Wegen des türkis-grünen Sideletters sind derzeit alle Postenbesetzungen am Bundesverwaltungsgericht unter besonderer Beobachtung.

Foto: DER STANDARD / Matthias Cremer
Foto: DER STANDARD / Matthias Cremer

Am größten Gericht Österreichs dürfte es 2023 einige Neuerungen geben: Nach der Pensionierung von Harald Perl bekommt das Bundesverwaltungsgericht (BVwG) einen neuen Präsidenten oder eine neue Präsidentin. Die besten Chancen dürfte Sabine Matejka haben. Dem Vernehmen nach ging die Vorsteherin des Wiener Bezirksgerichts Floridsdorf und Präsidentin der Richtervereinigung als Bestgereihte aus dem Auswahlverfahren hervor und könnte ab März das Amt als BVwG-Präsidentin übernehmen.

Laut STANDARD-Information wird es aber bereits vor der Bestellung der neuen Spitze zu einigen Umstrukturierungen kommen. Derzeit ist das Gericht mit Hauptsitz in Wien in vier Kammern und drei Außenstellen in Linz, Graz und Innsbruck geteilt. Die große Kammer für Fremdenwesen und Asyl dürfte nun geteilt werden: Es soll eine eigene "Eilkammer" herausgelöst werden, die vor allem für Abschiebungen, Schubhaftentscheidungen und für bestimmte Herkunftsstaaten zuständig ist. Eine Aufteilung in zwei Kammern, wie sie bereits bei der Einrichtung des BVwG im Jahr 2014 vorgesehen war, wurde in der Vergangenheit immer wieder diskutiert.

Drei neue Kammervorsitzende

Aufgrund der Umstrukturierung müssen die beiden Chefposten der neu entstehenden Asylkammern nachbesetzt werden. Auch in der Kammer für Soziales bestellt das Gericht eine Nachfolge für die bisherige Vorsitzende, die ihr Amt mit Ende Jänner zurücklegt, und für deren Stellvertreterin. Heute, Mittwoch, tagt der Personalsenat.

Dass gerade jetzt, kurz vor Antritt des neuen Präsidenten oder der neuen Präsidentin, so wichtige Personalentscheidungen fallen, wirft eine nicht unumstrittene Optik auf. Aus dem BVwG heißt es auf STANDARD-Anfrage, dass keine endgültigen Entscheidungen getroffen werden, sondern die Kammerführung lediglich interimistisch erfolgen werde, um den künftigen Präsidenten oder die künftige Präsidentin nicht vor vollendete Tatsachen zu stellen. "Dadurch wird sichergestellt, dass der:die neu zu bestellende Präsident:in seine:ihre Führungskräfte selbst auswählen wird können", schreibt das Gericht.

Neue Geschäftsverteilung

Seit der Pensionierung Perls führt der ÖVP-nahe Michael Sachs als sein Stellvertreter das Gericht. Somit wird er nun die Kammervorsitzenden und ihre Stellvertreter "nach Anhörung des Personalsenates für die Dauer von sechs Jahren bestellen", wie es im Gesetz heißt. Kammervorsitzende können auch "jederzeit aus wichtigen Gründen" wieder vom Präsidenten abberufen werden.

Sachs dürfte sich selbst für die Präsidentenstelle beworben haben. Die Nachbesetzung sorgte bereits im Vorfeld für Aufregung. Grund war der im vergangenen Jänner bekannt gewordene "Sideletter" für Postenbesetzungen der türkis-grünen Bundesregierung, in dem ein Nominierungsrecht der ÖVP festgelegt war. Justizministerin Alma Zadić (Grüne) hat erklärt, sich an den Vorschlag der Personalkommission halten zu wollen. Der Dreiervorschlag der Personalkommission wird an die Bundesregierung übermittelt, die dem Bundespräsidenten einen Vorschlag zur Ernennung mitteilen muss.

Wann das passiert, ist noch unklar. Im BVwG wird in der Zwischenzeit die neue Geschäftsverteilung* für das kommende Geschäftsjahr, das mit 1. Februar beginnt, diskutiert – so wie das jedes Jahr der Fall sei, heißt es aus dem BVwG. Die Entscheidung sei noch offen, müsse aber schlicht in den nächsten beiden Wochen fallen, da die neue Geschäftseinteilung mit Februar in Kraft treten müsse.

Wichtige Verwaltungsentscheidungen

Dass die Asylkammer aufgeteilt wird, dürfte schon vergangenes Jahr klar gewesen sein. Ein entsprechender Vorschlag wurde letzten Oktober an die Kollegenschaft übermittelt. Zuvor war der langjährige Vorsitzende dieser Kammer, Christian Filzwieser, abgetreten und ins Innenministerium gewechselt. Sein Ziel, als Nachfolger Perls das Präsidentenamt am BVwG zu übernehmen, dürfte auch er verfehlt haben.

Kammervorsitzende können nicht in die Rechtsprechung ihrer Richterinnen und Richter eingreifen, sollen aber "unter der Verantwortung des Präsidenten" auf eine "möglichst einheitliche Rechtsprechung innerhalb der Kammer Bedacht nehmen", heißt es seitens des BVwG. Sie treffen zudem wichtige Entscheidungen in der Verwaltung – etwa bei der Zuordnung von personellen Ressourcen wie juristischen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern.

Das Bundesverwaltungsgericht ist Beschwerdeinstanz für Entscheidungen von Behörden und klagt seit Jahren über die große Belastung aufgrund der hohen Anzahl an Asylverfahren. Mittlerweile müssen fast alle Richterinnen und Richter in diesem Bereich judizieren – und nicht nur jene, die der Asylkammer zugeordnet sind. Neben dem Asylrecht urteilt das Gericht etwa auch in Umweltverträglichkeitsprüfung-Verfahren, im Dienstrecht und in Angelegenheiten der Arbeitslosenversicherung. (Jakob Pflügl, Laurin Lorenz, Renate Graber, 18.1.2023)