Hat man keine Lust zu lernen, bietet das Handy willkommene Ablenkung. Ab und zu ist das kein Problem. Doch verselbstständigt sich das, kann das die Gesundheit verschlechtern.

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Das Studentenleben kann ein schönes sein. Denn man hat im Verhältnis oft viel Zeit zur Verfügung und viel Freiheit, den eigenen Tagesablauf individuell zu planen – also viel Freiheit und wenig Struktur. Doch genau diese Konstellation kann sich für so manche zu einer ziemlichen Belastung auswachsen. Vor allem, wenn man zu Prokrastination neigt, also ausgeprägtem Aufschiebeverhalten. Dann startet man den Lernmarathon für eine große Prüfung erst kurz vor dem Termin oder beginnt mit der Seminararbeit erst in der Nacht vor dem Abgabetermin – wenn man das überhaupt noch tut. Denn womöglich hat man so lange aufgeschoben, dass es jetzt ohnehin sinnlos ist, noch anzufangen.

Tatsächlich benötigt man, um mit so viel Freiraum umzugehen, eine gewisse Fähigkeit zur Selbstregulation. Diese besitzen aber bei weitem nicht alle. Ein Großteil der Studentinnen und Studenten prokrastiniert ab und zu. Und Studien zeigen, dass unter Studierenden rund 50 Prozent das in einem Ausmaß tun, das ihre Ausbildung gefährden kann. Doch ein verspäteter oder womöglich komplett fehlender Abschluss ist wohl nicht die einzige negative Auswirkung dieses Verhaltens. Laut Studien kann es einen Zusammenhang zwischen Prokrastination und schlechter Gesundheit geben. Denn dieser Lifestyle wird mit mehr Stress, ungesünderem Lebensstil und verspäteten Arztbesuchen bei gesundheitlichen Problemen assoziiert.

Allerdings war nicht klar, was in diesem Zusammenhang Voraussetzung ist und was Folge. Verursacht Aufschieberitis schlechtere körperliche und geistige Gesundheit, weil Betroffene zum Beispiel einen Arztbesuch oder das Fitnessprogramm vertagen? Oder führt eine schlechtere körperliche Verfassung dazu, dass Menschen womöglich nicht die Energie dazu haben, Aufgaben oder Vorhaben gleich zu erledigen? Dieser Frage wollten Forschende des Karolinska Institutet bei Stockholm, einer der größten medizinischen Universitäten Europas, auf den Grund gehen.

Prokrastination fördert depressive Verstimmung

Die zu diesem Zweck durchgeführte Längsschnittstudie wurde vor kurzem auf JAMA Open Network publiziert. Dafür wurden insgesamt jeweils drei Fragebögen verteilt über neun Monate von insgesamt 2.587 Studentinnen und Studenten von acht Universitäten in und um Stockholm ausgewertet. Um besser zu verstehen, wie sich Prokrastination auf die spätere Gesundheit auswirkt, verglich man Studierende mit einer größeren Tendenz zum Aufschieben – bewertet nach einer Prokrastinationsskala – mit solchen, die eine geringere Tendenz hatten, Dinge zu vertagen. Dabei zeigte sich, dass ein höheres Maß an Prokrastination neun Monate später eher zu Symptomen von Depression, Angst und Stress führte.

Studierende mit ausgeprägterem Prokrastinationsgrad, zu denen auch Studierende der technischen Fächer und Singles gehören, wie die Studie zeigte, berichteten auch häufiger über Schmerzen in Schultern und Armen, schlechtere Schlafqualität, mehr Einsamkeit und finanzielle Schwierigkeiten. Diese Zusammenhänge blieben auch dann bestehen, wenn andere mögliche Einflussfaktoren herausgerechnet wurden, wie Alter, Geschlecht, Bildungsniveau der Eltern oder frühere körperliche oder psychische Diagnosen.

Keines dieser gesundheitlichen Probleme ist spezifisch mit Prokrastination verbunden, doch die Ergebnisse deuten stark darauf hin, dass das Aufschieben für viele davon relevant sein kann, einschließlich psychischer Probleme, Schmerzen und ungesunder Lebensweise, wie die Forschenden in einer Aussendung schreiben. Durch den langen Befragungszeitraum über neun Monate – statt nur einmal eine punktuelle Befragung durchzuführen – konnte erstmals ein kausaler Zusammenhang zwischen Prokrastination und Krankheit gezogen werden.

Behandlung mit Verhaltenstherapie

Insgesamt kommt es aber seltener zu schwerwiegenden Beschwerden, als viele denken. Jene Studierenden, die öfter aufschoben, hatten ein um etwa zehn Prozent höheres Risiko für damit verbundene Probleme als jene, die nur ab und zu prokrastinierten. Verglichen mit jenen, die ihre Aufgaben meist sofort erledigten, war das Risiko um 20 Prozent erhöht.

Gehört man zu den Prokrastinierenden, sollte man die Hoffnung aber nicht aufgeben, das Problem lässt sich mit kognitiver Verhaltenstherapie gut behandeln, wie mehrere Studien zeigen konnten. Dabei werden langfristige Ziele auf mehrere Zwischenetappen aufgeteilt. Zusätzlich lernt man, Ablenkungen auszuhebeln, wie etwa das Handy auszuschalten, effektives Zeitmanagement anzuwenden und trotz negativer Emotionen auf eine Aufgabe konzentriert zu bleiben.

Und auch wenn Studierende das Gefühl haben, sie können das allein nicht bewerkstelligen oder sie können sich Hilfe dabei nicht leisten, ist das kein Hindernis. An allen Unis in Österreich gibt es psychologische Studierendenberatung, die bei Problemen hilfreich zur Seite steht. Die deutsche Universität Münster hat sogar eine Prokrastinationsambulanz eingerichtet, mit Testmöglichkeit online, wie sehr man selbst gefährdet ist. Wenn man diese Prüfung nicht verschiebt, ist der Anfangsschritt schon gesetzt. (kru, 18.1.2023)