Von Freunden zu Gegnern: Ex-Juventus-Turin-Präsident Andrea Agnelli (links) und Uefa-Präsident Aleksander Čeferin.

Foto: AP/Fabio Frustaci

Der 18. April 2021 markierte das Ende einer Freundschaft: Uefa-Präsident Aleksander Čeferin war ein langjähriger Kumpel Andrea Agnellis und der Taufpate von Agnellis Tochter. An diesem Tag im April fiel der damalige Präsident von Juventus Turin und Vorsitzende der European Club Association (ECA) seinem Freund in den Rücken, als die Pläne für die Super League publik wurden.

Unter der Federführung Agnellis und von Real Madrids Präsident Florentino Pérez formierte sich eine Elite aus zwölf Vereinen, um losgelöst vom Fußballverband Uefa vor allem eines zu tun: noch mehr Geld zu scheffeln. Nach dem Motto: "Die besten Klubs. Die besten Spieler. Jede Woche."

Verrat, Macht und Lügen

Was als sportliche Avantgarde verkauft werden sollte, galt als Kriegserklärung an den Fußball: die Gründung eines eigenen Bewerbs als neuer Königsklasse – ein Todesstoß für die Champions League. Nach einem Tsunami der Entrüstung wurde das Projekt nach nur wenigen Tagen abgeblasen, komplett vom Tisch ist es deswegen noch lange nicht.

Im Spiel ist ein toxischer Cocktail aus Verrat, Macht und Lügen. Wie es dazu kam und die Super League auf den letzten Metern noch verhindert werden konnte, zeigt jetzt die vierteilige Dokumentation "Super League: Das Spiel abseits des Feldes", die auf Apple TV+ zu sehen ist. Auf Englisch heißt sie martialischer "The War for Football".

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Čeferin gegen Agnelli

US-Regisseur Jeff Zimbalist rekonstruiert auf der einen Seite anhand von Interviews und Dokumenten penibel, wie es zu diesem Zerwürfnis zwischen zwölf Topklubs und der Uefa kommen konnte, und personalisiert die Fehde auf der anderen Seite entlang des Verhältnisses zwischen Aleksander Čeferin und Andrea Agnelli. Der Stachel dürfte tief sitzen, sehr tief. Čeferin spricht noch immer von "Vampiren, die mitten in der Nacht eine Presseaussendung veröffentlicht haben", und von "Schlangen", die ihn umgeben hätten.

US-Filmemacher Jeff Zimbalist.
Foto: Apple TV+

Auch als sich die Gerüchte über die Konkurrenzveranstaltung Super League immer weiter verdichteten, habe ihm Juve-Boss Agnelli versichert, dass nichts dran sei. "Ich habe noch nie eine Person gesehen, die so oft gelogen hat wie er", sagt Čeferin. Und Agnelli? Er hat einen anderen Zugang. "Ich verstehe die persönliche Enttäuschung, es geht aber ums Geschäft." Es brauche Visionen, um den Fußball weiterzuentwickeln. Die Corona-Pandemie habe eben für enorme finanzielle Einbußen gesorgt, die wollte er kompensieren.

Pérez, Agnelli und Glazer

Statt das Fußballgeschäft mit einer Redimensionierung bei Spielergehältern oder Transfersummen gesundzuschrumpfen und die Spirale zu stoppen, sollte die Antwort ein neues Monsterprojekt sein. Die Finanzspritze in Form von 3,5 Milliarden Euro hätte über die US-amerikanische Bank JP Morgan Chase abgewickelt werden sollen. Eine eigens gegründete Firma sollte die Vermarktung übernehmen. Als Präsident war Florentino Pérez von Real Madrid vorgesehen, als Vizepräsidenten Andrea Agnelli (Juventus Turin) und Joel Glazer, Eigentümer von Manchester United.

Die sechs Topklubs der englischen Premiere League (FC Arsenal, FC Chelsea, FC Liverpool, Manchester City, Manchester United, Tottenham Hotspur) und jeweils die drei Spitzenvereine aus Italien (AC Milan, Inter Mailand, Juventus Turin) und Spanien (Real Madrid, FC Barcelona, Atlético Madrid) wollten die Liga mit 20 Mannschaften etablieren. Der Modus: zwei Zehnergruppen mit Hin- und Rückspielen mit einer anschließenden K.-o.-Phase. 193 Spiele pro Saison.

Bayern und PSG wollten nicht

Bestehen sollte die Liga aus 15 fixen Teams, die sich nicht über die nationalen Meisterschaften wie bei der Champions League qualifizieren müssen, sondern Stammgäste mit jährlich garantierten Einnahmen sind. Dazu sollten sich etwa noch Bayern München und Paris Saint-Germain gesellen. Nur: Die wollten nicht. Fünf Mannschaften hätten sich Jahr für Jahr qualifizieren können. Von einer geschlossenen Gesellschaft könne keine Rede sein, betonten die Initiatoren.

Als er am 18. April 2021 von den Plänen für die Super League erfahren hatte, war das für ihn als Fußballfan ein "Schock", sagt Regisseur Zimbalist im Gespräch mit dem STANDARD. "Ich hatte eine Million Fragen, aber die wichtigste war: Was denken sich die Strippenzieher dabei?" Und als Filmemacher begann er sie auch zu stellen. "Wir wollten mit allen Seiten sprechen und keine Stellung beziehen." Das Publikum soll sich ein eigenes Bild machen.

Čeferin, der Held?

Und das Bild ist verheerend. Eine Realisierung der Pläne hätte das "Ende des Fußballs" bedeutet, so formuliert es zumindest Uefa-Präsident Čeferin, der sich nur allzu gerne als Retter inszenieren lässt. Wenn er etwa von den Werten spricht, die der Fußball vermittelt, oder wenn er von einem kroatischen Fan erzählt, dessen Hund Mitglied eines Vereins ist. Nur: Auch Čeferin geht es um Macht und Geld, wenn er die Champions League verteidigt.

