Ein langersehntes Abenteuer entpuppt sich als nicht so humanitär wie gedacht.

Foto: Lisa Duschek

"Das letzte große Abenteuer" – mit diesem Slogan bewerben die Veranstalter die seit 2005 stattfindende Budapest-Bamako-Rallye: Bilder von starken Offroad-Autos in der Wüste, Teilnehmenden in Beduinendörfern als Teil der lokalen Kultur und solche, die Abenteuer, Herausforderung und Wagemut darstellen sollen. Ein Marketingkonzept, das offenbar funktioniert: Im vergangenen Jahr verzeichnete die größte Amateurrallye der Welt einen Teilnehmerrekord mit 257 Teams und weit über 500 Personen, die die Strecke von Budapest bis nach Freetown in Sierra Leone in 18 Tagen zurücklegen wollten.

Doch nicht nur Abenteuer und der Reiz des Risikos werden hervorgehoben. Die organisierende ungarische NGO The International Interactive Ventures Ltd nennt die Rallye selbst ein humanitäres Projekt. Erlöse sowie Spenden, die die Teilnehmer in ihren Autos mitnehmen, sollen an lokale Hilfsprojekte wie Schulen oder landwirtschaftliche Projekte übergeben werden.

Jahrelanger Abenteurertraum

An einem lange erwarteten Oktobertag stehe ich schließlich mit meinem zum Camper umgebauten Iveco-Lieferwagen selbst in Budapest an der Startlinie. Nach Monaten der Bürokratie, Verschiebungen wegen der Corona-Pandemie und einigen tausend Euro Startgebühr bin ich tatsächlich dabei. Abenteuer und Reisen, und das auch noch mit einem humanitären Hintergedanken – alles Dinge, die ich die letzten Jahre leidenschaftlich betrieben habe. Und nun die Chance, all das zu kombinieren.

Ein jahrelanger Abenteurertraum, der in Erfüllung geht. Dass bis dahin die nach der Anmeldung immer öfter auftauchenden Versicherungen, Pakete und Gebühren doch eine stolze Summe Geld ausmachen, ist mir zu diesem Zeitpunkt zwar bewusst, kann jedoch noch gut verdrängt werden. Abenteuer kosten schließlich Geld. Und außerdem dient es ja einem guten Zweck.

Hunderte Teams machten sich von Europa nach Afrika auf.
Foto: Lisa Duschek

Kontakt mit der lokalen Kultur haben wir keinen

Nach drei Tagen des Quasi-Dauerfahrens entlang der europäischen Küste erreichen wir, Team 210, bestehend aus meiner Partnerin Kerstin, unserem Kater Finn und mir, Gibraltar. Von hier setzen wir mit der Autofähre nach Marokko über, und der eigentliche Teil des Abenteuers kann beginnen. Die erste Woche der Rallye fahren wir durch Marokko und die Westsahara, schlafen in Wüstencamps und überqueren den Atlas. Kontakt mit der lokalen Kultur haben wir bis dahin keinen. Unsere Nachtlager sind meist weit von allen besiedelten Gebieten entfernt, und zum Stehenbleiben und Erkunden lassen die zwölf Stunden reine Fahrzeit täglich keinen Raum.

Dafür kommen wir mit anderen Teilnehmenden ins Gespräch. "Verkauft ihr euer Auto auch in Freetown?", wollen einige von uns wissen. Wir fragen etwas verwirrt nach, ob das denn so üblich sei, und finden schnell heraus, dass die Mehrheit der Teilnehmer vorhat, ihre SUVs und Busse gewinnbringend in Sierra Leone an Autohändler zu verkaufen, und der Plan, unseren geliebten Camper wieder nach Europa zurückzuschiffen, eine Ausnahme ist.

