Ökologe Franz Essl wurde gerade zum Wissenschafter des Jahres 2022 gekürt. In seinem Gastkommentar geht er auf die laxe Klimapolitik Österreichs ein. Er fordert mehr Geld und mehr Engagement für den Umweltschutz ein. Die Proteste der Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten hält er für gerechtfertigt. Lesen Sie dazu auch den Gastkommentar "Stadt – Land – Konflikt" des Politologen Lukas Haffert.

Freitagfrüh wurde beim Wiener Naschmarkt im Bereich der Secession protestiert: ein Aktivist der Letzten Generation.
Foto: APA / Florian Wieser

Als Ökologe fasziniert mich die Natur, und als Ökologe sehe ich auch, wie rasant wir unsere Umwelt zerstören. Die Feuchtwiese meiner Kindheit – mittlerweile aufgeforstet. Die Blumenwiese mit den Prachtnelken – heute eine Christbaumkultur. Das letzte Vorkommen des Wollgrases – entwässert und umgeackert. Der Bach meiner Kindheit – mittlerweile im Hochsommer als Folge des Klimawandels austrocknend. Diese eigene Erfahrung ist ein Mikrokosmos dessen, was tausendfach täglich weltweit passiert und dem Ökosystem Erde die Luft ausgehen lässt. Welche Arten das 21. Jahrhundert überleben werden, ist heute keine Frage der Evolution mehr, sondern obliegt dem Tun des Homo sapiens.

Grüne Universitäten

Die von uns verursachte Umweltkrise – bestehend aus einem übergroßen Ressourcenbedarf und am anderen Ende des gesellschaftlichen Stoffwechsels einem Endlagerproblem (Treibhausgase in der Atmosphäre) – macht die Umweltwissenschaften zu den Schlüsselwissenschaften des 21. Jahrhunderts. Daher braucht es in der Forschung, Ausbildung und Lehre eine massive Stärkung in diesem Bereich – Forderungen, die jüngst auch von Studierenden von "Erde brennt" erhoben wurden.

Die Umweltkrise sollte in jedem Studienfach explizit behandelt werden, gesellschaftlich relevante Forschung zu Transformation, Ökologie und Nachhaltigkeit sollte an jeder Universität einen Schwerpunkt bilden, und jede Universität sollte in ihrem Bereich einen Nachhaltigkeitsplan umsetzen, der die Treibhausgasemissionen auf den Pariser Klimapfad bringt. Es ist insofern sehr bedauerlich, dass bisher keine Universität Österreichs der "Nature Positive Universities"-Initiative beigetreten ist – während Spitzenunis wie Oxford sich schon dazu verpflichtet haben, grüne Universitäten zu werden.

"Friedlicher, auch verstörender Protest muss in einer Demokratie möglich sein."

Die Studierenden fordern dies auch ein. Ihr Interesse an einer nachhaltigen Transformation zeigt sich in der Ringlehrveranstaltung zu Klimawandel und Klimapolitik, die ich gemeinsam mit der Wittgenstein-Preisträgerin Christa Schleper, Ayansina Ayanlade und Vertreterinnen von Fridays for Future organisiere – sie ist mit mehr als 1.400 Studierenden die größte Lehrveranstaltung an der Universität Wien.

Wie kaum eine andere Protestform von Klimaaktivistinnen und Klimaaktivisten polarisieren Straßenblockaden und Aktionen in Museen die Öffentlichkeit. Weltweit, und auch in Österreich, haben zahlreiche Forschende und Intellektuelle ihre Unterstützung zum Ausdruck gebracht. Friedlicher, auch verstörender Protest muss in einer Demokratie möglich sein. Viel verstörender ist es, über Jahre das Klimaschutzgesetz in Österreich zu blockieren und die Zukunft aufs Spiel zu setzen. Gäbe es einen ihrem Namen gerecht werdende Klimapolitik, so gäbe es auch keine Notwendigkeit für Klimaaktivismus.

"Ein Bauer, eine Waldbesitzerin, die naturgemäß wirtschaften und nebenbei das Klima schützen – sie müssen dafür belohnt werden. Das ist eine Investition in eine lebenswerte Zukunft."

Die Wahl zum Wissenschafter des Jahres rückt auch den Themenbereich in den Vordergrund, der sich im Fokus meiner Forschung befindet: die Biodiversitätskrise, den Raubbau am grünen Fundament unserer Gesellschaft. Dafür zu sorgen, dass Österreich in 20, 50, 100 Jahren ein lebenswertes Land auf einem für Menschen weiterhin bewohnbaren Planeten geblieben ist. Dieses Umsteuern zu einer nachhaltigen Zukunft braucht eine Wende in der Biodiversitäts- und Klimapolitik. In beidem hat Österreich bislang weitgehend versagt: In den letzten 20 Jahren sind 40 Prozent der Brutvögel verschwunden, jede dritte Art steht auf der Roten Liste, und die Klimaziele bis 2030 scheinen jetzt schon gefährdet.

Die jetzige Regierung hat erste wichtige Schritte gesetzt – eine sozialökologische Steuerreform, den Beschluss der nationalen Biodiversitätsstrategie und den Stopp widersinniger Autobahnprojekte.

Aber es hakt in der Umsetzung. Österreich braucht daher einen grünen Marshallplan. Das bedeutet im Grunde nicht mehr, als das, was in der Umweltpolitik beschlossen wurde und was in Sonntagsreden vermittelt wird, auch wirklich umzusetzen. Das braucht Geld, viel mehr Geld als heute, und entsprechende Rahmenbedingungen. Die Expertinnen und Experten des Österreichischen Biodiversitätsrats fordern daher, den nationalen Biodiversitätsfonds mit einer Milliarde Euro jährlich auszustatten. Und auch die Bundesländer müssen viel mehr in eine naturverträgliche Politik investieren. Ein Bauer, eine Waldbesitzerin, die naturgemäß wirtschaften und nebenbei das Klima schützen – sie müssen dafür belohnt werden. Das ist eine Investition in eine lebenswerte Zukunft.

Genug Geld

Und um ein Missverständnis auszuräumen: Geld ist genug vorhanden, es wird nur widersinnig ausgegeben. Das Wifo hat jüngst errechnet, dass 5,7 Milliarden Euro jährlich in klimaschädliche Subventionen fließen. Das heißt, wir subventionieren unseren eigenen Untergang. Das Finanzministerium erwartet in einem vor wenigen Tagen vorgelegten Budgetausblick, dass Österreich – bei Beibehaltung einer Politik wie bisher – bis 2030 4,7 Milliarden an Strafen für die Nichterreichung der Klimaziele wird zahlen müssen – und danach jährlich 0,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts! Zum Vergleich: Das Naturschutzbudget des Landes Niederösterreich beträgt 15 Millionen Euro jährlich – gleichzeitig werden 450 Millionen für den Straßenneubau ausgegeben, das 30-Fache!

Politik ist nicht, das Einfache zu tun, sondern das Notwendige umzusetzen. Somit möchte ich hiermit die Politikerinnen und Politiker in Österreich beim Wort ihrer Zusagen nehmen. Starten Sie einen grünen Marshallplan, der sicherstellt, dass wir den Umbau unserer Gesellschaft tatsächlich schaffen werden. Die Wissenschaft und die Zivilgesellschaft strecken die Hand dazu aus. Und die Wählerschaft, sie ist bereit, einen solchen Weg mitzugehen – auch wenn es nicht leicht sein wird. Aber diesen Weg nicht gehen zu wollen wäre Verrat – an der Zukunft unserer Gesellschaft. (Franz Essl, 14.1.2023)