Bret Easton Ellis 2019 auf Werbetour für sein damaliges Buch "Weiß".

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Bret Easton Ellis zählt mit Sicherheit zu den größten Chronisten, die die "Traumstadt" Los Angeles zu bieten hat. Neben Vorgängern wie James Ellroy, John Fante oder Charles Bukowski dient auch dem heute 58-jährigen US-amerikanischen Autor die Stadt nicht nur als Kulisse, in der sich die großen und kleinen Tragödien des Lebens oder das unfassbare, hinter der Hochglanzfassade der Metropole lauernde Grauen dem Auge das Betrachters erschließen. In Romanen wie Unter Null oder jetzt auch The Shards wird Los Angeles selbst zur Erzählung.

Sein neuer, mit über 700 Seiten mehr als üppig angelegter Roman The Shards, was man möglicherweise als "Scherbenhaufen" übersetzen könnte, bildet da keine Ausnahme. Im Gegensatz zur Kollegenschaft allerdings entwirft Ellis seine Szenarien nicht in den vielbeschworenen, bis hin zum Klischee verdichteten und inflationär gewordenen Hinterhöfen des amerikanischen Traums. Als Sohn aus reichem Elternhaus findet und beschwört Bret Easton Ellis seine Dämonen ausschließlich im Milieu einer reichlich stumpfsinnig und gefühlskalt unter der immerwährenden Sonne Kaliforniens am Pool bratenden Jeunesse dorée.

Innere Leere

Speziell seine prägende Jugendzeit während der frühen 1980er-Jahre hat es dem Autor angetan. Damals erlebten der uneingeschränkte Hedonismus, das Ja zur Konsumgesellschaft und der Neoliberalismus in Form des sogenannten Yuppietums ihren Höhepunkt. Auch sonst dient Ellis die reine, schöne und spiegelglatte Oberfläche einer Gesellschaft, die sich nur dem Erfolg, den Statussymbolen und der dadurch empfundenen inneren Leere verpflichtet fühlt, als Ausgangspunkt.

Zuletzt veröffentlichte Bret Easton Ellis die durchwachsen aufgenommene, unter anderem gegen Wokeness vorgehende "Zeitgeistschelte" und Essaysammlung Weiß, in der er sich in der Rolle des vom neoliberalen Paulus zum stramm konservativen Saulus gewandelten Provokateurs gefiel. Es handelte sich dabei nach der noch heute nachwirkenden Grausamkeit seines bekanntesten Romans American Psycho und dessen schwer verdaulichen Gewaltszenen immerhin um eine neue Schocktaktik. Schließlich verweigerte Ellis zuvor seit jeher irgendwelche tiefergehenden Analysen oder gar Innensichten. Die reine Oberflächlichkeit als Jeff Koons der US-Gegenwartsliteratur war ihm Botschaft genug.

Bret Easton Ellis

In The Shards, seinem ersten Roman seit 13 Jahren, macht sich Ellis – und dies ist wohl der eigentliche Kunstgriff – selbst zur Hauptfigur. Bret Easton Ellis hat also mit 17 im letzten Jahr an der Highschool damit begonnen, an seinem Roman Unter Null zu schreiben. Er verbringt mit seiner Clique so wie auch im späteren Roman, mit dem er 1985 seinen Erfolg begründete, ein weitgehend handlungsarmes Leben. Seine Protagonisten "machen" nichts, sie "existieren" nur in einer "gewissen Atmosphäre", die sich aus "sorgfältig ausgewählten Details" zusammensetzt, wie es nun in The Shards heißt.

Das hat zur Folge, dass man bei Ellis wieder einmal – und wieder und wieder – seitenlang erfährt, wer gerade Ralph Lauren oder Armani oder Gucci in welchen Farben trägt. Auch das Verhältnis von blonden Haaren und Mittelscheitel zu kantigem Kinn und muskulösen Körpern (bei Männern) und perfektem Busen (bei Frauen) wird immer wieder repetitiv bis hin zur erotischen Satire beschrieben. Der Autor als (Luxusmarken-)Romantiker, der Seelenlandschaften über Bodys und Brandings beschreibt.

