J. R. Moehringer ist der Ghostwriter hinter Prince Harrys Autobiografie.

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Wenn es um abwesende Väter und desolate Familienverhältnisse geht, ist der US-Journalist und Autor J. R. Moehringer gut in die Materie eingearbeitet. Bevor der 58-Jährige als Ghostwriter Prince Harry für dessen Autobiografie Spare/Reserve auf die Couch bat und mit ihm literarische Psychoanalyse betrieb, legte er erst einmal selbst Zeugnis ab.

Seine als Roman getarnte Autobiografie Tender Bar wurde ab 2005 zum internationalen Belletristikerfolg, 2021 von George Clooney verfilmt. Die Geschichte handelt von einem Buben namens John Joseph "J. R." Moehringer. Den davongelaufenen, trunksüchtigen Vater kennt er nur als Moderator aus dem Radio. J. R. wächst als Wirtshauskind in ärmlichen Verhältnissen in der titelgebenden Bar bei Mutter, Großvater und Onkel in Long Island auf. Dort Trost suchende Männer geben die Ersatzdaddys.

Moehringer lernt dort alles für das Leben. Speziell wenn es um zentrale Romanbegriffe wie Herz, Liebe, Leidenschaft, Gemeinschaft und natürlich Alkohol geht, kann man ihm nur wenig vormachen. Aber was ist in Tender Bar nun wahr, und was ist Fiktion? Moehringer 2007 in einem Interview: "Alles ist wahr. In Zeiten von Krieg und politischem Chaos wollen die Menschen keine erfundenen Geschichten hören, sondern etwas von der Wirklichkeit lernen. Offenbar leben wir in einer solchen Zeit."

Man muss seine Seele offenlegen

Als junger Mann steigt Moehringer nach einem Studium in Yale und einer gescheiterten Karriere bei der New York Times zum Starreporter der Los Angeles Times auf. Für eine Reportage über eine Armensiedlung in Alabama erhält er 2000 den Pulitzer-Preis. Später veröffentlicht Moehringer mit Sutton einen biografischen Roman über den US-Bankräuber und Volkshelden Willie Sutton.

Als Seelendoktor des Tennisstars Andre Agassi und Ghostwriter von dessen Autobiografie Open von 2009 betreibt Moehringer insgesamt 250 Stunden lang Gesprächstherapie mit dem als Wunderkind von den Eltern in eine Tennisakademie abgeschobenen Sportler. Moehringers Arbeitsmotto: Eine Autobiografie ist nichts wert, wenn der Verfasser darin nicht seine Seele offenlegt.

In den vom gemeinsamen Freund George Clooney vermittelten Sitzungen mit Prince Harry für Spare/Reserve geht es natürlich wesentlich um Kindheitstraumata und die abwesenden Eltern des britischen Royals. King Charles III. wird im Leben von J. R. Moehringer wahrscheinlich nicht der letzte Vater auf der Flucht gewesen sein. (Christian Schachinger, 13.1.2023)