Im Norden des Kosovo leben viele Serben, doch die serbischen Polizisten mussten auf Geheiß Belgrads die kosovarische Polizei verlassen.

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Die rot-blau-weißen Flaggen hängen an Masten, in Fenstern, selbst das Freibad hier im Norden des Kosovo ist in den Nationalfarben Serbiens ausgemalt. Graffiti und Plakate verweisen darauf, dass "Hier Serbien" sei und dass die serbischen Nummerntafeln für die Stadt Kosovska Mitrovica – kurz "KM" hier "bleiben werden".

Der Nordzipfel des Kosovo ist ein seltsamer Landstrich. Ein klotziges Denkmal für die Bergleute steht auf dem Hügel, verrostete Fabriken vermitteln Verwahrlosung, überall hat sich Müll angesammelt. Er scheint immer mehr zu werden, so wie die Straßenhunde, die so mager sind, dass ihre Rippen hervortreten, wenn sie um die Ecken schlendern.

Straßensperren und Barrikaden

Obwohl sich der Kosovo 2008 für unabhängig erklärte, wird hier, wo viele Serben und Serbinnen leben, die Hoheitsgewalt und territoriale Integrität des Staates infrage gestellt. Unzählige Male wurden Barrikaden errichtet. Zuletzt hofften wieder viele hier, dass der serbische Präsident Aleksandar Vučić den Norden des Kosovo zu Serbien holen würde.

Im Dezember beorderte er "seine" Leute hinter Straßensperren, er nannte den kosovarischen Premier Albin Kurti "terroristischen Abschaum" und zog die lokalen Serben aus allen kosovarischen Institutionen zurück. Vučić will schon seit Jahren den Nordkosovo in Serbien haben. Doch Ende Dezember musste er die Barrikaden auf Druck westlicher Staaten wieder abbauen lassen. Der Norden blieb einmal mehr das, was er schon lange ist: ein Kochtopf voller Gerüchte und Ängste, der von der Belgrader Politik immer wieder aufgewärmt wird.

Geschwächte Institutionen

Aber auch der kosovarische Premier Albin Kurti musste einen Rückzieher machen, als es darum ging, hier kosovarische Nummerntafeln einzuführen und die serbischen abzuschaffen. Mehr noch: Die Institutionen des Kosovo sind geschwächter als zuvor. Die seit November übriggebliebenen albanischen Polizisten werden von der Bevölkerung nicht unterstützt. Einer erzählt, dass seinen serbischen Kollegen zu Hause langweilig wird und sie zurückkommen wollen.

Viele Menschen haben hier das Gefühl, zwischen zwei Staaten eingezwängt zu sein. Miodrag Milićević von der NGO Aktiv erzählt, ein Beamter der kosovarischen Sonderpolizei habe ihm bei einer Verkehrskontrolle ohne irgendeinen Grund in den Bauch geschlagen. Er hat das Gefühl, dass die kosovarische Regierung nicht an einer Verbesserung der Situation der Serbinnen und Serben interessiert sei. Der Nummerntafelwechsel sei nicht vorbereitet worden. Gleichzeitig räumt er ein, dass Autos von jenen Leuten im Norden, die sich kosovarische statt serbische Nummerntafeln montierten, abgefackelt wurden.

Großes Misstrauen

Viele Serben und Serbinnen stehen von zwei Seiten unter Druck. Die eine will, dass das Gebiet in den kosovarischen Staat integriert wird, die andere will das Stück Land und die Menschen, die hier leben, aus dem Staat herauslösen.

Milićević meint, dass auch der Westen unklar handle. Deutschland und Frankreich haben jüngst den Vorschlag gemacht, ein Abkommen, ähnlich dem deutsch-deutschen Grundlagenvertrag von 1973, abzuschließen. Doch das Misstrauen zwischen Serbien und dem Kosovo ist groß. Vergangene Woche flogen Vertreter der US-Regierung nach Belgrad und versuchten Vučić zu beschwichtigen. Der serbische Außenminister Ivica Dačić erkärte jedoch, dass Belgrad den Vorschlag für das Abkommen verworfen hat. Die USA unterstützen indes die serbische Seite und fordern wie diese die Bildung eines Verbands der serbischen Gemeinden im Norden des Kosovo.

Die kosovarische Regierung fürchtet hingegen, dass Belgrad sich über einen solchen Verband noch stärker in den Kosovo einmischen kann. Viele Kosovo-Serben fühlten sich indes auch von Belgrad nicht gut repräsentiert, meint Miodrag Marinković von der NGO Aktiv. Die meisten seien vom serbischen Staat abhängig – 70 Prozent ihrer Jobs werden von diesem bezahlt. "Deshalb wählen sie die Partei, die in Belgrad an der Macht ist, und es entsteht hier keine Opposition", erklärt er.

Zwei Verletzte

"Jene, die sich nicht mit der Politik in Belgrad einverstanden erklären, werden diffamiert, bedroht, und ihre Familienmitglieder verlieren ihre Jobs", führt er aus. Wenn es dann auch noch zu gewaltsamen Vorfällen kommt – vor einer Woche schoss ein kosovarischer Soldat in die Luft und verletzte zwei Serben in der Enklave Štrpce –, wird die Angst unter Kosovo-Serben noch größer.

Gleichzeitig fühlt sich der Staat Kosovo von Serbien bedroht, das sich noch enger mit dem Kreml verbündet hat. Der russische Botschafter inspizierte jüngst serbische Truppen an der Grenze, dort wo Belgrad 28 Militärbasen dicht aneinandergedrängt errichtet hat. Auch pro-russische Paramilitärs zeigen sich dort. Und im Norden Mitrovicas tauchen auch russische Flaggen auf. (REPORTAGE: Adelheid Wölfl aus Nordmitrovica, 16.1.2023)