnehmer*innen gesagt, dass ihre Arbeitsbelastung in den letzten fünf Jahren zugenommen habe. Seit Beginn der Corona-Pandemie hat sich das noch mal verschärft. Es ist für viele Menschen unmöglich geworden, ihre Arbeit in der vorgegebenen Zeit zu schaffen. Also schieben sie Überstunden. Viele Menschen können nach der Arbeit nicht mehr richtig abschalten – und die Mails, die Vorgesetzte abends und am Wochenende schicken, helfen dabei auch nicht. (…)

Dazu kommen Faktoren, die erst mal nichts mit dem Job zu tun haben, aber unser Leben – und damit unsere Arbeit – trotzdem beeinflussen. Einer davon war in den vergangenen Jahren Angst. Mit der Corona-Pandemie kam die Angst vor Ansteckung, vor Krankheit und davor, die eigenen Eltern zu umarmen. Dann kam die Angst, den Job zu verlieren und dass das Geld nicht zum Heizen reicht. Die Angst vor der Klimakrise, vor dem Krieg. Angst, das alles nicht mehr zu schaffen. (Sara Weber, 13.1.2023)