Familientradition: Das Geschäft hat Andreas Lorenzi von seiner Mutter, eigentlich Opernsängerin, übernommen.

Foto: Christian Fischer

In einer kürzlich eröffneten Galerie namens Scharf-Sinn veranstaltet Lorenzi traditionelle Schleifworkshops für Leute, die ihre teuren Messer und Scheren schnittig halten wollen.

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Messer, die nicht schneiden? Etwas Schlimmeres lässt sich über ein Messer nicht sagen.

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Die hochwertigsten Scheren kommen aus Japan, befindet Lorenzi.

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Seit drei Generationen wollte eigentlich niemand mehr so richtig weitermachen, aber dann erbarmte sich doch immer wieder jemand. Die Tradition! Der Stammbaum! All das wiegt natürlich noch ein bisschen schwerer, wenn der ausgesprochene Familienname auf der Zunge zergeht wie italienisches Gelato: Lorenzi. Zwanzig Familien dieses Namens gibt es, die in der Messer- und Scherenschleiferei tätig sind, die meisten in Mailand und Umgebung. Die Familie des Andreas Lorenzi stammt von Bergbauern aus Mortaso im norditalienischen Val Rendena ab und verschlug es von dort aus nach Wien. "Es gab Jahre mit vielen Nachkommen und wenig landwirtschaftlichem Ertrag, was das Tal zu einem klassischen Auswanderertal machte." Die aus dem benachbarten Val di Zoldo brachten das Gelato mit nach Wien, andere aus der Gegend waren Rauchfangkehrer und Salamihersteller.

Lorenzis Urgroßvater schob noch einen Schleifkarren durch die Lande, ähnlich einer Schubkarre aus Holz, an der ein mittelgrober Sandstein befestigt war, wie man ihn über die Jahrtausende zum Schleifen verwendete. Das Pedal konnte man auf den Karren hängen, damit es nicht im Weg war, das Rad, das auch den Stein antrieb, diente zur Fortbewegung. "Der Stein eignete sich ganz gut zum Schleifen", sagt der Urenkel, "die Silikate aber waren für die Lungen nicht so gut." Mit vermutlich malader Lunge wanderte der Urgroßvater also aus Welschtirol, wie die Gegend im heutigen Trentino früher mal hieß, bis nach Leipzig hinauf. Auf der Durchreise lernte er in Wien eine nette Dame kennen, deren Familie auch schon Lorenzi hieß und die bereits "seit 1835" das noch heute existierende Geschäft in der Siebensterngasse in Wien-Neubau betrieb. Auf der Rückreise heirateten die beiden.

Spitze Klinge

Andreas Lorenzi selbst hat BWL studiert und hatte "bis kurz vor knapp gar nicht vor, dass ich den Laden übernehme". Als seine Mutter Elvira in Pension gehen wollte, übernahm er das Geschäft dann doch als "betriebswirtschaftlichen Chemiebaukasten", an dem er ein bisschen experimentieren wollte. "Aber wie es dann halt oft kommt: Mit dem Essen steigt der Appetit."

Während die Großmutter im Nebenraum des kleinen Geschäfts im siebenten Bezirk noch hauptsächlich geschliffen und nebenher ein bisserl verkauft hat, reiste seine Mutter in den 1970er- und 80er-Jahren bereits auf Messen in die USA und forcierte zunächst den Handel mit modernen Taschenmessern. Die Schleiferei blieb aber immer ein Standbein, was Andreas Lorenzi in Zeiten, da wieder Hochwertiges nachgefragt wird und man Erworbenes auch servicieren lassen möchte, zugute kommt: "Warum sonst gebe ich ein paar Hundert Euro für ein Küchenmesser aus, wenn ich es nicht schleifen lassen kann?"

Japanische Messer

Nun geht der Trend seit Jahren in Richtung Kochen daheim, befeuert durch Kochsendungen, Kochbücher, Blogs und Social-Media-Accounts. Und dieser Trend hat noch einmal Fahrt aufgenommen durch Covid und das Gedöns um selbst gebackenes Sauerteigbrot, das selbstredend mit dem "richtigen" Messer geschnitten werden musste. "Aber ob das so bleibt und sich in Zukunft jeder einen mehrere hundert Euro teuren Küchenmesserboliden zulegt, wage ich zu bezweifeln", sagt Lorenzi.