Abgestumpftheit als Ekstase

Das von Ellis in The Shards emotionslos betrachtete Alter Ego Bret Easton Ellis betrachtet sich selbst und schreibt: "(…) Ich wollte auch auf diese Weise schreiben: Abgestumpftheit als Empfindung, Abgestumpftheit als Antrieb, Abgestumpftheit als Daseinsgrund, Abgestumpftheit als Ekstase." Man hört 1981 zu reichlich Sex und Masturbation auch viel Musik von damals, von Elvis Costello über Peter Gabriel und Blondie abwärts bis zu Foreigner, Pat Benatar oder Bob Seger. Insgesamt 144 Songs werden von Ellis in The Shards zitiert. Es existiert als Service zum Roman übrigens auch eine eigene Spotify-Liste.

Ellis und seine Clique aus der noblen Privatschule besuchen Clubs, nehmen Drogen. Sie gehen auf Partys in großräumige Villen mit Pools, Tennisplätzen und Vorführräumen. Die großteils irgendwie für Hollywood arbeitenden, mindestens genauso kaputten Eltern sind immer abwesend beziehungsweise auf "Kur", in Scheidung oder auf Langzeiturlaub in Europa. Ellis und seine Freunde fahren nachts in Luxusautos ziellos durch die Stadt. Wie es im Roman heißt: Diese "Könige des Systems" gehen am Rodeo Drive shoppen, sehen im Kino irgendwelche zeitgenössischen Blockbuster, hängen im Reitstall oder mit gefälschten Ausweisen in Luxusbars herum und starren dort Kronleuchter an. Sie kiffen, nehmen Quaaludes, LSD und Koks – oder, wenn es einmal schlimm kommt, auch Valium und Xanax.

Spitz wie Lumpi

Ellis ist wie die meisten Menschen in diesem Alter dauernd spitz wie Lumpi. Er weiß längst, dass er homosexuell ist, hat allerdings neben dem heimlichen Sex mit Schulkollegen pflichtschuldig auch noch eher lustlose Beziehungen mit Frauen. Homosexualität ist 1981 in dieser Welt noch nicht vorgesehen. Der Vater einer Freundin, ein Filmproduzent, macht dem Nachwuchsautor Avancen. Ellis prostituiert sich, um den Auftrag für ein Drehbuch zu ergattern. Gefühle für andere Menschen werden allerdings nicht einmal unterbunden. In dieser Welt existieren keine Emotionen, es geht rein um Begehren oder Gier.

Spannung kommt in The Shards erst spät auf. Der neue, ebenso mysteriöse, ja, gefährliche wie für Ellis sexuell äußerst anziehende Mitschüler Robert Mallory kommt an die Schule. Zeitgleich geschehen im Umfeld grausame Morde. Ein Serienkiller geht in der Stadt um. Gegen Ende wird es richtig unappetitlich. Stichwort American Psycho. Aber wer mag der Täter sein? Vielleicht ist es der "Autor" selbst?

Wer den quälend langsamen Spannungsaufbau so lange durchgehalten hat, ist schließlich fast erleichtert. Bret Easton Ellis ist er selbst geblieben. 40 Jahre später sind nur vier Jahrzehnte vergangen.

Ein oft in The Shards zitiertes Lied steht für den ganzen Roman, Vienna der britischen Band Ultravox von 1980. Sänger Midge Ure ruft darin verzweifelt: "The feeling has gone!" Und: "It means nothing to me. This means nothing to me." Früher war auch nicht alles besser. Da hat nicht einmal ein Polohemd in plakativer Ostereierfarbe von Ralph Lauren in Kombination mit karierten Shorts und Pennyloafers etwas geholfen. (Christian Schachinger, 17.1.2023)