Die Polizei sprach von 15.000 Protestierenden, die Veranstalter schätzten die Zahl auf 35.000.

Foto: IMAGO/ ANP

Demonstrierende konnten trotz starkem Polizeiaufgebot zum Tagebaugebiet vordringen.

Foto: IMAGO/ Remko de Waal

Räumung durch die Polizei in Lützerath.

Foto: IMAGO / Jochen Tack

Lützerath/Düsseldorf – Bei Zusammenstößen zwischen Klima-Demonstranten und der Polizei vor dem Dorf Lützerath im deutschen Braunkohlerevier sind am Samstag nach Polizeiangaben Menschen verletzt worden. Es habe Verletzte auf beiden Seiten gegeben, sagte ein Polizeisprecher am Samstagabend der Deutschen Presse-Agentur. Die genaue Anzahl der verletzten Personen und die näheren Umstände, die zu den Verletzungen führten, wurden zunächst nicht bekannt.

Die Beamten setzten Wasserwerfer und Schlagstöcke ein. Ein Polizeisprecher sagte, man müsse "unmittelbaren Zwang" anwenden, um die Demonstranten daran zu hindern, nach Lützerath vorzudringen. Das kleine Lützerath westlich von Köln ist seit Tagen von der Polizei abgeriegelt und mit einem doppelten Zaun umgeben.

Die wenigen Gebäude der Siedlung im deutschen Bundesland Nordrhein-Westfalen werden derzeit abgerissen, um es dem Energiekonzern RWE zu ermöglichen, die darunter liegende Kohle abzubaggern. Dagegen protestierten am Samstag trotz Dauerregens und starker Windböen tausende Menschen im benachbarten Ortsteil Keyenberg. Die Polizei sprach von 15.000 Teilnehmerinnen und Teilnehmern, die Veranstalter schätzten die Zahl auf 35.000.

"Lasst euch von der Polizei nicht aufhalten"

Ein Teil der Demonstranten versuchte, nach Lützerath zu gelangen oder in das Tagebaugebiet durchzukommen. Die Polizei versuchte zwar einige von ihnen zurückzudrängen, viele konnten jedoch zum Baugebiet durchdringen. Bis zur Tagebaukante zu gehen, sei lebensgefährlich, weil der Boden durch den Regen aufgeweicht sei und Erdrutsche drohten, warnte die Polizei. "Ich bin absolut entsetzt, wie normale Versammlungsteilnehmerinnen und -teilnehmer sich dazu hinreißen lassen, hier den absoluten Gefahrenbereich zu betreten", sagte der Aachener Polizeipräsident Dirk Weinspach.

Nach Polizei-Angaben attackierten einzelne Demonstranten auch Streifenwagen der Polizei und warfen Pyrotechnik in Richtung der Beamten.

Ein Sprecher auf der Kundgebungsbühne hatte die Demo-Teilnehmer zuvor explizit aufgerufen, sich über Anweisungen der Polizei hinwegzusetzen. Er finde es legitim, wenn die Teilnehmer versuchten, in das abgesperrte Lützerath vorzudringen, sagte er: "Lasst euch von der Polizei nicht aufhalten. Wir sind mächtig. Wir sind auf der Seite der Gerechtigkeit. Wir lassen uns von diesem repressiven System nicht aufhalten. Wir stoppen diesen Tagebau. Macht alles, was ihr für richtig haltet."

Thunberg kritisiert Grüne

Hauptrednerin bei der Kundgebung war die schwedische Klimaaktivistin Greta Thunberg. "Lützerath ist noch da, und solange die Kohle noch in der Erde ist, ist dieser Kampf nicht zu Ende", sagte die 20-Jährige unter dem Jubel der Zuhörer. Es sei ihr unbegreiflich, dass im Jahr 2023 noch immer Kohle abgebaggert und verfeuert werde, obwohl zur Genüge bekannt sei, dass der dadurch ausgelöste Klimawandel in vielen Teilen der Welt Menschenleben koste. "Deutschland als einer der weltweit größten Verschmutzer hat eine enorme Verantwortung", mahnte Thunberg.

