Renée Fleming während einer Vorstellung in der Metropolitan Opera.

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Schade: Der mit großem Trommelwirbel als "Weltpremiere" angekündigte Auftritt von Renée Fleming und Jewgenij Kissin konnte aufgrund einer krankheitsbedingten Absage des Starpianisten nicht stattfinden. Schon im vergangenen Sommer musste der Russe seinen Soloabend bei den Salzburger Festspielen als Folge von "Schmerzen im Arm" absagen; im Herbst musizierte er zwar mit den Philharmonikern, gab aber statt Rachmaninow einen Mozart.

Mit Jean-Yves Thibaudet begleitete die US-Amerikanerin im Musikverein nun ein erprobter Gefährte am Klavier. Das Programm musste nur marginal verändert werden: Anstelle zweier Rachmaninow-Lieder sang Fleming Fauré. Bei dessen "Les Berceaux", aber auch bei Liszts "Oh! Quand je dors" oder Henri Duparcs "Extase" konnte Fleming ihre Zentralqualität eindrucksvoll demonstrieren: die des vollkommenen vokalen Strömens.

Sopran, wie eine schonende Kostbarkeit

Wenn sie so singt, kalmiert sich jeder Trubel, und die Dinge der Welt sind für kurze Zeit in Ordnung. Selbstredend, dass Fleming ihren Sopran wie eine zu schonende Kostbarkeit behandelte: Fast nur im Bereich zwischen Piano und Forte agierend, war edle Dezenz die Maxime. Dennoch blieb manchem Spitzenton eine glänzende Umhüllung versagt; das zweigestrichene B bei Kevin Puts’ neoromantischem "Evening" jedoch glückte.

Als letzte der Zugaben, nach einem wundervoll sentimentalen Korngold, wäre Fleming und dem feinsinnigen Thibaudet eine Referenzaufnahme von Strauss’ "Morgen" gelungen – wenn man das Lied denn aufgenommen hätte. (Stefan Ender, 13.1.2023)