Klimts "Kuss" wurde vom Belvedere in 10.000 digital zu erstehende Kacheln zerteilt. Die Marketingaktion ist umstritten, die Umweltbilanz von NFTs desaströs.

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"Die erste Welle ist wohl durch, aber das heißt nicht, dass das Thema NFT erledigt wäre", sagt Grischka Petri.

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In den Pandemiejahren 2020 und 2021 erlebten parallel zum Aufstieg der Kryptowährungen auch deren Kunstableger NFTs (Non-Fungible Tokens) einen beispiellosen Boom. Der Handel mit den digitalen Echtheitszertifikaten (digitale Kunstwerke werden auf einer sogenannten Blockchain kopiergeschützt gespeichert) eroberte den Kunstmarkt im Sturm, Millionengeschäfte wurden abgewickelt, das Belvedere und andere Museen weltweit sprangen auf den Zug auf – und dealten mit digitalen Kopien ihrer Meisterwerke zu Marketingzwecken. Klimts Kuss wurde in 10.000 Kacheln zerlegt und zum Stückpreis von 1850 Euro auf den Markt geworfen.

Doch 2022 folgte der jähe Fall: Kryptowährungen stürzten ab, NFTs mit ihnen. Zum großen Teil ab dem Zeitpunkt, ab dem die horrenden Energiekosten, also die schlechte Umweltbilanz der digitalen Kunstwerke ruchbar wurde. Nach zwischenzeitlichen Einnahmen von über vier Millionen Euro brach bald auch der Handel mit den Klimt-NFTs ein: Derzeit liegt der Stückpreis nur noch bei 495 Euro, erste Rückkäufe werden bereits abgewickelt.

Das Belvedere dürfte die Aktion mittlerweile selbst mit gemischten Gefühlen betrachten. Ab Montag will es in einem fünftägigen Onlinesymposium zum Thema Digitalisierung im Museumsbereich offen darüber diskutieren (Teilnahme unter www.belvedere.at/digitalmuseum2023). Der Kunsthistoriker und Jurist Grischka Petri eröffnet die Tagung.

STANDARD: Sie eröffnen im Belvedere ein fünftägiges Onlinesymposium, u. a. zu Metaverse und NFT. Hat das Thema nach einem kurzen pandemisch bedingten Hype in den Jahren 2020/21 nicht wieder sehr an Popularität eingebüßt?

Petri: Die erste Welle ist wohl durch, aber das heißt nicht, dass das Thema erledigt wäre. Die Tagung ist schon als Bestandsaufnahme sinnvoll. Gerade ohne den Hype ist es außerdem eine gute Sache, sich über nachhaltige Möglichkeiten und Zukunftsperspektiven für die Museen auszutauschen. Man muss dabei ja nicht alle Fragen mit "Ja, ich will" beantworten oder alles abfeiern, was einem die Plattformen anbieten.

STANDARD: Facebooks Metaverse-Träume interessieren bisher kaum jemanden, Kryptowährungen sind 2022 abgestürzt. Glauben Sie dennoch daran, dass die virtuelle Realität wichtiger werden wird, auch für Museen?

Petri: Virtuelle Realitäten sind nur ein Teil der digitalen Dimension von Museen. Als spielerisches Instrument der Erkundung werden sie eine Bedeutung behalten, wahrscheinlich auch ausbauen. In der Museumsdefinition des ICOM (International Council of Museums) bieten Museen "experiences for education, enjoyment, reflection and knowledge sharing". In dieser Aufgabenliste finden virtuelle Realitäten ihren Platz, sicher mal mehr in Richtung Education, mal mehr in Richtung Enjoyment.

STANDARD: NFTs galten zuletzt als heiße Ware am Kunstmarkt. Wird ihnen die schlechte Umweltbilanz aufgrund des Energiebedarfs den Garaus machen? Schließlich wollen Kunstsammler immer als ethisch einwandfrei gelten.

Petri: Ich bezweifle, dass Kunstsammler per se ethisch einwandfrei sammeln. Das mag für manche wichtig sein, während für andere das Investment zählt. Eine Sammlungsmotivation ist vielschichtig. Die miserable Umweltbilanz der NFTs bleibt dennoch ein Faktor, für Produzierende und für Sammlungen. Nicht zuletzt deshalb gibt es Anbieter, die ökofreundlichere NFTs versprechen. Für einen Garaus wird das nicht sorgen, aber die Nachfrage wird sich verschieben.

STANDARD: NFTs wurden ursprünglich entwickelt, um Digitalkünstlern zu ermöglichen, kopiergeschützte Originale herzustellen. Zuletzt haben aber auch Museen, darunter das Belvedere mit Klimts "Kuss", digitale Doubletten bestehender physischer Kunstwerke zu Marketingzwecken verkauft. Wie sehen Sie diese Zweckentfremdung?

Petri: Kritisch. Mein Tagungsbeitrag wird diese Spannung ansprechen: Kulturinstitutionen haben einerseits oft den Anspruch, das kulturelle Erbe zu bewahren und gegen eine Kommerzialisierung zu verteidigen, andererseits vermarkten sie dieses Erbe aktiv mit NFTs, die ihnen ein Monopol geben: Make data unique again!

STANDARD: Das Belvedere diskutiert immerhin offen über die Kontroverse. Aber hat sich das Museum mit dem Klimt-NFT verrannt?

Petri: Die Frage stellt sich, und sie sollte auf der Tagung zur Sprache kommen. Mir erschien die Dimension von 10.000 NFT-Kacheln schon etwas übermütig. Die Gefahr, dass man den Kuss eher etwas abgewertet hat, als dass sein kulturelles Kapital eine NFT-Rendite abwirft, sehe ich dennoch.

STANDARD: Die Kultursoziologen Luc Boltanski und Arnaud Esquerre haben in ihrer Theorie der "Bereicherungsökonomie" festgestellt, dass im heutigen Spätkapitalismus Profit immer häufiger nur noch aus bereits bestehenden Erzeugnissen geschlagen wird und immer weniger aus neuen Werken. Sind Klimt-NFTs oder auch das Milliardengeschäft mit alten Songrechten Ausdruck dessen?

Petri: Einerseits ja, andererseits gibt es so eine Logik in anderen Bereichen schon länger, etwa bei der Vermietung von Immobilien und in der Copyright-Ökonomie mit ihren extrem langen Laufzeiten. Diese Logik soll ja die exklusive Nutzung von Werken über einen bestimmten Zeitraum regeln und funktioniert offenbar so erfolgreich, dass man das Modell auf andere Nutzungen übertragen möchte. (Stefan Weiss, 16.1.2023)