Kulturstaatssekretärin Mayer ordnete nach Bekanntwerden der Anklage eine Prüfung der Vorgänge im Burgtheater an.

Foto: APA/HERBERT NEUBAUER

Kurz nach Bekanntwerden der Anklage gegen Florian Teichtmeister vergangene Woche hat das Wiener Burgtheater Konsequenzen gezogen: Das Dienstverhältnis mit dem Schauspieler, der gestanden hatte, tausende Missbrauchsdarstellungen von Kindern gesammelt zu haben, wurde mit sofortiger Wirkung beendet.

Zumindest in der Branche sind die Vorwürfe gegen Teichtmeister aber schon lange bekannt. Mehrere Medien, darunter auch DER STANDARD, berichteten bereits im September 2021 über Ermittlungen gegen einen berühmten Schauspieler, die von der Staatsanwaltschaft Wien öffentlich bestätigt wurden. Der Name wurde damals aus medienrechtlichen Gründen nicht genannt.

Auch das Burgtheater erfuhr laut eigenen Angaben durch die mediale Berichterstattung im Herbst 2021 von den Vorwürfen. Wäre eine Entlassung des Schauspieler also nicht schon viel früher möglich oder gar geboten gewesen? Aus Sicht von Fachleuten, die DER STANDARD kontaktiert hat, hätte das Burgtheater sehr wohl Möglichkeiten dazu gehabt.

Geheime Ermittlungen?

Burgtheaterchef Martin Kušej hatte im STANDARD-Interview vor einigen Tagen betont, dass das Haus nach Bekanntwerden der Vorwürfe im Herbst 2021 interne Untersuchungen durchgeführt habe. Die Direktion habe die "Gerüchte" aber nicht erhärten können – auch deshalb nicht, weil Teichtmeister gegenüber der Institution seine Unschuld beteuerte und von einem Racheakt seiner Freundin sprach.

Anders im Ermittlungsverfahren: Dort hat Teichtmeister die Tat bereits früh gestanden, wie seine Anwälte nach Bekanntwerden der Anklage mitteilten. Strafrechtliche Ermittlungsverfahren werden, so Kušej, jedoch "geheim unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt". Als Arbeitgeber "haben wir auch keinen Anspruch darauf, von der Staatsanwaltschaft über den Stand des Ermittlungsverfahrens informiert zu werden". Für arbeitsrechtliche Schritte gegen Teichtmeister im Sinne einer vorzeitigen Beendigung des Dienstverhältnisses habe es deshalb keine Grundlage gegeben.

Aufforderung an Teichtmeister

Philipp Maier, Rechtsanwalt für Arbeitsrecht bei Baker McKenzie, sieht das im STANDARD-Gespräch anders. Es stimme zwar, dass Arbeitgeber normalerweise selbst keine Einsicht in den Strafakt haben. Das Burgtheater hätte Teichtmeister aber einfach dazu auffordern können, den Akt vorzulegen und zum Beispiel jeden Monat eine aktuelle Kopie davon zu übermitteln. Hätte Teichtmeister dem zugestimmt, hätte das Theater von dessen Geständnis gegenüber den Ermittlungsbehörden erfahren. Eine Entlassung wäre dann problemlos möglich gewesen.

Hätte Teichtmeister die Einsicht in den Strafakt gegenüber seinem Arbeitgeber abgelehnt, hätte dieser Verdacht schöpfen können. "Dann hätte das Burgtheater ihn wohl auch als vertrauensunwürdig entlassen können", sagt Maier. "Der Arbeitgeber muss den Ermittlungsstand ja überprüfen können und kann sich nicht allein auf das Wort des beschuldigten Arbeitnehmers verlassen."

Körber-Risak: Entlassung beste Option

Auch aus Sicht der Arbeitsrechtsexpertin Katharina Körber-Risak ist das Argument, das Burgtheater habe keine Möglichkeit gehabt, gegen Teichtmeister vorzugehen, da die Unschuldsvermutung gelte, "nicht haltbar", wie sie im Ö1-"Mittagsjournal" argumentierte. Diese sei im Strafrecht relevant, nicht aber bei der Auseinandersetzung mit einer möglichen Entlassung. Arbeitgeber hätten nicht die gleichen Möglichkeiten wie Strafverfolgungsbehörden und seien daher immer mit einer gewissen Unsicherheit konfrontiert.

Notwendig sei daher eine Interessenabwägung. Auf der einen Seite müsse der mögliche Reputationsschaden für die Burg erwogen werden sowie die Fürsorgepflicht für die Belegschaft: So könne man argumentieren, dass jemand, dem der Besitz von Kindesmissbrauchsdarstellungen vorgeworfen wird, der Belegschaft nicht zuzumuten ist. Auf der anderen Seite hätte es für das Burgtheater im Fall der Entlassung die Gefahr gegeben, dass sich Teichtmeister dagegen vor Gericht beschwert. Erfolgreich wäre das aus heutiger Sicht nicht gewesen. "Man sieht an dem PR-Debakel, was die bessere Entscheidung gewesen wäre", sagt Körber-Risak.

Burgtheater habe zu spät gehandelt

Man hätte der Tatsache, dass Teichtmeister die Vorwürfe abstritt, nicht so viel Bedeutung beimessen sollen, sagt Körber-Risak. Natürlich tue das jemand, wenn sonst eine Entlassung drohe. Zumindest hätte Teichtmeister suspendiert werden sollen, findet die Juristin. Auch sie ist wie Rechtsanwalt Maier der Meinung, dass sich die Burg zum Stand der Ermittlungen hätte erkundigen müssen.

Arbeitgeber würden etwa bei Vorwürfen der sexuellen Belästigung oft nicht auf ein Ergebnis des Strafverfahrens warten. Die Rechtsprechung schreibe das auch nicht vor, eher sei eine interne Abwägung notwendig. Der Entlassungsgrund der Vertrauensunwürdigkeit sei bei derart gravierenden Straftaten "eindeutig getriggert", sagt Körber-Risak. "Spätestens da ist arbeitsrechtlich zu handeln, da kann ich nicht sagen, ich warte mal ab, was da rauskommt."

Könnte eine Suspendierung aber nicht die Prävention künftiger Fälle verhindern, weil anonyme Pädophile sich aus Angst vor Konsequenzen keine Hilfe suchen? Diese Sorge anderer Expertinnen kann die Juristin nicht nachvollziehen. Eher verhindere es die Prävention, wenn Außenstehende bemerken, dass trotz eines derart starken Vorwurfs, der in diesem Fall begründet war, nicht entlassen wird. Man sehe an der #MeToo-Debatte, dass gerade gesellschaftliche Ächtung einen präventiven Effekt habe, der auch dazu führe, dass Betroffene an Behörden herantreten. (Muzayen Al-Youssef, Jakob Pflügl, 16.1.2023)