Wer wissen will, was am Set passiert, muss auch bei Maskenbilderinnen und Menschen hinter der Kamera nachfragen, sagt Meike Lauggas.

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Die Anlauf- und Beratungsstelle für Filmschaffende in Österreich, #we_do!, sammelt seit 2019 Fälle von Übergriffen, Diskriminierung und arbeitsrechtlichen Missständen in der österreichischen Filmbranche. Nach Berichten wie jenem über die Anklage gegen Florian Teichtmeister steigen die Anfragen bei der Beratungsstelle stark an. Meike Lauggas, Beraterin bei #we_do!, über notwendige Veränderungen und wenig beachtete Machtverhältnisse, die prominente Schauspieler:innen oft schützen – und andere schweigen lassen.

STANDARD: Bei Ihnen können sich auch Arbeitgeber:innen aus der Filmbranche melden, etwa wenn sie nicht wissen, wie sie mit einem Fall umgehen sollen. Welche Fragen kommen da?

Lauggas: Worauf müssen wir schauen, was ist unsere Pflicht, und wie verhindern wir Übergriffe und Machtmissbrauch? Das treibt sie um, und unser Präventionsangebot wird stark nachgefragt. Wir haben schon unterschiedlichste Workshops für unterschiedliche Gruppen angeboten. Viele Produktionsfirmen fragen uns an, weil sie sich vorstellen können oder vielleicht auch ahnen, dass es bei ihnen immer wieder zu Übergriffen oder ähnlichem gekommen ist – und viele wollen so viel präventive Maßnahmen wie möglich ergreifen. Auch um ein Signal zu setzen. Außerdem entwickeln wir mit ihnen einen Leitfaden, was im Falle des Falles getan werden sollte, ein Case-Management, um nicht in der aktuellen Situation hektisch zu agieren.

STANDARD: Und die Betroffenen?

Lauggas: Viele Betroffene melden sich, um Erlebtes sortieren zu können, um zu erfahren, was sie tun können. Sie beschäftigen Fragen wie: Was hätte ich tun oder anders machen können? Warum hat niemand etwas getan? Bin ich selbst schuld? Es wurde uns zum Beispiel einmal eine eklatante sexuelle Belästigung geschildert, doch die Betroffene war sich unsicher, ob das wirklich eindeutig sei. War es aber. So etwas ist das Resultat von Manipulation durch die Verursachenden. Die Betroffenen fühlen sich schlecht – gleichzeitig bemühen sie sich zu glauben, es sei doch gar nix. Das wird Gaslighting genannt.

Und manche rufen einfach nur an, damit etwas dokumentiert wird – damit es nicht heißt, es passiert eh nichts. Manche haben das Problem, dass sie wieder mit wem zusammenarbeiten müssen, mit dem oder der schon etwas passiert ist – und die Aussicht, wieder zusammenarbeiten zu müssen, alles wieder aufreißt. Es rufen auch Zeug:innen an, auch vom Set direkt wurde schon angerufen. Aber alle eint, Arbeitgeber:innen wie Betroffene, dass sie rechtliche Informationen und Werkzeuge für den Umgang mit Vorfällen brauchen. In konkreten Fällen orientieren wir uns gänzlich daran, was die Betroffenen möchten, und suchen nach einer passenden Lösung. Auf ihren Wunsch moderieren wir auch Klärungsgespräche mit allen Beteiligten.

STANDARD: Sie haben vorhin beschrieben, dass Betroffene oder Zeug:innen oft sehr hadern damit, etwas zu sagen.

Lauggas: Ja, und ihre Sorgen sind berechtigt. Nach wie vor. Und fast alle suchen erstmals nach Möglichkeiten, selbst die Angelegenheit in den Griff zu kriegen. Seitens der Menschen, an die sie sich wenden, ist momentan die Angst oft größer, jemanden vorzuverurteilen, als jemanden im Stich zu lassen. Das ist die Situation. Ich bin entschieden gegen Vorverurteilungen, gleichzeitig darf dabei die Fürsorgepflicht von Arbeitgeber:innen nicht vergessen werden. Es ist notwendig, sich immer zu überlegen: Angenommen, es stimmt, was die Person erzählt, was kann ich tun, um sie zu unterstützen?

Meike Lauggas ist Coach, Trainerin und Lehrbeauftragte an Universitäten sowie Fachhochschulen. Seit 2019 ist sie Beraterin bei #we_do!.

STANDARD: Wie?

Lauggas: Als Arbeitgeber:in ist es wichtig, jeden Verdacht ernst zu nehmen und gegebenenfalls sofort Abhilfe zu schaffen. Für Betroffene ist es wirklich wichtig, darüber zu reden, mit Vertrauten oder einer Beratungsstelle, auch um den Manipulationen etwas entgegenzusetzen, um zu merken, dass man sich das nicht einbildet. Allerdings gibt es auch die, die etwas sagen – und dann tatsächlich Nachteile haben –, und das warnt alle anderen. Das Problem ist das Spannungsverhältnis zwischen Herrschaftsverhältnissen, Rechtssystem und dass viele solche schlechten Nachrichten einfach nicht hören wollen. Dass Vorstellungen von Idolen zerplatzen. Drohung mit Verleumdungsklagen sind inzwischen als neue Waffe hinzugekommen, damit Betroffene schweigen.

STANDARD: Was können Auftraggeber:innen, Regisseur:innen präventiv machen? Mit wem sollte man sprechen, um zu wissen, was am Set vor sich geht?

Lauggas: Ein klares Statement, Hinweis auf Beratungsstellen und eventuell auch ein ausgearbeiteter Plan, was im Falle eines Vorfalles passiert, wäre schon mal gut. Um herauszufinden, was vorgefallen ist, gilt es auf allen Hierarchien immer wieder mal nachzufragen: Es ist wichtig, auch eine Maskenbildnerin oder Beschäftige in der Garderobe zu befragen – bei all jenen, die in der Hierarchie noch sehr stark abgewertet werden. Wenn sie was sagen, würden sie einfach ausgetauscht, aber die prominente Person sei nicht ersetzbar – das hören wir ständig.

In einem Workshop haben wir etwa erfahren, dass bei einer Produktion Frauen dringend angeraten wurde, dass sie am Set Becher mit Deckel haben, damit sie vor K.-o.-Tropfen geschützt sind. Das ist gut gemeint, es wird aber von der völlig falschen Seite aufgezogen und gibt die Verantwortung wieder an die Frauen: Es gilt, sich darauf zu konzentrieren, dass K.-o.-Tropfen am Set absolut nichts verloren haben und dass wer sie einsetzt, mit massiven Konsequenzen zu rechnen hat.

STANDARD: Was muss sich ändern?

Lauggas: Auf struktureller Ebene muss viel passieren. Es muss für alle klar sein, was in Ordnung ist und was nicht. Und es dürfen nicht diejenigen, die sich wehren, das Risiko tragen. Zum Beispiel schauen viele Verträge inzwischen anders aus oder das Verhalten am Set wird an Fördergelder gekoppelt. Es muss denen, die sich falsch verhalten, aber einen großen gesellschaftlichen Rückhalt haben, wirklich schwer gemacht werden – insofern gilt es auch, Kompliz:innen und Vertuscher:innen in die Verantwortung zu holen. Und das Gewicht der Unschuldsvermutung muss ebenso schwer wiegen wie das Nachdenken darüber, wie viel eine Person riskiert, wenn sie etwas sagt. (Beate Hausbichler, 17.1.2023)