In Niederösterreich kann man mit etwas bösem Willen Leihräder auch gratis nutzen, weil sie nur mit einem Zahlenschloss gesichert sind.

Foto: Tom Rottenberg

Genau genommen ist an dieser Geschichte nur eines überraschend: dass sie nicht schon vor Jahren beendet wurde. Schließlich kann man in Niederösterreich mittlerweile seit 20 Jahren mit (beinahe Gratis-)Leihrädern fahren. Dennoch sahen die unterschiedlichen, aber stets dem Land zuordenbaren Betreibergesellschaften noch nie die Notwendigkeit, einem auf der Hand liegenden Missbrauchskonzept entgegenzusteuern: Die Verleihmodalitäten laden geradezu dazu ein, Räder aus dem Kreislauf zu nehmen, gratis zu nutzen – oder sie zu "privatisieren".

Sinnvolle Leihräder

Leihräder, die man an öffentlichen Stationen entnehmen und an anderen wieder zurückgeben kann, sind nichts Neues. Man findet sie heute auf der ganzen Welt. Nutzen und Sinn liegen auf der Hand – egal ob touristisch oder von "Locals": Für kurze Fahrten zwischendurch sind die fast unkaputtbaren Fahrräder gut brauchbar. Je dichter das Netz der Verleih- und Rückgabestationen, umso intensiver wird gefahren.

Die Systeme funktionieren weltweit im Grunde gleich: Ein QR-Code auf dem Rad wird per Handy gescannt, der Betreiber schaltet dann das Dock, in dem das Rad steht, frei – und das fix verbaute, ebenfalls mit dem System verbundene Schloss am Rad lässt sich öffnen. Verrechnet wird dann die Zeit bis zur Rückgabe an einer Station. Der Standort des Rades ist via GPS eruierbar.

Zahlenschloss statt QR-Code

Nicht so in Niederösterreich. 2003 wurden dort die ersten Leihräder ausgerollt. Unter dem Namen "Freiradl". 500 Räder in 70 Gemeinden. QR-Codes waren noch nicht erfunden. Stationen, um Räder fix "einzudocken", wurden auch keine errichtet: Wer ein Freiradl wollte, rief an einer Leihstation die Freiradl-Nummer an und erhielt den Code des Kabel-Zahlenschlosses. Die Leihe endete auch per Anruf.

2009 wurde aus Freiradl Nextbike. Das Netz wuchs, Konzept und Modus blieben aber gleich. Statt per Telefon wurde ab 2011 per SMS, dann auch per App geliehen. Seit 2013 gibt es auf NÖ-Nextbikes QR-Codes. Im Laufe der letzten Jahre kamen zu Kabelschlössern auch trackbare Räder mit "smarten" Rahmenschlössern.

Kein GPS-Tracker

Andock-Terminals sind in Niederösterreich aber immer noch die Ausnahme. Für die Kabelschlossräder kommt der Schloss-Code als "Antwort" auf die QR-Anmeldung, die Rückgabe erfolgt auch via App. Auf der sieht man ja, wo die Rückgabe stattfindet. Aber: Fiel da wirklich nie jemandem die offensichtliche Schwach- oder Problemstelle auf? Da die Kabelschloss-Bikes keine GPS-Tracker haben und die Räder nicht angedockt werden, ist es unmöglich zu kontrollieren, ob ein Rad tatsächlich zurückgegeben wird. Der Zahlenschloss-Code bleibt auch gleich: Wer will, radelt also einfach munter weiter.

Dass das gängige Praxis sein dürfte, fällt dann irgendwann auch "legalen" Nutzern auf: Über die App kann man Räder vorab reservieren. Man muss sich da immer ein bestimmtes aussuchen. Nur: An manchen Leihstationen korrespondieren die dort in der App angekündigten Räder eher selten mit den tatsächlich vorhandenen. Sowohl was Anzahl als auch was die in der App ja angeführten Kennnummern betrifft.

Vertauschte Schlösser

Egal: Räder sind ja da – und darum geht es. Doch wer dann QR-Codes scannt, staunt mitunter noch einmal. Etwa dann, wenn der postwendend eintrudelnde Code für das Kabelschloss nicht stimmt. Manchmal passt der dann aber bei einem anderen Bike: Irgendwer hat dann Schlösser vertauscht. Öfter aber hat irgendein Schlaumeier den Nummerncode des Kabelschlosses geändert.

Wieso man so was tut? Weil sich die Leihräder am Bahnhof, beim Schwimmbad oder vor der Schule so auf Dauer für den kostenfreien Eigengebrauch reservieren lassen. Denn sogar, wenn andere Nextbike-Kunden solche manipulierte Räder melden, ist die Wahrscheinlichkeit, dass das Rad längst unauffindbar anderswo ist, wenn jemand von Nextbike eintrifft, um das Schloss zu tauschen, hoch. Ganz abgesehen davon, dass das niemanden daran hindert, das Rad dann kurz "legal" auszuborgen und Kennung samt Schlosscode in eine kleine Excel-Liste einzutragen. Unter pendelnden Schülerinnen und Schülern sowie Lehrlingen soll diese Form des Mobility-Sharings nicht ganz unbekannt sein.

Kontinuierliches Entgegenwirken

Die Betreiberin der niederösterreichischen Nextbikes, die zu 100 Prozent im Eigentum des Landes stehende Radland GmbH, gibt sich zu alledem eher wortkarg. In einer ersten, vierzeiligen Stellungnahme wird eher bagatellisiert: Lediglich "ein Restbestand" der Nextbikes, heißt es, sei noch mit Kabelschlössern ausgestattet. Es werde "laufend auf moderne Smartbikes mit elektronischem Schloss" ausgetauscht. Auf Nachfrage bedauert Radland-Geschäftsführerin Susanna Hauptmann dann zwar, dass "einige Menschen das Leihradsystem zweckentfremden und damit geringschätzen", dies sei aber "ein Umstand, dem wir kontinuierlich entgegenwirken".

Darüber, wie das geschieht, könne oder wolle Radland allerdings erst "im Laufe des Jänners" sprechen. Auch auf konkrete Zahlen, so die Geschäftsführerin, habe sie davor keinen Zugriff. Eine ist dann aber doch verfügbar: Der zunächst als "Restbestand" titulierte Anteil an Rädern, deren Schlösser zum Missbrauch einladen, beläuft sich auf 500 – das ist der halbe Nextbike-Fuhrpark. (Tom Rottenberg, 14.1.2023)