Einiges an Wolfgang Schäubles Festrede zur Wiedereröffnung des renovierten österreichischen Parlaments war merkwürdig: etwa die Art und Weise, wie es zur Einladung des Gasts aus Deutschland kam. Auch Schäubles Spott über "Scientifizierung", "Moralisierung" und "Gendersternchen" wirkte befremdlich. Doch in einem Punkt hatte der langjährige CDU-Spitzenpolitiker recht. Wir müssen uns Demokratie immer aufs Neue erarbeiten. Darauf hinzuweisen ist notwendiger denn je.

Betrachtet man die politischen Auseinandersetzungen der jüngsten Zeit, hat man eher den Eindruck, der gepflegte Austausch von Argumenten, die rhetorische Kunst von Rede und Gegenrede sei endgültig verloren. Wenn der Bundeskanzler schon grantig in ein TV-Interview startet, gleich die erste, als unbotmäßig oder tendenziös empfundene Frage des Interviewers schon einmal wegbeißt und sich dies dann durch das gesamte Interview zieht, dann läuft etwas schief in Sachen ständige Erarbeitung der Demokratie. Dann verlieren wir "die Gewohnheit, uns im kollektiven Gespräch über die wichtigen Fragen zu verständigen", wie Schäuble sagte. Genau darauf sei Demokratie aber angewiesen.

An Wolfgang Schäubles Festrede zur Wiedereröffnung des Parlaments war einiges merkwürdig.
Foto: APA/ROLAND SCHLAGER

Das heißt natürlich nicht, dass es in der politischen Auseinandersetzung nicht auch einmal emotional zur Sache gehen soll. Auch zu viel Harmonie ist schädlich. Wer ständig einfordert, nicht zu "streiten", wer jeden inhaltlichen Konflikt gleich zum "Streit" stilisiert, tut der Demokratie auch keinen guten Dienst. Darauf wiesen Neos-Chefin Beate Meinl-Reisinger und SPÖ-Vorsitzende Pamela Rendi-Wagner bei der Gelegenheit hin. Zu Recht.

Oberflächlicher Diskurs

Dennoch hat auch Schäuble in einem Punkt recht: Politischer Diskurs bleibt allzu oft an der Oberfläche, Schlagworte dominieren statt inhaltlich starker Argumente. Sehr oft fehlt auch die grundsätzliche Offenheit dafür, dass auch einmal die andere Seite in einer Sache recht haben könnte. Das ist die eine Seite.

Die andere ist, dass es auch auf journalistischer Seite mitunter an Zeit und Ressourcen mangelt, bei wichtigen politischen Themen in die Tiefe zu gehen. Das liegt nicht zuletzt an einer Medienpolitik, die seit Jahrzehnten den Markt verzerrt. Das klammern Politikerinnen und Politiker der Regierungsparteien gerne aus. "Ihr interessiert euch nicht für Inhalte, ihr interessiert euch nur für Streit", lautet Kritik, die auch am Rande der Parlamentseröffnung zu hören war. Allerdings zielt sie häufig auf die Falschen ab. Nicht diejenigen, die in Interviews kritische Detailfragen stellen, die Regierende mit unangenehmen Widersprüchen konfrontieren, zerstören den politischen Diskurs. Nicht diejenigen, die in die Tiefe gehen und Auskunft begehren, sind die Feinde der Demokratie.

Es sind jene, die diese Auskunft verweigern. Die sich noch immer gegen die Abschaffung des Amtsgeheimnisses sperren. Es sind diejenigen, die sich ausführlichen Interviews entweder gar nicht stellen oder, von "Kommunikationsprofis" gebrieft, lieber Journalisten angreifen und auf diese Weise vermeintliche "Nähe" zum Publikum suchen.

Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren: Hier geht es nicht darum, dass Medien zu wenig an Inhalten interessiert wären. Man will sie dazu bringen, die "richtigen" Fragen zu stellen – also jene, die nicht wehtun. Und nur jene Themen – oder Schlagworte – aufzugreifen, die der Politik gefallen. Das zeigt, dass man die Wichtigkeit und den Wert eines unabhängigen, überparteilichen Journalismus nicht verstanden hat. So ist die Demokratie bestimmt nicht zu retten. (Petra Stuiber, 15.1.2023)