Antragsteller warten derzeit 350 Tage, bis sie einen Ersttermin für den Staatsbürgerschaftsantrag erhalten.

Foto: Regine Hendrich

Dass Sulejman Filipović einmal in Österreich feststecken würde, hätte er zuvor nicht gedacht. Im Jahr 2012 übersiedelte der gebürtige Bosnier nach Wien. Er inskribierte an der Uni, zog in ein Studentenwohnheim und fing an zu arbeiten. "Ich hörte damals von Freunden, dass sie Schwierigkeiten mit der MA 35 hatten." Er selbst habe damals nur positive Erfahrungen mit der für Einwanderung zuständigen städtischen Behörde gemacht. Das änderte sich im März 2021.

Zu diesem Zeitpunkt wollte Filipović seinen Aufenthaltstitel verlängern lassen. Ein Prozedere, in dem er routiniert gewesen sei – das Visum für Studenten muss jedes Jahr aufs Neue verlängert werden. Im Mai verpartnerte er sich dann mit seiner Freundin, einer belgischen Staatsbürgerin. Dadurch hatte er Anspruch auf den Aufenthaltstitel "Angehöriger einer EU-Bürgerin"; mit diesem Titel müsste er nur alle fünf Jahre zur Behörde. Filipović stellte den Antrag. "Im August wollten sie dann Fotos von uns sehen und eine Stellungnahme von mir." All das habe er eingereicht.

Abgetauchte Behörde

Doch dann sei das geschehen, was Filipović zuvor nur aus Erzählungen seiner Freunde gekannt habe – und was im Sommer 2021 nicht nur für ein großes mediales Echo sorgte, sondern der MA 35 das Attribut des behördlichen Sorgenkindes der Stadt Wien bescherte: Sie machte sich rar. Kein Anruf, keine Mail wurde mehr beantwortet. Seit fünfzehn Monaten warte Filipović nun auf seinen Aufenthaltstitel – und das trotz Reformprozesses.

Ein kurzer Rückblick: Im Jahr 2021 läutete der zuständige Stadtrat Christoph Wiederkehr (Neos) Reformen ein, die etwa ein Callcenter, zusätzliche 50 Mitarbeiter und mehr Digitalisierung umfassten. Es war ein notwendiger Schritt, nachdem das Ausmaß der Missstände aufgekommen war. Von verschlampten Akten, einer Kultur der Unfreundlichkeit, gar Feindseligkeit bis hin zu extremen Verzögerungen berichteten Betroffene. Letzteres bestätigte der Stadtrechnungshof in seinem neuesten Bericht: Zwischen 2015 und 2020 wurden 30 Prozent der Anträge im Einwanderungsbereich erst nach der verpflichtenden Frist von sechs Monaten erledigt – 50 Prozent waren es bei Staatsbürgerschaftsanträgen.

Belastung auf zwei Seiten

Die MA 35 begründete die Verzögerungen mit den 150.000 Verfahren, die pro Jahr auf den Schreibtischen der Mitarbeiter landen – bei 500 Angestellten entfallen 250 Fälle auf jeden und jede. Die Diagnose laut MA 35: Überlastung. Belastend ist die Situation aber nicht nur für die Mitarbeiter, sondern auch für die Antragsteller selbst: Den Betroffenen drohen bei groben Verfahrensverzögerungen finanzielle Kürzungen, überlange Trennungen von ihrer Familie sowie Jobverlust oder gar das Abrutschen in die Illegalität.

Filipović hat hier Glück im Unglück: Sein Arbeitgeber zeigte sich kulant. Doch dass er auch ohne Aufenthaltskarte arbeiten konnte, dafür einen AMS-Antrag stellen musste, das habe ihm die MA 35 nicht gesagt. Welche Folgen die Situation für ihn habe? "Ich konnte nicht ausreisen." Mit Müh und Not kam er am 23. Dezember zu einer Notvignette, um Neujahr mit der Familie verbringen zu können.

Zwischen-Erfolgsbilanz

Folgt man der Erzählung von Wiederkehr und MA-35-Chef Georg Hufgard-Leitner handelt es sich bei Filipovićs Fall um einen Ausreißer. Letzte Woche präsentierten die beiden eine Zwischenbilanz: Die Verfahrensdauer sei schon jetzt von 71 auf 52 Tage reduziert worden. Auch das Callcenter funktioniere, im letzten Jahr habe es 400.000 "Kundengespräche" gegeben, zwei Drittel der Anfragen konnten sofort geklärt werden, bei komplexeren Anliegen habe der Rückruf 2,2 Tage gebraucht. Das waren die positiven Nachrichten. Die negativen: Für Staatsbürgerschaftsanträge wartet man derzeit 350 Tage auf einen Ersttermin.

Auf einen gemeinsamen Feind haben sich die beiden dabei eingeschossen: die Bundesgesetze. Weil diese so komplex, schikanös und schwer anwendbar seien, verzögere sich nicht nur der Einsatz 80 neuer Mitarbeiter, deren Einschulung viel Zeit in Anspruch nehme, sondern auch die Verfahren selbst. Sie hätten da keine Handhabe, keine Ermessensspielräume als Behörde. Doch stimmt das?

Trügerische Zahlen

Ein Bericht der NGO SOS Mitmensch, für den insgesamt 22 Expertinnen, Betroffene und MA-35-Verantwortliche befragt wurden, lässt anderes vermuten. Demnach würde die MA 35 die Gesetze besonders streng auslegen. Zwar bräuchte es dringend "einfachere Gesetze, aber ohne Änderung der Arbeitsweise kann es nicht zu Verbesserungen kommen", sagt die Rechtsanwältin Julia Ecker. Kritik hagelte es bei der Zahlenerfassung: Wenn eine Person nicht erreichbar sei, gelte der Rückruf dennoch als "erledigt", sagt Maiko Sakurai von SOS Mitmensch.

Auch würden Staatsbürgerschaftsverfahren voreilig negativ beschieden werden, anstatt Dokumente nachzufordern. In der Statistik scheine der Fall aber dann dennoch als "erledigt" auf – unabhängig davon, ob der Antrag erfolgreich war oder nicht. Für den weiteren Reformprozess fordert die NGO jedenfalls die ausreichende personelle Ausstattung der Behörde, fallbezogene Auskünfte, ein effizientes Dokumentenmanagement, einen übersichtlichen und barrierefreien Online-Auftritt sowie Anti-Diskriminierungs-Schulungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Karte müsse noch gedruckt werden

Filipović erhielt am 13. November 2022 den lang ersehnten Rückruf. "Es hieß, dass sie die Karte noch ausdrucken müssen." Seither wartet er wieder. Es setze einem zu, ständig hingehalten zu werden, sagt Filipović .

Auf seinen Fall angesprochen, heißt es von Hufgard-Leitner, dass man "natürlich noch nicht dort ist, wo wir sein wollen". Allerdings gebe es in manchen Fällen Gründe für die Verzögerung, etwa dann, wenn der Verdacht auf Scheinehe vorliege. Auch sei das zuständige Referat durch die Pandemie besonders stark belastet gewesen, sagt der MA-35-Leiter im STANDARD-Gespräch. In Summe seien noch 14.000 Altverfahren im Bereich Einwanderung offen. Bis diese erledigt sind, dürfte es aber noch dauern. Der Zeithorizont laut Hufgard-Leitner: Sommer 2023. (Elisa Tomaselli, 17.1.2023)