In einem Interview der Deutschen Presse-Agentur kritisierte die weltbekannte Aktivistin die Grünen wegen ihrer Unterstützung für den Abriss von Lützerath. Konzerne wie RWE müsse man eigentlich dafür zur Rechenschaft ziehen, wie sie mit Menschen umgingen. "Dass die Grünen mit solchen Unternehmen Kompromisse schließen, zeigt, wo ihre Prioritäten liegen", sagte Thunberg.

Greta Thunberg (fünfte von links) ist nach Lützerath gekommen.
Foto: APA / dpa / Federico Gambarini

Abrisse fortgesetzt

In Lützerath selbst ging die Räumung unterdessen weiter. Einsatzkräfte kletterten auf Bäume, auf denen Aktivisten ausharrten. Nach Angaben des Energiekonzerns RWE liefen zudem Vorbereitungen, um zwei Aktivisten aus einem Tunnel zu holen. "Die Kräfte gehen sehr behutsam vor, hier kann kein schweres Gerät eingesetzt werden, weil das die Menschen in den unterirdischen Bodenstrukturen gefährden würde", sagte Polizeipräsident Weinspach. Der Abriss der bereits geräumten Gebäude wurde am Samstag ebenfalls fortgesetzt. Darunter war auch das frühere Wohnhaus von Bauer Eckardt Heukamp. Er war der letzte Landwirt in Lützerath gewesen.

Thunberg hatte bereits am Freitag Lützerath besucht und dabei "Polizeigewalt" angeprangert. Polizeipräsident Weinspach hatte diesen Vorwurf vehement zurückgewiesen. Auf die Frage, ob sie ihre Kritik an der Polizei aufrechterhalte, sagte Thunberg der dpa: "Polizeigewalt bedeutet in unterschiedlichen Ländern unterschiedliche Dinge. Aber es gab mehrere Fälle, in denen die Polizei das Leben von Aktivisten gefährdet hat."

Teilnehmerinnen aus Österreich

Auch die Grüne Jugend Deutschlands kritisierte das Vorgehen der Polizei. "Die Berichte, die wir aus dem Dorf bekommen, sind nicht zu rechtfertigen", teilte die Landessprecherin der Grünen Jugend NRW, Nicola Dichant, mit. "Bilder von Polizeieinsätzen, die Aktivist:innen massiv gefährden, Sanitäter:innen, die von der Polizei aus dem Dorf geschmissen werden, und Presse, die nicht beobachten darf. Das ist das Gegenteil von einem deeskalativen Einsatz."

Auch aus Österreich sind Teilnehmer angereist. So beteiligen sich Aktivistinnen und Aktivisten der "Letzten Generation", die zuletzt durch Verkehrsblockaden in Wien für Aufregung gesorgt haben, von Fridays For Future, des Jugendrats und System Change not Climate Change an den Protesten. Sie sprachen von bis zu 35.000 Demonstrantinnen und Demonstranten. "An Tagen wie diesen wird klar, dass unser Kampf für eine klimagerechte Welt niemand aufhalten kann", sagte Lena Schilling, Sprecherin vom Jugendrat und LobauBleibt.

"Ob in Lützerath oder in Wien: Für kurzfristige Profitinteressen von Konzernen wie RWE, Strabag oder PORR werden unsere Lebensgrundlagen aufs Spiel gesetzt! Die Kohle muss im Boden bleiben! An Orten wie Lützerath entscheidet sich, ob wir im Kampf um unser aller Zukunft erfolgreich sein werden! Hier wird nicht nur ein Dorf zerstört – es geht im wahrsten Sinn des Wortes um unsere Lebensgrundlagen, die abgebaggert und verheizt werden sollen", sagte Manuel Grebenjak von System Change not Climate Change. (APA, red, 14.1.2023)