Weniger ist mehr: Dieses Credo ist in der Arbeitswelt aktueller denn je. Vor allem unter jungen Beschäftigten erfreut sich die Viertagewoche großer Beliebtheit.
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Immer öfter probieren Länder und Unternehmen aus, wie sie dem Wunsch der händeringend gesuchten Arbeitskräfte und Fachleute besser entsprechen könnten – nämlich mit einem zusätzlichen freien Tag. Und das längst nicht nur in Büros, sondern auch in Tischlereien, Backstuben oder Gewerbebetrieben.

Von Skandinavien bis Großbritannien liefen bereits Langzeitprojekte zur Viertagewoche mit Branchenmix. Mitte Dezember berichteten spanische Medien unter Berufung auf das federführende Industrieministerium von einem auf zwei Jahre angelegten Pilotversuch zu verkürzter Arbeitszeit bei gleichem Lohn. Die Produktivität solle aber keinesfalls sinken.

Was zunächst widersprüchlich klingt, konnten nun schon einige Studien belegen. Zuletzt geschehen durch eine Auswertung der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Die in der Pandemie getroffenen Maßnahmen haben laut der Studie "eine Menge Belege" dafür geliefert, dass flexible und geringe Arbeitszeiten sich nicht nur positiv auf Gesundheit und Wohlbefinden der Beschäftigten auswirken, sondern auch die Arbeitsleistung ankurbeln.

Unterschiedliche Modelle

Doch bedeutet eine Viertagewoche auch automatisch kürzere Arbeitszeiten? Nicht unbedingt. In der Praxis gibt es zwei Modelle: Entweder wird die Normalarbeitszeit auf nur vier Tage pro Woche aufgeteilt, und es kommt zu einer Arbeitsverdichtung, oder die Arbeitszeit wird tatsächlich reduziert. Während sich Beschäftigte von einer Viertagewoche meist eine Arbeitszeitreduktion versprechen, verstehen Unternehmen darunter oft ein Zusammenschieben der Arbeitsstunden. Das zeigt auch eine Umfrage der Versicherer HDI in Hannover: Mehr als drei Viertel der Befragten sprachen sich für eine verkürzte Arbeitswoche in ihrer Firma aus – eine große Mehrheit allerdings nur bei gleichem Lohn.

In Österreich steht die Hälfte einer gesetzlich verankerten Wahlmöglichkeit zwischen einer Vier- und Fünftagewoche bei unveränderter Gesamtarbeitszeit positiv gegenüber. Das zeigt eine Spectra-Umfrage vom vergangenen Juni. Besonders gut käme die Wahlmöglichkeit bei den Jungen an: Sieben von zehn der unter 30-Jährigen sind dafür. Ablehnend stehen der Idee im Bevölkerungsschnitt lediglich 15 Prozent gegenüber. Die Hauptmotive für den Wunsch nach einer Viertagewoche sind "mehr Freizeit" und "mehr freie Tage / ein verlängertes Wochenende". Gleichzeitig ist die Zufriedenheit der Österreicherinnen und Österreicher im Job auf einem neuen Tiefststand, wie der Arbeitsklimaindex der Arbeiterkammer (AK) zeigt.

Schwindet die Lust am Arbeiten? Nein, sagt Philipp Brokes, stellvertretender Leiter der Abteilung Sozialpolitik bei der AK Wien. Vielmehr wollen Beschäftigte – vor allem der jüngeren Generation – künftig anders arbeiten. Hinzu komme, dass die Produktivität seit Jahrzehnten stetig wachse und durch innovative Technologien auch künftig noch weiter ansteigen werde. "Die Produktivitätszuwächse landen aber letztlich bei den Unternehmen und kommen nicht bei den Beschäftigten an, die maximal die Inflation abgegolten bekommen", sagt er.

Einzelinitiativen statt Großprojekte

Eigenen Angaben zufolge ist die Onlinemarketingagentur eMagnetix mit Sitz in Oberösterreich das erste Unternehmen, das hierzulande den gleichen Lohn bei Stundenreduktion eingeführt hat. Seit Oktober 2018 wird nun 7,5 Stunden an vier Tagen die Woche gearbeitet. Das Unternehmen habe sehr positive Erfahrungen mit dem neuen Arbeitszeitmodell gemacht und bekomme nun deutlich mehr Bewerbungen auf offene Stellen. Die Onlinemarketingagentur hat daraus nun auch ein Geschäftsmodell gemacht und bietet anderen Firmen Beratungen nach dem Motto #30SindGenug an.

Seit Ende 2021 bietet das steirische Unternehmen Maschinenbau Koller in Seebach bei Aflenz eine flexible Gestaltung der Arbeitszeit. Alle Beschäftigten können sich für eines der folgenden Modelle entscheiden: die Viertagewoche, die Fünftagewoche oder ein Kombinationsmodell mit wöchentlich abwechselnd vier und fünf Arbeitstagen. Die Gesamtarbeitszeit beträgt bei allen Modellen weiterhin 38,5 Stunden. "In der Produktion ist die Maschinenlaufzeit enorm wichtig. Um wettbewerbsfähig zu bleiben, sehe ich aktuell keine Möglichkeit, die Arbeitszeit beispielsweise auf 35 Wochenstunden zu reduzieren", sagt Co-Geschäftsführer Wolfgang Grabner. Gänzlich ausschließen möchte er eine Stundenreduktion aber künftig nicht.

Als erstes großes österreichisches Unternehmen erproben die Wiener Linien seit Dezember mit rund 300 Mitarbeitenden die Viertagewoche. Die 37,5 Stunden Normalarbeitszeit werden nun auf vier Tage aufgeteilt. Die Umsetzung erfolgte zwar in unterschiedlichen Bereichen, der Fahrdienst gehört jedoch – entgegen der ursprünglichen Kommunikation – nicht dazu, wie eine Sprecherin der Wiener Linien auf STANDARD-Anfrage mitteilte. Zu schwierig sei die Umsetzung im Schichtbetrieb, hinzu kommt die akute Personalnot. Stattdessen werden vermehrt Teilzeitstellen angeboten, und auch eine allgemeine Arbeitszeitreduktion auf 35 Wochenstunden werde bis 2028 angestrebt.

Mehr Flexibilität

Und wie gehen kürzere Arbeitszeiten und fehlendes Personal zusammen? "Im ersten Moment mag das zwar bedeuten, dass einzelne Angestellte weniger arbeiten. Gleichzeitig löst das langfristig das Problem der Personalsuche, weil die Menschen länger in einem Unternehmen bleiben", sagt Brokes. Zu diesem Ergebnis kommt nicht nur die ILO-Studie, sondern auch einige heimische Firmen, die die Viertagewoche bereits in Eigeninitiative umgesetzt haben.

Den freien Freitag sieht Brokes dennoch nicht als Lösung für die Herausforderungen auf dem Jobmarkt – vor allem bei gleicher Stundenzahl. Auf Dauer seien lange Arbeitstage mit zehn bis zwölf Stunden alles andere als gesund. Das könne auch kein verlängertes Wochenende ausgleichen. Stattdessen müsse die Arbeitszeit insgesamt sinken. Auch die ILO empfiehlt der Politik eine "gesunde" Work-Life-Balance im Sinne von Arbeitszeitverkürzungen und größerer Flexibilität. Das deckt sich wiederum mit dem Wunsch der österreichischen Beschäftigten, die die ideale Arbeitszeit mit 36 Wochenstunden beziffern. (Anika Dang, 15.1.2023)