1551 haben die Bürger von Wien einem gewissen Erasmus von Liechtenstein zu Karnaydt, seines Zeichens oberster Jägermeister von Niederösterreich, "ein Dreyling guten Most in drein Vaslein" im Tausch gegen acht Hirschgeweihe abgetreten. Die Geweihe wurden an den höchsten Ecken des Stephansdoms angebracht und sollten gegen "Einschlagung des wilden Feuers und Donners dienstlich sein". Was damals mit magischen Mitteln versucht wurde (die Geweihe blieben übrigens bis weit ins 19. Jahrhundert dort oben), gelang 200 Jahre später Benjamin Franklin mit Physik. Doch trotz aller moderner Schutztechnik bleiben Blitze bis heute eine unberechenbare und zerstörerische Naturgewalt.

Erst aus der Distanz offenbaren sich die enormen Dimensionen eines ordentlichen Gewitterblitzes. Einem internationalen Team ist es nun gelungen, diese Naturgewalt umzuleiten.
Foto: APA/AFP/AZWAR IPANK

Nun aber ist es einer internationalen Forschungsgruppe gelungen, Blitze einer gewissen Kontrolle zu unterwerfen: Die Experimente demonstrierten, dass man die elektrischen Entladungen eines Gewitters mithilfe eines Lasers zu einem Blitzableiter führen kann. Die zum Teil auf einem 124 Meter hohen Telekommunikationsturm auf dem Schweizer Berg Säntis gewonnenen Erkenntnisse könnten zu einem besseren Blitzschutz für Flughäfen, Startrampen und große Infrastruktureinrichtungen führen, schreibt das Team um Aurélien Houard vom Laboratoire d'Optique Appliquée in Palaiseau bei Paris im Fachmagazin "Nature Photonics".

Frühere Fehlschläge

Laser für den Blitzschutz einzusetzen wurde bereits 1974 vorgeschlagen. Im Labor wurde die Führung von Blitzen durch Laser Ende der 1990er-Jahre nachgewiesen. Doch Versuche im Freien scheiterten 2004 im US-Bundesstaat New Mexico und 2011 in Singapur. Dass die Experimente am Berg Säntis erfolgreich verliefen, führen die Wissenschafterinnen und Wissenschafter auf die um zwei Größenordnungen höhere Laserpulswiederholungsrate als bei den früheren Versuchen zurück. Der eingesetzte Laser strahlte Licht von etwa einem Mikrometer (Tausendstelmillimeter) Wellenlänge und mit einer Wiederholungsrate von 1.000 Hertz aus.

Auf der Spitze des Säntis lenkte man Blitze mit Laserstrahlen um.
Illustr.: Trumpf/Martin Stollberg

Die Forscher profitierten davon, dass der Turm auf dem Säntis in den vergangenen Jahren immer wieder für Messungen an Blitzen genutzt wurde. "Dieser Turm, der etwa 100-mal im Jahr vom Blitz getroffen wird, ist mit mehreren Sensoren ausgestattet, die den Blitzstrom, elektromagnetische Felder in verschiedenen Entfernungen, Röntgenstrahlen und Strahlungsquellen der Blitzentladungen aufzeichnen", schreiben die Studienautorinnen und -autoren. Sie installierten weitere Messgeräte und zwei Hochgeschwindigkeitskameras, die Blitzeinschläge mit bis zu 24.000 Bildern pro Sekunde aufzeichneten.

Umleitung per Filament

Diese Kameras waren 1,4 und fünf Kilometer von der Turmspitze entfernt und lieferten nur bei guter Sicht brauchbare Ergebnisse. Dies war bei einem der vier aufgezeichneten Blitze, bei denen der Laser eingeschaltet war, der Fall. Die Kamerabilder zeigen, dass sich der Blitz mehr als 50 Meter lang um den Laserstrahl herumwindet und dann in den Blitzableiter des Turms einschlägt. Der leicht geneigte Laserstrahl war so ausgerichtet, dass er der Turmspitze nahe kam.

Video: Das Laser Lightning Project.
EPFL School of Engineering

Physikalisch gesehen passiert wahrscheinlich Folgendes: Die intensiven Laserpulse heizen die Luft stark auf, sodass viele Luftmoleküle in die kühlere Umgebung entweichen; es entsteht entlang des Laserstrahls eine Art Kanal mit sehr geringer Luftdichte, ein sogenanntes Filament. In diesem Filament ist die Luft erheblich leitfähiger als in der Umgebung, weshalb sie Blitzableitungen erleichtert. Vergleiche mit aufgezeichneten Blitzen ohne Laser zeigen, dass der Blitz durch die Führung des Lasers sehr viel zielgenauer den Blitzableiter des Turms trifft.

Weitere Versuche nötig

"Die Ergebnisse der Säntis-Versuchskampagne im Sommer 2021 liefern Indizienbeweise dafür, dass Filamente, die durch kurze und intensive Laserpulse gebildet werden, Blitzentladungen über beträchtliche Distanzen leiten können", lautet das Fazit der Studienautoren. Diese vorläufigen Ergebnisse sollten jedoch durch weitere Versuchsreihen mit neuen Konfigurationen bestätigt werden. (red, APA, 17.1.2023)