"Es ist ein großes Importgeschäft im Namen der humanitären Hilfe", meint ein Teilnehmer lachend, während er unseren tropfenden Kühler inspiziert. "Sie spenden ein paar Autos an lokale Organisationen, der Rest wird für Profit verkauft. Als Charity fallen keine Importgebühren und Zölle an", fügt er hinzu. Ich weiß nicht wirklich, was ich darauf antworten soll, und gehe zu meiner Gruppe zurück, die im Camp zusammensitzt.

Teil des Abenteuers

Doch diese Begegnung bleibt mir im Kopf, und ich beginne in den folgenden Tagen, genauer hinzusehen. Nach einer Woche in Marokko und Mauretanien, übrigens ohne humanitäre Projekte, Besuche oder auch nur irgendeine Aktivität, die der Beschreibung "humanitär" nahekommt, überqueren wir die Grenze zum Senegal. Zu unserem Empfang wird im Niemandsland des Grenzstreifens ein Fest veranstaltet mit lokalen Tanzgruppen, Getränken und Händlern, das einfach bizarr anmutet.

Vor einem Tisch im Freien stehen bereits etwa 50 Teilnehmer, Geldbörse in der Hand. Wir sollen 70 Euro bezahlen für das Visum nach Guinea, das wir eigentlich bereits im Rahmen der Teilnahmegebühr von 3.000 Euro beglichen haben. Wir fragen nach, bekommen keine Antwort und werden prompt von anderen Teilnehmern zurechtgewiesen, die 70 Euro doch bitte zu bezahlen. "This is Africa", hören wir zum wiederholten Mal auf dieser Reise. "Korruption ist doch ein Teil des Abenteuers", schreibt ein ungarischer Teilnehmer in der Facebook-Gruppe, in der wir uns am selben Tag beschweren.

Zum Betteln gezwungen

Wir versuchen in den nächsten beiden Tagen so vielen Leuten wie möglich zu erklären, dass Korruption ein ernstes Problem ist, das Länder und Bevölkerungen ausblutet, und definitiv keine humanitäre Hilfe oder gute Tat. Umsonst. Die Organisatoren selbst schreiben im Roadbook, in dem die Informationen für die Teams Tag für Tag aufbereitet stehen, dass es keinen Sinn macht, über die zehn oder zwanzig oder fünfzig Euro zu diskutieren. Einfach bezahlen, das gehört dazu. Und tut uns Europäern ja auch nicht weh. This is Africa. Kein Wort oder Anmerkung zum großen Ganzen, zu den Problemen, die dadurch verursacht oder perpetuiert werden.

An Zwischenstopps wird immer wieder die Entrichtung von "Gebühren" erwartet.
Foto: Lisa Duschek

In jenem Teil des Roadbooks über den Senegal werden Teilnehmende gar aufgefordert, den auf den Straßen bettelnden Kindern Geld und Essen zuzustecken, "wenn Sie helfen möchten". Unsere Recherche bei lokalen NGOs ergibt, dass es sich bei diesen Kindern um sogenannte "Talibes" handelt, die von Islamschulen zum Betteln gezwungen werden; eine Praktik, die von NGOs und den Vereinten Nationen als "größter Menschenhandelszweig Westafrikas" bezeichnet wird.

Der Tag an der Grenze und der Umgang der Organisatoren hinterlassen bei uns einen sehr bitteren Nachgeschmack. Wir diskutieren abends bei Tee und Mondlicht noch sehr lange.

Keine lokalen Hilfsorganisationen

Die nächsten Tage werden noch schlimmer. Während wir uns in gleichbleibend schneller und allem Lokalen fernbleibender Manier unseren Weg durch den Senegal und kurz darauf durch Guinea bahnen, sehen wir immer wieder Autos mit den auffallend bunten Budapest-Bamako-Startnummern am Straßenrand stehen und Süßigkeiten und Geschenke an Kinder verteilen. "Petit cadeau", "kleines Geschenk", ist tatsächlich das, was wir in den zwei Wochen am häufigsten hören.

