Das Noma galt lange als das beste Lokal der Welt.
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Es sorgte für einiges an Aufsehen in der globalen Kulinarik-Community, als vor kurzem bekanntgegeben wurde, dass das Kopenhagener Restaurant Noma 2024 schließen wird. Schließlich gilt das Lokal als Musterbeispiel für zeitgenössisches Fine Dining. Was bedeutet es für andere Gourmettempel, wenn das "beste Restaurant der Welt" zusperrt?

Selbstverständlich ist das Noma nicht das beste Restaurant der Welt – und ist es auch nie gewesen. Aus dem einfachen Grund, weil es so etwas wie ein bestes Restaurant der Welt gar nicht geben kann. Das bestätigte selbst René Redzepi, der Gründer und Betreiber, als er vor bald 13 Jahren, kurz nachdem sein Kopenhagener Lokal zum ersten Mal den gleichermaßen abstrusen wie prestigereichen Titel einheimste (in Folge sollte ihm das Kunststück satte vier weitere Male gelingen), auf Nachfrage des STANDARD sagte: "Das wäre ja gerade so, wie wenn man eine Farbe zur schönsten von allen erklärte."

Unbestritten ist indessen, wenn es denn unbedingt Superlative braucht, dass das Noma zu den berühmtesten und zugleich einflussreichsten Restaurants des 21. Jahrhunderts, ja aller Zeiten gezählt werden kann.

René Redzepi, Chef des Spitzenlokals Noma.
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Mit ihm läutete Redzepi das Zeitalter der nordischen Küche mit ihrem quasi dogmatischen Natur- und Regionsbezug ein. Das Prinzip selbst war so neu nicht. So hat beispielsweise in der französischen Provinz schon von jeher neben der eng mit Paris verbunden Haute Cuisine auch eine "cuisine de terroir" bestanden, die auf lokale Zutaten setzte. Und im regionalitätsverliebten Italien brachte die Slow-Food-Bewegung bereits viele Jahre vor der Eröffnung des Noma einen Lokalführer heraus, der ausschließlich solche Restaurants auflistete, die ihre Zutaten vorwiegend aus ihrer Region bezogen.

Innovativ war Redzepis Beitrag dennoch. Und zwar aus zweierlei Gründen. Zum einen, weil er seine lokalen und saisonalen Ingredienzien aus dem klimatisch wie kulturgastronomisch nicht gerade bevorteilten Nordeuropa bezog. Und zum anderen, weil er erstmalig das Konzept der Regionalität auf die Haute Cuisine anwendete.

Wirtschaftlich nicht nachhaltig

Von nun an besuchte man ein Restaurant der gehobenen Kategorie nicht mehr einzig und alleine der Qualität des Genusses und der Bedienung sowie des gediegenen Rahmens wegen, sondern auch, um über die Mahlzeit die Landschaft, das Klima, die Fauna und Flora einer Gegend zu erleben. Gewisserweise mitserviert bekam man zudem das gute Gefühl, einen Beitrag zur Erhaltung der Umwelt zu leisten. Mit einem Wort: Wo zuvor Pomp und Verschwendung herrschten, hielt dank Redzepi und seinem Noma das Konzept der Nachhaltigkeit Einzug.

Nachhaltigkeit im Sinne der Umwelt, wohlgemerkt. Denn wirtschaftlich scheint das Geschäftsmodell, trotz des Menüpreises von stolzen 470 Euro pro Person, eher weniger nachhaltig zu sein. Zumindest gibt das Redzepi selbst nun als Grund dafür an, dass er sein Lokal im Jahr 2024 schließen wird.

Damit geht eine Ära zu Ende, in der das Noma nicht nur neue Maßstäbe in Sachen Fine Dining gesetzt, das Konzept entstaubt und mit Inhalt gefüllt hat, sondern auch aus Kopenhagen, einer Stadt, die bis dahin kulinarisch bestenfalls für aufwendig garnierte Hotdogs, fettige Frikadellen und eine dort geradezu allgegenwärtige Sauce Remoulade bekannt war, einen absoluten Hotspot der internationalen Gastroszene machte. Eine Entwicklung, die zahlreiche Touristiker und Politiker zuerst in Skandinavien, später in etlichen weiteren Ländern dieser Welt wie etwa Peru oder Australien (Österreich zählt leider nicht dazu) studierten und zu reproduzieren versuchten.

Mette Brink Soberg vom Noma bei der Arbeit.
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Gastspiele im Noma

Tatsächlich hat heute, wer in der dänischen Hauptstadt ein angesagtes Lokal besucht, gute Chancen, von einem Küchen-, Sous-, Executive- oder Was-auch-immer-Chef bekocht zu werden, der irgendwann in seiner Karriere ein Gastspiel im Noma absolvierte. Darunter finden sich auch etliche, die dort nur als "Stagiaires" anheuerten, um mehrere Monate lang in Redzepis Küche zu arbeiten und so undankbare Aufgaben zu erledigen wie Beeren nach Größe zu sortierten, Blüten mit Pinzetten zu zupfen oder Muschelschalen für die Dekoration zu polieren. Das alles, ohne dafür ein Gehalt zu beziehen und mit dem einzigen Ziel, ihren Lebenslauf mit dem Namen des prestigereichen Restaurants zu schmücken.

Dass er diese kolportierten 25 bis 35 Stagiaires, die ständig in den Küchen seines Betriebes arbeiteten, gänzlich unbezahlt beschäftigte, brachte Redzepi einiges an Kritik ein. Weswegen er im Oktober des Vorjahres (also nach knapp zwanzigjährigem Bestehen seines Betriebes) dann schließlich beschloss, ihnen doch ein Honorar auszuzahlen. Allerdings bestreitet der Unternehmer gegenüber der "New York Times", dass es diese seit Herbst nun deutlich höheren Personalkosten sind, die ihn zum Schließen seines Lokals bewogen.

Man wird ihm das wohl glauben müssen. Und dennoch bestehen kaum Zweifel daran, dass es in Zukunft und trotz gleichfalls gesteigerter Energie- und Lebensmittelpreise in erster Linie die Personalkosten sein werden, die das Überleben der Gastbetriebe dieser Welt gefährden. Und zwar ganz egal, ob das nun hippe Spitzenrestaurants in Kopenhagen sind oder alteingesessene Dorfgasthäuser in der heimischen Provinz.

Das Ende einer Ära

All das könnte ein Hinweis darauf sein, dass das Zeitalter des personalintensiven Kochens und Anrichtens in der Spitzengastronomie seinem Ende zugeht. Und dass es – statt der filigran und mit Pinzetten gestalteten Teller mit ihren kunstvoll drapierten, selbstgesammelten oder -geernteten Kräutern, Blüten und Blümchen – zu einer Rückkehr der klassischen, vermeintlich "luxuriösen" Zutaten längst vergangen geglaubter Zeiten kommen könnte.

Andererseits könnte die Entwicklung aber auch in Richtung einer neuen Art von Einfachheit und Sinnlichkeit gehen. Und eine Küche hervorbringen, die weniger auf optische beziehungsweise Instagram-taugliche Effekte, weniger auf erklärungsbedürftige und allzu konzeptuelle Gerichte setzt. Sodass beim Restaurantbesuch in Zukunft auch etwas weniger die Köche, dafür umso mehr die Gäste im Mittelpunkt stehen. Für viele unter ihnen ist das beste Restaurant der Welt nämlich nach wie vor nicht eines, das den ersten Platz auf einer Liste einnimmt. Sondern jenes, in dem sie sich am wohlsten fühlen. (Georges Desrues, 14.1.2023)