Er baute daher seine Kontakte zu kleinen Messerschmieden beispielsweise in Japan kontinuierlich auf und importiert nun Produkte, "die die Leute gerne in die Hand nehmen". Dabei wäre "das japanische Küchenmesser" (Makiri, Santoku, Gyûtô und wie sie alle heißen), um das sich seit längerem alles zu drehen scheint, weder besonders exotisch noch superexklusiv. "Die Japaner haben nur die Eigenart, dass sie die Klingen mit härteren Stählen sehr dünn ausarbeiten, wodurch sie von vornherein schneidfreudiger und schneidhaltiger sind." Die Damastaußenlagen ließen sie dann halt auch noch ein bisschen exotisch aussehen, wobei: "Ob das 100 oder 200 Lagen sind, ist völlig wurscht."

Geschliffene Freude

Mancher Kunde, dem erst über eine Bonuspunkteaktion im Supermarkt ein "Qualitätsmesser" nachgeschmissen wurde, fragt dann bei ihm fachmännisch nach Messern vom Zwilling ("seit 1731"), einem traditionellen Hersteller aus der deutschen Messerhochburg Solingen.

Andere Traditionsfirmen wie Böker ("seit 1869") produzieren noch die "Manufaktur"-Serie dort, "Böker Arbolito" wird aber seit 30 Jahren in Argentinien gefertigt und "Böker Plus" hauptsächlich in Thailand. Und die Zeiten, wo im Messersektor aus China nur "billiges Klumpert" gekommen wäre, so Lorenzi, seien lange vorbei. "Die fahren über den Markt drüber, sowohl bei Qualität, Marketing als auch beim Design." Das Einzige, was denen noch fehle – und was immer noch ein Verkaufsargument wäre –, sei der Gründermythos.

Damit versucht nach wie vor der heimische "Trattenbacher Feitel" mit seiner dreieckigen Klinge zu punkten, was ihm aber im Unterschied zum Opinel aus dem französischen Savoyen, das "mit gedrechseltem Holzgriff und einer Drehverriegelung, die sinnvoll ist", als "Einstiegsdroge für Sammler" gilt, nicht mehr gelingt. Trotzdem gab Lorenzi noch eine Charge in Auftrag, die dann bei ihm aber richtig geschliffen werden müsse, weil "die Dinger neu überhaupt nicht schneiden". Und etwas Schlimmeres lässt sich über ein Messer kaum sagen.

Appetit auf den richtigen Schliff

Nur loben könne man die Messerschmiede der italienischen Stadt Maniago am Fuße der Alpen, "da kommen richtig feine Dinge her!" Ebenso wie aus Japan "hochwertige Haarscheren", über die er sich beim Einkauf vor Ort besonders freute, als er sah, "dass die in der Produktion nicht viel anders vorgehen, als ich mir das zusammengereimt habe in der Reparaturschleiferei." Der Unterschied zur normalen Schere? "Der Stahl, die Klingengeometrie, der Schliff. Das sind Hochpräzisionswerkzeuge, die beim Schneiden praktisch geräuschlos sind, weil innen so perfekt gehont."

Mittlerweile teilt Lorenzi seine Freude und weckt in seiner kürzlich eröffneten Galerie Scharf-Sinn bei einer stets größer werdenden Gruppe von Aficionados den Appetit auf alles, was mit Messer und Schliff zu tun hat. Dort veranstaltet er "Schleifworkshops", die er gerne mit der Frage "Finden Sie den Fehler?" einläutet. Dann zeigt er etwas, "das zwar täuschend aussieht wie ein Messer, aber keines ist". Warum nicht? "Weil es eine Säge ist!"

Aber auch denen, die irrtümlich eine Säge kaufen anstatt eines Messers, kann geholfen werden. Billiger wäre es nur, sich gleich was G’scheites zu kaufen, mit dem dann auch nachfolgende Generationen noch eine Freude haben. So wie er eine Freude mit seinem Geschäft hat, das er anfangs gar nicht wollte. (Manfred Rebhandl, 17.1.2023)