Ein Denkmal für die verschleppten Sklaven vor der anglikanischen Kathedrale in Sansibar: Die Kirche übernimmt nun Verantwortung.

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Während die britische Regierung jeden Gedanken an Entschädigungen für Empire-Verbrechen oder die Rückgabe von Kulturgütern an ihre Herkunftsorte von sich weist, hat die anglikanische Staatskirche von England zur Buße für "unsere beschämende Vergangenheit" einen Ausgleichsfonds von 100 Millionen Pfund (113 Millionen Euro) eingerichtet.

Das Geld soll Gruppen und Gemeinden zugutekommen, die vom Sklavenhandel im britischen Empire betroffen waren. Die profitträchtigen Verbindungen seiner Kirche "tun mir sehr leid", sagte der Erzbischof von Canterbury, Justin Welby, bei der Vorstellung des Projekts in London.

Elf Millionen Verschleppte

Lange Jahre haben sich die Briten vor allem daran erinnert, dass die Royal Navy im 19. Jahrhundert viel dazu beitrug, den transatlantischen Sklavenhandel zu beenden. Dass Teile des fabelhaften Reichtums und der zunehmenden Machtposition des Empire während der beiden vorangegangenen Jahrhunderte auf der Sklaverei beruhten, wurde hingegen wenig thematisiert. Schätzungen sprechen von elf Millionen Afrikanern, die aus ihrer Heimat verschleppt und als Entrechtete über den Ozean gebracht wurden; viele weitere Millionen wurden schon in Afrika oder auf der Reise getötet.

Seit längerem verfolgen 15 Kleinstaaten der karibischen Gemeinschaft (Caricom) Milliardenansprüche gegen ihre früheren Kolonialmächte, darunter auch gegen Großbritannien. Die Rede ist von Schuldenerlass, mehr Entwicklungshilfe sowie Ausbildnern für Lehrer und Ärztinnen. Zu der Allianz zählen Staaten wie Jamaika und Grenada, deren Staatsoberhaupt Charles III. ist, ebenso wie die oft als "Little England" bezeichnete Insel Barbados, die sich Ende 2021 für unabhängig erklärt hat.

Beim Festakt zur Gründung der Republik erwähnte der damalige Thronfolger in ungewöhnlich klaren Worten das koloniale Erbe der Sklaverei, "die auf immer unsere Geschichte beschmutzt". Der jetzige Thronfolger William sprach vergangenes Jahr in Jamaika von "tiefer Reue" für die "entsetzlichen Gräuel". Wie offizielle Regierungsvertreter unterließen aber auch die Royals ausdrücklich eine Entschuldigung im Namen ihres Reiches. "Denn diese hätte rechtliche Folgen", weiß der Autor Matthew Parker, dessen Buch "Sugar Barons" die Verbrechen der Zuckerrohrproduzenten und Sklavenhalter auf Barbados und anderen Karibikinseln behandelt.

Schmutzige Milliarde

Geht die englische Staatskirche, deren geistliches Oberhaupt Welby gleichzeitig der anglikanischen Gemeinschaft weltweit vorsteht, also einen Schritt, den ihr weltliches Oberhaupt Charles mit Rücksicht auf die konservative Regierung unter Premier Rishi Sunak nicht vollziehen kann?

Die Investmentkommission, die sogenannten Church Commissioners, entschloss sich 2019 zur Aufarbeitung der Vergangenheit. Zu den Grundlagen des verwalteten Vermögens von insgesamt 10,1 Milliarden Pfund (11,4 Milliarden Euro) gehört auch eine Spende von Königin Anne (1702–1714) aus dem Jahr 1704. Das Geld war damals zur Unterstützung notleidender Pfarrer gedacht. Die Verantwortlichen investierten erheblich in die 1711 gegründete Südsee-Gesellschaft (South Sea Company), deren wichtigste Aktivität in den ersten Jahrzehnten ihrer Existenz der Sklavenhandel war.

Als die Gesellschaft 1739 den Sklavenhandel einstellte, betrug der Wert des Investmentfonds gut 200.000 Pfund, was heute rund 443 Millionen entspricht. Weil im Lauf der Jahre auch steinreiche Geschäftsleute wie der Sklavenhändler Edward Colston dem Fonds großzügige Summen zur Verfügung stellten, beziffern Wirtschaftsprüfer und Historiker den Gesamtwert des "schmutzigen" Geldes auf rund eine Milliarde Pfund.

Verzweifelter Brief

Eine Ausstellung im Lambeth-Palast des Erzbischofs lässt keinen Zweifel daran, dass schon den damals Verantwortlichen die furchtbaren Seiten der Sklaverei bekannt gewesen sein müssen. Gezeigt wird unter anderem der verzweifelte Brief eines versklavten Menschen an den "Erzbischof von London", in dem der Autor 1723 detailliert die Verbrechen aufzählt und um Hilfe bittet. Das Schreiben wanderte unbeantwortet ins erzbischöfliche Archiv.

Der bekannte Empire-Historiker David Olusoga wertet die Initiative der Kirche als "bedeutenden Schritt nach vorn". 200 Jahre lang habe sich das Königreich vor der Erkenntnis gedrückt, "dass mit geerbtem Reichtum auch Verantwortung einhergeht".

Kritik aus der Kirche

Während Regierung und Königshaus zu der Initiative schweigen, empören sich konservative Kleriker über ihre Kirchenleitung. Der Gründer und Leiter der Lobbygruppe Save the Parish ("Rettet die Gemeinden"), Marcus Walker, spottete im "Telegraph" darüber, dass die Investmentkommission "plötzlich 100 Millionen hinterm Sofa gefunden" habe. Gleichzeitig würden Gemeinden ausgehungert; immer weniger Priester müssten sich um immer größere Bezirke kümmern. Walker gilt als einer der profiliertesten bekennenden Torys bei den Anglikanern und stimmte für den Brexit.

Die Kirchenleitung hat auf den Protest bisher nicht reagiert. Hingegen verurteilte der Weihbischof (Suffragan) von Kirkall, Arun Arora, die Initiative als "schändlichen falschen Gegensatz". Die verwaltende Kommission könne beides schaffen, glaubt auch der profilierte Gemeindepfarrer von Northampton, Oliver Coss: "großzügig die Gemeinden unterstützen und eine Wiedergutmachung für die Sünden unserer Vergangenheit leisten". (Sebastian Borger aus London, 16.1.2023)