Die politische Konzeptkünstlerin Anna Jermolaewa lebt seit 1989 in Wien.

Foto: Maria Ziegelböck

Wien – Die in Russland geborene Konzeptkünstlerin Anna Jermolaewa wird Österreich bei der nächsten Kunstbiennale in Venedig 2024 vertreten, wie Kunst- und Kulturstaatssekretärin Andrea Mayer (Grüne) am Montag bekanntgab. Kuratorin des österreichischen Beitrags wird die bei der OÖ Landes-Kultur GmbH tätige Kunsthistorikerin und Leiterin der Abteilung Kunst- und Kulturwissenschaften, Gabriele Spindler. Die 60. Kunstbiennale findet von 20. April bis 24. November 2024 in Venedig statt.

Mayer betonte, wie wichtig es sei, dass Österreich mit einem starken Beitrag auf der Biennale vertreten sei. Es handle sich um einen der wichtigsten internationalen Drehpunkte bildender Kunst. Sie zitierte aus der Jurybegründung: "Das künstlerische Werk von Anna Jermolaewa zeichnet sich durch genaue Beobachtungsgabe, gesellschaftspolitisches Interesse, konzeptuell-serielle Verfahrensweisen, Leichtfüßigkeit und Witz aus", so Mayer.

Humor und Ernst

Kuratorin Spindler bezeichnet Jermolaewa als eine der "pointiertesten und relevantesten Positionen" der gegenwärtigen Kunst in Österreich. Im Mittelpunkt des Beitrags für den österreichischen Pavillon werden unter dem Titel A Language of Resistance Sprache und Ausdrucksformen des gewaltfreien Widerstands stehen, heißt es. "Ein Thema von hoher Aktualität, mit dem sich Anna Jermolaewa in ihrer künstlerischen Arbeit jedoch schon seit langem intensiv auseinandersetzt", so Spindler.

"Für mich bedeutet die Nominierung, Österreich bei der Biennale Venedig 2024 zu vertreten, eine unglaubliche Ehre und Verantwortung. Im Jahr 1989 kam ich als politischer Flüchtling aus der Sowjetunion nach Österreich, das zu meiner Heimat wurde. Im Laufe meiner Karriere habe ich eine künstlerische Praxis entwickelt, bei der unterschiedliche Medien zum Einsatz kommen. Meine Arbeit basiert auf Konzepten und Installationen, die das Soziale und Politische, den Humor und den Ernst des Menschseins in der Gesellschaft sowie die Poetik des Alltäglichen berühren. Ich danke für dieses Vertrauen und werde mein Bestes tun, um Österreich gut zu vertreten", sagte Jermolaewa bei der Verkündung.

Biennale-Team 2024: Kuratorin Gabriele Spindler (links) und Künstlerin Anna Jermolaewa.
Foto: Maria Ziegelböck

Politische Kunst, politisches Engagement

Jermolaewa wurde 1970 in St. Petersburg geboren und floh mit 19 Jahren als politische Dissidentin aus der Sowjetunion über Polen nach Österreich. Dort erhielt sie politisches Asyl und lebt seit 1989 in Wien, wo sie bei Peter Kogler an der Akademie der bildenden Künste studierte. 2006 bis 2011 war sie Professorin für Medienkunst am Zentrum für Kunst und Medientechnologie Karlsruhe. Seit 2019 unterrichtet sie Experimentelle Gestaltung an der Kunstuniversität in Linz, aktuell widmet ihr das Schlossmuseum ebendort die bisher größte Werkschau.

In ihren politischen Arbeiten verarbeitet die Konzeptkünstlerin Geschichten des menschlichen Zusammenlebens und sozialkritische Themen in Fotografien, Filmen, Zeichnungen und Installationen. Ihre Werke befinden sich in zahlreichen Sammlungen österreichischer und internationaler Institutionen, darunter das Mumok und das Belvedere in Wien sowie das Stedelijk Museum in Amsterdam.

Vergangenes Jahr zeigte das Wiener Mak die Ausstellung Tschernobyl Safari, mit der sich Jermolaewa mit der Ukraine solidarisierte und mit verkauften Editionen Spendengelder sammelte. Für das Fotoprojekt hatte sie das ukrainische Tschernobyl besucht und die in das verseuchte Gebiet zurückgekehrte Tierwelt dokumentiert. Die 53-Jährige engagiert sich für Geflüchtete aus der Ukraine, gilt als wichtige Integrationsfigur in der österreichischen Kunstszene und übte bereits vor dem Angriffskrieg scharfe Kritik am russischen Regime.

Gabriele Spindler ist oberösterreichische Kunsthistorikerin und Kuratorin für zeitgenössische Kunst.
Foto: Maria Ziegelböck

Von Paris nach Linz

Gabriele Spindler (*1972) ist oberösterreichische Kunsthistorikerin und seit Jänner 2022 als Leiterin der Abteilung Kunst- und Kulturwissenschaften sowie Kuratorin für zeitgenössische Kunst an der OÖ Landes-Kultur GmbH tätig. Von 2012 bis 2020 leitete sie die Landesgalerie Linz (heute Francisco Carolinum) des Oberösterreichischen Landesmuseums. Unter anderem arbeitete sie in der Peggy Guggenheim Collection Venedig, am Centre Georges Pompidou in Paris sowie am Wiener Belvedere. Zuletzt kuratierte sie die Retrospektive Number Two von Anna Jermolaewa am Schlossmuseum Linz.

Seit 2021 wird der Österreich-Beitrag für die Venedig-Biennale im Rahmen eines offenen Wettbewerbs gesucht. Die eingereichten Projekte der eingeladenen Kuratorinnen und Künstler werden in einem dreistufigen Auswahlverfahren einer Fachjury vorgelegt. Der diesjährigen Jury gehörten Lentos-Direktorin Hemma Schmutz, Felicitas Thun-Hohenstein, die Kuratorin des Biennale-Beitrags 2019, Mumok-Direktorin Karola Kraus, Dorit Margreiter, Professorin an der Akademie der bildenden Künste, sowie Marion Ackermann, Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden, an.

Die Entscheidung über die Nominierung des Siegerprojekts wie auch der Kuratierung erfolgte durch die Jury und Staatssekretärin Mayer gemeinsam. Das Budget für den österreichischen Beitrag wurde von 460.000 Euro (2021) auf 550.000 Euro erhöht, wie Mayer am Montag bestätigte. Dass es sich bei Künstlerin, Kuratorin sowie der Fachjury nur um Frauen handelt, sei allerdings kein bewusstes Statement. (Katharina Rustler, 16.1.2023)