Kinder laufen in Scharen dem Autokonvoi aus Europa nach, klopfen an die Scheiben und fragen nach Geld und Geschenken – und bekommen sie oft genug. Wir geben nichts, machen andere Teilnehmer auf ihr Verhalten aufmerksam und stoßen meist auf taube Ohren oder direkte Feindseligkeit. "Diese Menschen sind arm, wir sind reich. Wieso ist es so ein Problem für dich, ihnen einfach zu helfen und ein bisschen was zu geben?", schreibt jemand unter einen von mir verfassten Beitrag in der Facebook-Gruppe.

Die Camps werden strikt abseits lokaler Siedlungen gehalten.
Foto: Lisa Duschek

Wir hätten erwartet, irgendwo auf den 8.000 Kilometern Strecke die von den Organisatoren angekündigten Hilfsprojekte zu besuchen. Oder zumindest ein paar lokale Vertreter von NGOs zu treffen, die Informationen und Hintergründe zur Hilfe vor Ort geben könnten. Ein Wunsch, der nicht in Erfüllung geht.

Wir geben nach einigen Tagen die Online- und Offline-Diskussionen auf und fühlen uns die meiste Zeit nur noch unwohl. In Guinea, einer Militärdiktatur, in der schwerste Menschenrechtsverstöße begangen werden, schlafen wir im vom Militär bewachten Camp. Viele Teilnehmer posieren für Fotos mit den Uniformierten. Diesmal schreiben und diskutieren wir nicht. Ich schäme mich, diese Reise so unbedingt gewollt zu haben und jetzt Teil von allem zu sein, was hier passiert.

Reserviert für die Korruptionskarawane

Nach einer verregneten Nacht nahe einem abgelegenen Dorf in Guinea ist die Straße zurück unpassierbar. Knapp 200 SUVs haben sie in eine schlammige Kraterlandschaft verwandelt. Während wir uns mit unserem Iveco irgendwie durchkämpfen, sehen wir mehrere Dorfbewohner mit ihren Mopeds und Autos stecken bleiben. Ein Freund von uns möchte ihnen helfen und wird prompt von einem anderen Rallyeteilnehmer gescholten, den Weg nicht zu blockieren. Immerhin bringt Geschwindigkeit Punkte.

Die Korruptionskarawane wird scharf bewacht.
Foto: Lisa Duschek

Nach 18 Tagen endet die Rallye schließlich in Freetown, der geschäftigen Hauptstadt von Sierra Leone. Die letzten 50 Kilometer werden wir von Militär- und Polizeikonvois begleitet; die Uniformierten schlagen aus ihren Autos mit Stöcken auf Passanten ein, wenn sie versuchen, sich in unsere Spur einzureihen. Die ist heute für die weißen Abenteurer aus Europa reserviert, die Korruptionskarawane, die aus den Autofenstern winkend in die Stadt einfährt und sich der Optik sichtlich nicht bewusst ist.

An lokale Politiker geflossen

Die Empfangsparty mit dem Präsidenten von Sierra Leone lassen wir aus, fahren weiter und mischen uns endlich als ein Auto von vielen in die Menge. Bevor wir die Gruppe verlassen, erzählt uns ein Freund, der sein Auto einer lokalen Hilfsorganisation spenden will, dass die Organisatoren nicht wirklich daran interessiert waren, ihm dabei zu helfen. Immerhin ist am Abend die große Abschiedsparty im Radisson Hotel zu Ehren der europäischen Rallyehelden. Und natürlich, zumindest offiziell, auch im Namen der humanitären Hilfe.

Eine Woche nach der Rallye schicken wir eine E-Mail an die Veranstalter mit der Bitte offenzulegen, wohin die Teilnahmegebühren gegangen sind. Nach einigem Hin und Her erfahren wir auf diesem Weg, dass der Großteil der Gebühren "an lokale Politiker und Organisationen" geflossen ist, um "die Grenzübertritte reibungslos zu machen". Karitative Zwecke werden uns keine genannt. (Lisa Duschek, 22.1.2023)