Die Gen Z kehrt Tinder den Rücken.

Foto: APA/dpa/Marijan Murat

Online-Dating hat unser Liebesleben verändert. Als die Dating-App mit den weltweit meisten Downloads dominierte Tinder lange den Markt, so auch in Österreich. Mittlerweile ist die 2012 gelaunchte App in 56 Sprachen und 190 Ländern verfügbar. Doch die Blütezeit scheint vorbei: Während die Konkurrenz in Form progressiver Apps wie Bumble und Hinge weiter anwächst, treten die Nutzungszahlen des einstigen Dating-App-Lieblings auf der Stelle.

Vom Boom in die Krise

Durch die Pandemie erlebten Dating-Apps einen Höhenflug. Während soziale Kontakte limitiert wurden, zeigten sich Tinder und Co kreativ und passten ihre Anwendungen der Isolation an. Dank Videochat und "Passport"-Features konnten Nutzerinnen und Nutzer Matches auf der ganzen Welt finden und sich für virtuelle Dates verabreden. Eigentlich ist die Reichweite, innerhalb derer Nutzerinnen und Nutzer Matches – also passende Partnerpersonen – finden können, auf die Umgebung rund um den eigenen Standort begrenzt. Mit dem kostenlosen Feature hatten Tinder-Userinnen die Möglichkeit, der Lockdown-Langeweile zu entkommen.

Im März 2020 verzeichnete Tinder eine Rekordzahl von drei Milliarden Swipes pro Tag – mehr als jemals zuvor. Doch nach dem Höhenflug kam der Fall: Innerhalb der vergangenen 365 Tage ist der Kurs der Match Group, des texanischen Technologiekonzerns hinter der App, um rund 62 Prozent eingebrochen – obwohl das Unternehmen insgesamt noch immer Einnahmen in Höhe von 3,2 Milliarden Dollar verzeichnete. Die erfolgreichste Dating-App der Welt scheint ihren Glanz verloren zu haben.

Progressive Datingplattformen holen auf

Auf dem Markt laufen die Apps Bumble und Hinge Tinder derzeit den Rang ab. Während die Userzahlen auf Tinder stagnieren, verzeichneten beide Apps Zuwächse von 344 Prozent (Hinge) und 96 Prozent (Bumble).

Die Gründe dafür scheinen unter anderem am Image der einstigen Erfolgs-App zu liegen. Über die Jahre ist Tinder für seine sogenannte "Hook-up-Culture", also das unverbindliche Dating in Form von One-Night-Stands und Affären, bekannt geworden. Unter CEO Bernard Kim, der seit Mai 2022 die Geschäfte leitet, versucht das Unternehmen nun dagegen anzuarbeiten. Neue Features wie "Relationship-Goals", mithilfe derer Userinnen angeben können, mit welcher Absicht sie die App benutzen, sollen dabei helfen. Außerdem porträtiert sich die App immer häufiger als merklich progressiv und weltoffen – im Rahmen der US-Midterm-Elections schlug Tinder den Userinnen und Usern beispielsweise vor, gemeinsam mit ihrem Date wählen zu gehen.

Hinge und Bumble auf dem Vormarsch

Andererseits spielt der viel beworbene progressive Ansatz von Bumble, Hinge und Co eine wichtige Rolle. Hinge wirbt mit dem Slogan "Designed to be deleted" und erklärt sich damit indirekt als Plattform für längerfristige Beziehungen. Außerdem bietet die App die Möglichkeit, das eigene Profil mit kurzen Sprachnotizen zu füllen, sodass Userinnen einen persönlichen Eindruck von ihren potenziellen Datingpartnerinnen bekommen.

Bumble erfindet das Matching-Prozedere direkt ganz neu und lässt weibliche User den ersten Schritt machen. Bei heterosexuellen Matches können Frauen innerhalb von 24 Stunden eine Unterhaltung mit der anderen Person starten. Tun sie das nicht, wird die Verbindung automatisch aufgelöst. Matchen sich queere Leute, so können – unabhängig vom Geschlecht – beide zuerst schreiben. Gegründet wurde Bumble übrigens von niemand Geringerem als Whitney Wolfe Herd, der früheren Marketingchefin und Mitgründerin von Tinder.

Der Trend beim Online-Dating geht also offenbar in Richtung Kreativität und Persönlichkeit, unverbindliche Tinder-Treffen scheinen out. In diesem Zusammenhang von Konkurrenz unter den Apps zu sprechen ist dennoch nur teilweise richtig, denn hinter Tinder und Hinge steckt dasselbe Unternehmen. Der Technologiekonzern Match Group hat sich auf soziale Netzwerke und Dating-Apps spezialisiert. Das Portfolio von Match Group umfasst rund 15 verschiedene Apps, unter anderem Datinganwendungen wie Hawaya und Upward speziell für muslimische und christliche Singles.

Generationswechsel auf dem Datingmarkt

Ein weiteres Hindernis für Tinder sind die sich verändernden Datinggewohnheiten der Gen Z. Während sich die Millennials langsam vom Dating-Markt verabschieden und Familien gründen, haben die Mittzwanziger die Regeln des Datings grundlegend verändert. Laut der Global-LGBT+-Studie aus dem Jahr 2021 ist die Gen Z die queerste Generation aller Zeiten: vier Prozent ordnen sich als Teil der LGBTQIA+-Community ein.

Foto: Screenshot Hinge/Johanna Pauls

Das wachsende Bewusstsein für verschiedene Geschlechtsidentitäten und sexuelle Orientierungen wirkt sich merklich auf das Datingverhalten und somit auch auf die Wünsche der Userinnen und User aus. Auf fast jeder der Apps kann mittlerweile aus einer Vielzahl an Geschlechtsidentitäten abseits der binären Norm ausgewählt werden. Außerdem gibt es die Möglichkeit, verschiedene Pronomen und Sexualitäten auszuwählen. Die Apps zeigen sich dem Trend folgend betont progressiv, auf der Hinge-Website heißt es etwa: "Wir möchten, dass Sie die Kontrolle darüber haben, wie Sie Ihr Geschlecht identifizieren und teilen."

Neben neu aufkommenden Fragen rund um Gender und Sexualität hat die Gen Z auch ihren Blick auf traditionelle Beziehungsformen geändert. Das Wegbewegen von unverbindlichen One-Night-Stands auf Tinder führte nicht etwa zu mehr festen Paarbeziehungen, vielmehr machte es Raum für die Etablierung eines gänzlich neuen Konzepts der "Situationship". Offenbar will die Gen Z also weder das eine noch das andere, deswegen wird sich auf ein ungezwungenes, halbverbindliches Zusammensein geeinigt. Damit spinnen sich Liebesbeziehungen zu einem Netz aus Abenteuer und Geborgenheit – ein bisschen à la "sicher, aber frei".

Auch die Tatsache, dass die Gen Z die erste ist, die in einer vollständig digitalisierten Welt aufgewachsen ist, scheint sich auf deren Nutzung von Tinder auszuwirken. Userinnen und User, die zwischen 1997 und 2012 geboren wurden, überarbeiten ihre Datingprofile laut Tinder-Jahresstatistik doppelt so häufig wie Millennials. (Johanna Pauls, 16.1.2023)