Toni Polster will Gerechtigkeit und somit auch, dass alle seine Länderspieltreffer offiziell gewertet werden.

Foto: APA/HANS PUNZ

Toni Polster träumt einen unmöglichen Traum. Zum wiederholten Mal urgiert Österreichs Rekordtorschütze die Korrektur seiner einschlägigen Traumbilanz. Nicht nur 44-mal aus 95 Spielen zwischen 1982 und 2000 sondern 47-mal aus 97 Spielen im selben Zeitraum will er für Österreichs Nationalmannschaft genetzt haben. Die drei fehlenden Treffer gelangen ihm allerdings in zwei vom österreichischen Fußballbund ÖFB als inoffiziell gewerteten Länderspielen.

Polsters Klagen ist nicht neu. Vernehmlich wurde es wieder im vergangenen Oktober. Bei der "Kronen Zeitung" fand der Coach des Regionalligisten SC Wiener Viktoria Gehör. Der Artikel erschien kurz nachdem Marko Arnautovic mit seinem 103. Länderspiel den einschlägigen Rekord von Andreas Herzog eingestellt hatte. Mittlerweile hält der Legionär des FC Bologna bei 106 Länderspielen, ein Ende ist nicht absehbar. Absehbar ist allerdings, dass Arnautovic weiter für Österreich netzen wird. Mit bisher 34 Toren liegt er gleichauf mit Hans Krankl auf Platz zwei hinter Polster. Ihm gehe es nicht um die Bestmarke, sagt der 58-jährige Rekordler, vielmehr um Gerechtigkeit.

"Billige Ausrede"

Dieses Streben nach Gerechtigkeit fand vor Jahreswechsel wenig Resonanz – weder medial noch beim ÖFB. Dieser signalisierte zwar Verständnis für Polsters Anliegen, hielt aber eine rückwirkende Anerkennung aus vielerlei Gründen für nicht möglich – "leider". Knapp drei Monate später brachte der ORF mit einem Beitrag in der Sendung "Sport 20" im Spartensender ORF Sport+ das Thema wieder aufs Tapet. Polster beklagte es erneut als Ungerechtigkeit, dass ihm Treffer aus den beiden fraglichen Länderspielen nicht angerechnet werden, obwohl die quasi mit allem Drum und Dran aufgeführt worden seien – mit Hymnen und internationalen Schiedsrichtern. Der ÖFB werte sie als inoffiziell, weil er sich seinerzeit an den europäischen Verband Uefa abzuführende Lizenzzahlungen für reguläre Länderspiele erspart habe.

"Ich finde, das ist eine billige Ausrede", sagte Polster im Interview mit "Sport 20". Mithilfe eines Anwalts will er sich nun an die Uefa und den Weltverband Fifa wenden. "Ich hoffe, dass die Leute von der Fifa und Uefa mehr Zeit haben und sich um diese Sache kümmern können."

Kuriosum um Alfred Drabits

Sollte sich in Nyon oder Zürich tatsächlich jemand der Sache annehmen, müsste sie oder er in die 1980er-Jahre zurückgehen. Am 7. Juni 1984 gastierte Österreichs Nationalmannschaft unter Coach Erich Hof anlässlich des 50-jährigen Jubiläums des Liechtensteiner Verbands am Gemeindesportplatz zu Vaduz. Je nach Angaben sahen 2.600 oder 1.500 Besucher einen 6:0-Erfolg der aus einem Trainingslager angereisten Österreicher über Liechtenstein.

Die hoch favorisierten Gäste hatten sich schwergetan, erst in der 36. Minute brach Polster aus einem vom Schweizer Schiedsrichter Jakob Baumann verhängten Freistoß den Bann, vor der Pause trafen noch Gerald Messlender und Herbert Prohaska, nach Seitenwechsel erneut Prohaska per Elfmeter, Christian Keglevits und Gerald Willfurth für die Gäste. Coach Hof wechselte sechsmal, der Austrianer Alfred Drabits musste zur Pause Willfurth weichen, kam aber kurioserweise nach 76 Minuten wieder – für Waregem-Legionär Richard Niederbacher.

Der Verband Liechtensteins führt die Partie – eher nicht des Resultat wegens – wie der ÖFB nicht als offizielles Länderspiel. Eine rückwirkende Anerkennung, verriet Österreichs Verband, verbiete sich, weil die Zusicherung, dass alle Kriterien und Bedingungen für ein offizielles Länderspiel eingehalten wurden, nicht gegeben werden könne. Drabits' Rücktausch ist ein schlagendes Argument.

Fragezeichen hinter Partie in Tunis

Ähnlich verhält es sich mit der zweiten Partie, in der Polster netzte, ohne seine Bilanz zu verbessern. Am 7. Februar 1987 besiegte Österreich Tunesien vor 7.000 Zusehern in Tunis mit 3:1 – verantwortlich für die in einem Trainingslager weilende Auswahl des ÖFB zeichnete da schon der Slowene Branko Elsner. Polster glich die Führung der Gastgeber kurz vor der Pause aus, nach Seitenwechsel trafen erst Andreas Ogris und dann Polster zum Endstand. Laut Fußballdatenbank Austria Soccer war Professor Elsner nicht sonderlich wechselfreudig, lediglich Rudolf Weinhofer kam vor der Pause für seinen Rapid-Kollegen Reinhard Kienast ins Spiel.

Interessant ist, dass die vom Italiener Claudio Pieri geleitete Partie vom tunesischen Verband offenbar als offiziell gezählt wird. Die Zurückhaltung des ÖFB erklärte der damalige Teammanager Heinz Palme in einem Gespräch mit "Heute". Es gab eine Vereinbarung zwischen dem Verband und der Bundesliga über die jeweilige Anzahl der Länderspiele pro Jahr. Die Begegnungen während der Trainingslager wurden nicht offiziell gezählt, obwohl es normale Länderspiele mit entsprechender Vorlaufzeit in der Organisation gewesen seien.

Überhaupt rätselhaft ist, wie eine Testpartie gegen Marokko in der Causa Polster Erwähnung finden konnte. Am 2. Februar 1988 spielte Österreich in der Vorrunde des Tournoi de France im Stade Municipal zu Toulouse gegen die Vorfahren der aktuellen WM-Halbfinalisten. Nicht Polster, sondern Andreas Ogris traf zum 1:0, die Nordafrikaner siegten allerdings mit 3:1. Das war auch insofern zu verkraften, als der ÖFB die Partie wie die gesamte Turnierteilnahme von Haus aus nicht in ihre Statistik aufnehmen wollte, um seinen neuen Coach Josef Hickersberger beim Neuaufbau einer Mannschaft nicht über Gebühr unter Druck zu setzen. Drei Tage nach Hickes inoffizieller Debütniederlage setzte es in Monaco ein 1:2 gegen die Schweiz – die wurde offiziell, weil das die Eidgenossen so wollten. (Sigi Lützow, 13.1.2023)