Wiederbelebung der Umfassenden Landesverteidigung: Stephan Pernkopf, Klaudia Tanner und Bruno Hofbauer.

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St Pölten – Panikmache will das Verteidigungsministerium ausschließen, die niederösterreichische Landesregierung mitten im Wahlkampf erst recht. Aber man dürfe auch nicht verschweigen, dass Österreich ernsten Gefahren ausgesetzt ist – ob durch einen technisch bedingten Blackout (schon wenige Stunden könnten schwere Folgen haben, sagt Ministerin Klaudia Tanner) oder durch einen Angriff auf das Bundesgebiet. "Wir können nicht ausschließen, dass Angriffe mit Fernwaffen gegen das Bundesgebiet geführt werden. Warum nicht?", sagte Generalmajor Bruno Hofbauer bei einem gemeinsamen Expertengespräch mit der Ressortchefin und dem Landeshauptfraustellvertreter Stephan Pernkopf (beide ÖVP) in St. Pölten.

Rückbesinnung auf den Krieg

Dies ist ein Vorgriff auf den aktuellen Sicherheitsbericht, den das Verteidigungsministerium am 27. Jänner vorstellen wird. Er trägt den Titel "Risikobild 2023" und den eindeutigen Untertitel "Krieg in Europa". Tanner schreibt im Vorwort: "Der Krieg in und um Europa macht auch deutlich, dass eine gut aufgestellte Landesverteidigung für einen neutralen Staat von existenzieller Bedeutung ist. Neben hybriden Bedrohungen hat nun auch wieder die konventionelle Kriegsführung an Bedeutung gewonnen. Es bedarf einer Rückbesinnung zum militärischen Schutz der Österreichischen Souveränität gegen konventionell agierende Kräfte. Dies erfordert auch eine Konsolidierung der robusten militärischen Komponenten. Die im Verfassungsrang stehende Umfassende Landesverteidigung muss als gesamtstaatliche Kernaufgabe wieder an Bedeutung gewinnen und an den neuen Herausforderungen orientiert weiterentwickelt werden."

Als aktuell besonders große Herausforderung wird neben einer Konfrontation zwischen Russland und der EU, einer Eskalation des Ukraine-Konflikts und Migrationsströmen nach Österreich die "eingeschränkte Strategiefähigkeit Österreichs" eingestuft. Dies auch angesichts der Konkurrenz, die unter den EU-Staaten um knappe Ressourcen herrscht. Und: "Schlimmstenfalls werden das österreichische Staatsgebiet, seine militärischen Einrichtungen und seine Infrastruktur unterwandert, zweckentfremdet – und Schwachstellen gezielt genutzt." Damit könnten fremde Mächte Österreich auch als Einfallstor in die Systeme und Strukturen anderer EU-Staaten nutzen.

Durchhaltefähigkeit wiederherstellen

Auf taktischer Ebene müsse das Bundesheer entsprechend reagieren. Mit Blick auf den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine müsse sich das ABC-Abwehrzentrum in Korneuburg auch wieder mehr mit der Bedrohung durch nukleare Kampfmittel auseinandersetzen, nennt Hofbauer ein Beispiel. Generell gehe es darum, für Österreich die Autarkie und Durchhaltefähigkeit, die sich der Landesverteidigungsplan der Kreisky-Ära zum Ziel gesetzt hatte, wiederherzustellen.

Landeshauptfraustellvertreter Pernkopf macht die Durchhaltefähigkeit vor allem an der wirtschaftlichen Landesverteidigung fest: Nach Schweizer Vorbild müsse die öffentliche Hand mit der Wirtschaft kooperieren, um Vorräte kritischer Versorgungsgüter in jedem denkbaren Krisenfall sicherzustellen – da gehe es um Mehl ebenso wie um Medikamente, um Düngemittel ebenso wie um die Verpackung, in der Notrationen ausgegeben werden.

Insgesamt wird gerade in Niederösterreich besonders viel in die Landesverteidigung zu investieren sein – 95 Millionen Euro allein in diesem Jahr. Diese Investitionen sollen unter ökologischen Gesichtspunkten, speziell im Energiebereich, erfolgen. Damit soll der seit 50 Jahren als Prinzip der Republik etablierte (aber oft vernachlässigte) Begriff der Umfassenden Landesverteidigung (ULV) neu belebt werden. Österreich müsse sich realistisch den Bedrohungen stellen, die Vorbereitung im Sinne der Geistigen Landesverteidigung "schon bei den Jüngsten" etabliert werden, mahnt Tanner. (Conrad Seidl, 16.1.2023)