In Ancona sind in den vergangenen Tagen zwei Schiffe privater Hilfsorganisationen eingelaufen, um die von ihnen aus Seenot geretteten Flüchtlinge und Migranten an Land zu bringen: Zuerst legte die Ocean Viking der Nichtregierungsorganisation SOS Mediterranée mit 37 Personen an Bord an, am Tag danach die Geo Barents von der Organisation Ärzte ohne Grenzen mit 73 Menschen. Es war das erste Mal überhaupt, dass Ancona den privaten Rettungsschiffen vom Innenministerium als sicherer Hafen zugewiesen wurde.

NGO-Schiffe wie die Ocean Viking (Archivbild von 2022) dürfen in Italien nur noch bestimmte Häfen anlaufen.
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Die gleiche Premiere erlebten in den ersten Wochen des neuen Jahres auch die Hafenstädte Ravenna, Livorno und mehrere andere.

Was ist ein "sicherer Hafen"?

Den neuen "sicheren Häfen" in Nord- und Mittelitalien ist gemein, dass sie alle von Bürgermeistern des Mitte-links-Lagers regiert werden – und dass sie sich sehr weit entfernt von dem Punkt befinden, an welchem die in Seenot geratenen Flüchtlinge gerettet wurden.

Sowohl die Ocean Viking als auch die Geo Barents mussten über 1.500 Kilometer in zum Teil rauer See zurücklegen, um die Geretteten an Land zu bringen – das entspricht einer vier- bis fünftägigen Reise. "Die Zuweisung von derart weit entfernten Häfen verfolgt das einzige Ziel, unsere Schiffe so lange wie möglich vom zentralen Mittelmeer fernzuhalten und die Kosten unserer Einsätze zu erhöhen", kritisiert Juan Matias Giles, Missionschef von Ärzte ohne Grenzen.

Erschwerend kommt für die Hilfsorganisationen hinzu, dass sie neuerdings nur noch eine Rettungsaktion durchführen dürfen und dann sofort den ihnen zugewiesenen Hafen ansteuern müssen. So lautet eine der zentralen Bestimmungen des neuen "Verhaltenskodex" für die privaten Rettungsschiffe, der von der Rechtsregierung von Giorgia Meloni zwischen Weihnachten und Neujahr beschlossen wurde. Die Vorschrift erklärt auch die vergleichsweise kleine Anzahl von Personen, die sich an Bord der Ocean Viking und der Geo Barents befanden. Bisher hatten die NGO-Schiffe oft mehrere Rettungsaktionen durchgeführt, ehe sie in der Regel mit Hunderten von Menschen einen Hafen in Süditalien anliefen.

Wo soll um Asyl angesucht werden?

Eine weitere Bestimmung des Verhaltenskodex sieht vor, dass die Migranten umgehend nach ihrer Rettung angeben müssen, in welchem Land sie einen Asylantrag stellen wollen. Damit versucht die italienische Regierung das Abkommen von Dublin zu unterlaufen, welches vorsieht, dass dasjenige Land für das Asylverfahren zuständig ist, in welchem sie erstmals EU-Boden betreten.

Crews, die sich nicht an den Kodex halten, können mit 50.000 Euro bestraft werden; im Wiederholungsfall kann das Schiff beschlagnahmt werden. Für Giorgia Meloni und ihre ultrarechte Regierungskoalition sind die privaten Retter ein "Pull-Faktor" – das heißt, ihre Präsenz ermutige Migranten, die gefährliche Überfahrt über das Mittelmeer anzutreten.

Diese Theorie hat sich schon früher als wackelig erwiesen, und sie wird auch von den Flüchtlingszahlen in den ersten zwei Wochen dieses Jahres widerlegt: Trotz der massiven Schikanen gegen die NGOs hat die Zahl der in Italien angekommenen Bootsflüchtlinge sprunghaft zugenommen: Bis zum 12. Jänner sind bereits über 3.000 Migranten in Italien gelandet, was einer Verzehnfachung gegenüber dem gleichen Zeitraum des Vorjahres entspricht. Rund 90 Prozent von ihnen schafften die Überfahrt aus eigener Kraft, viele wurden von der italienischen Küstenwache und der Marine gerettet. Deren Schiffe dürfen nach den Rettungsaktionen die nahen Häfen der süditalienischen Regionen Sizilien, Kalabrien und Apulien anlaufen.

Gute Miene zum bösen Spiel

Die linken Bürgermeisterinnen und Bürgermeister von Ancona, Ravenna und Livorno machen derweil gute Miene zum bösen Spiel: "Wir nehmen zur Kenntnis, dass Ancona nun ein sicherer Hafen für Flüchtlinge ist – wir beklagen uns nicht und werden unseren Teil zur Versorgung der Geflüchteten beitragen", erklärte Valeria Mancinelli, Stadtpräsidentin von Ancona. Es erscheine ihr aber als etwas unlogisch, dass man die Migranten, die nach ihrer Landung ohnehin auf das ganze Land verteilt würden, erst zu einer 1.500 Kilometer langen Seereise zwinge.

Livornos Bürgermeister Luca Salvetti meinte ironisch, dass es sicher ein "Zufall" sei, dass alle neuen sicheren Häfen von linken Parteien regiert würden. Er warte jetzt darauf, dass auf dieser Liste bald auch La Spezia, Genua, Venedig und Triest erscheinen, die eine Rechtsregierung haben. Bisher wartet Salvetti vergeblich. (Dominik Straub, 13.1.2023)