Der Beginn der Super League hätte wohl auch sein Ende als Uefa-Präsident eingeläutet. Wer die Balance zwischen den großen Klubs und den kleinen Fischen im Verteilungskampf ums Geld nicht schafft, ist fehl am Platz – auch wenn sie sehr schwierig ist. Čeferin, zuvor erfolgreicher Rechtsanwalt in Slowenien, versprach bei seiner Wahl zum Uefa-Präsidenten im Jahr 2016, die Interessen der weniger finanzstarken Klubs im Auge zu behalten.

Nasser Al-Khelaifi als wichtiger Verbündeter

Dass ausgerechnet der finanzielle Krösus Paris Saint-Germain Čeferin Rückendeckung gab, ist eine weitere Facette des absurden Spiels. Der katarische Geschäftsmann und PSG-Präsident Nasser Ghanim Al-Khelaifi konnte sich als Kämpfer gerieren, dem es um das Wohl des Fußballs und nicht um seine eigenen Millionen geht – Seite an Seite mit den englischen Fans, die auf die Barrikaden stiegen, um ihre Vereine gegen den Verrat der Eigentümer zu schützen.

Nasser Ghanim Al-Khelaifi.
Foto: Reuters/CHRISTIAN HARTMANN

Rolle der Fifa unklar

Für seine Dokureihe hat Zimbalist mit 30 Protagonisten gesprochen, nur einer habe sämtliche Interviewanfragen abgeblockt: der umstrittene Fifa-Präsident Gianni Infantino, nicht zuletzt im Dauerfeuer der Kritik wegen der Weltmeisterschaft in Katar. "Die Rolle der Fifa gehört zu den Mysterien dieser Tage", sagt Zimbalist. Geleakte, noch nicht finale Dokumente zur Architektur der Super League deuteten im April 2021 darauf hin, dass unter dem Code "WO1" auch die Fifa ihren Sanktus zur Super League geben wollte. Im Gegenzug sollten die Teams Infantinos Pläne für eine Klub-WM mittragen und daran teilnehmen. Die Fifa will mehr vom Kuchen.

WM alle zwei Jahre und Klub-WM

Hintergrund ist ein länger schwelender Machtkampf zwischen Uefa-Präsident Čeferin und Infantino, der dadurch befeuert wurde, dass Infantino die Weltmeisterschaft alle zwei Jahre abhalten möchte. Die Uefa legte sich quer. Sie umfasst zwar nur 55 nationale Fußballverbände, ist aber mit den europäischen Klubbewerben und der Europameisterschaft trotzdem umsatzstärker als der viel größere Weltverband mit seinen 211 Mitgliedern. Die Uefa erwirtschaftete im vergangenen Geschäftsjahr einen Umsatz von 5,7 Milliarden Euro, die Fifa schafft das nur in einem WM-Jahr.

Čeferin und Infantino.
Foto: imago images/PA Images

Fifa unterstützte dann Uefa

Als der Gegenwind für die Super League immer rauer wurde, stellte sich letztendlich auch die Fifa auf die Seite der Uefa und verhinderte im Verbund mit den nationalen Verbänden das Ausscheren des "dreckigen Dutzends", wie Čeferin die zwölf Klubs bezeichnet hatte. Infantino tat das wohl weniger aus persönlicher Überzeugung, sondern aus Opportunismus. Wer möchte schon auf der Seite der Verlierer stehen? Neben den Ausschlüssen aus der nationalen Liga kündigten Uefa und Fifa an, dass Spieler der Super League nicht an Europameisterschaften und Weltmeisterschaften würden teilnehmen dürfen. Ein Druckmittel, das saß.

Britische Regierung drohte mit Sanktionen

Zimbalist, selbst ein großer Fußballfan, hat bereits in seinen Produktionen "The Two Escobars", "Pelé" und "Nossa Chape" verschiedene Fußballphänomene durch die gesellschaftliche Brille analysiert. Das macht er auch mit der Super League, nicht zuletzt weil Fanvertreter zu Wort kommen und Zimbalist die wichtige Rolle der Politik thematisiert. Der damalige britische Premier Boris Johnson hat sich seinerzeit klar auf die Seite der Fanszene gestellt und den involvierten Klubs harte Konsequenzen angedroht. Und Kultur- und Sportminister Oliver Dowden brachte das Kartellrecht ins Spiel. Selbst die Royals in Form von Prinz William machten gegen die Super League mobil.

Letztendlich waren das alles Puzzlesteine, die das House of Cards rasch zum Einsturz brachten. Nur 48 Stunden nach der Verkündung der Super League stieg zuerst der FC Chelsea nach massiven Fanprotesten aus, die restlichen Klubs fielen in Dominosteinmanier um. Die Vereine und ihre Besitzer entschuldigten sich bei den Fans.

Vereine klagen wegen Monopolstellung

Ist jetzt alles gut? Mitnichten. Real Madrid, der FC Barcelona und Juventus Turin haben ihre Pläne noch nicht aufgegeben. Sie versuchen die "Monopolstellung" der Fußballverbände vor Gericht zu bekämpfen. Uefa und Fifa hätten ihre Macht missbraucht, lautet ihr Vorwurf. Es werde zwar in nächster Zeit keine exakte Kopie der Super-League-Pläne geben, sagt Zimbalist: "Ich glaube aber nicht, dass es vorbei ist. Die Identitätskrise hält an." Der Spagat zwischen Fans und Business: ein Dauerthema. (Oliver Mark, 22.1.2023)