Im Wahlkampf läuft Johanna Mikl-Leitner zur Höchstform auf. Zum Beispiel in Ybbs an der Donau etwa in Haubis Backstube.

Heribert Corn

"Respekt", sagt Johanna Mikl-Leitner und verbeugt sich vor einer Frau. Diese erzählte ihr gerade, dass sie Drillinge großgezogen hat. "Haben S’ ein Foto?", fragt die Landeshauptfrau, und als sie das Bild der jungen Erwachsenen auf dem Smartphone präsentiert bekommt, greift sie der Frau auf die Schulter und sagt: "Mah, ist das süß!" Sie bittet die Runde in Haubis Backstube, wählen zu gehen, drückt den Leuten noch blau-gelbe Mehrwegsackerln in die Hand und zieht zur nächsten Gruppe. Mit manchen plaudert sie, manche grüßt sie freundlich und zieht dann weiter.

Die niederösterreichische Landeshauptfrau lebt vom persönlichen Kontakt, auch bei ihrer Tour hier in Ybbs an der Donau am Montagnachmittag. TV-Interviews und große Reden sind nicht ihr Metier – das ist nicht erst seit dem skurrilen Auftritt beim Wahlkampfauftakt der niederösterreichischen Volkspartei klar. "Es steht viel auf dem Spiel. Sehr viel", stimmte sie ihre Landespartei in St. Pölten auf einen schwierigen Abwehrkampf ein. Videos ihrer Rede sorgten wegen der düsteren Inszenierung und Mikl-Leitners bedeutungsschwangerer Rhetorik für Häme.

In einem Drogeriemarkt geht Mikl-Leitner auf Kundinnen und Kunden zu. Wie viel Prozent sie am 29. Jänner erreichen wird, hängt auch von ihrem Wahlkampf ab.
Foto: heribert corn

Für den Nahwahlkampf hingegen ist die Landeshauptfrau geboren. Schnellen Schrittes geht sie auf einen Drogeriemarkt zu, ihr Team in den blau-gelben Jacken, Fotografen und Journalistinnen folgen ihr, so gut es geht. Sie schüttelt Hände, verteilt Sackerln – und wechselt exakt so viele Worte mit den Leuten, dass sie sich nicht abgeschasselt fühlen.

Mehrheit in Gefahr

Für Mikl-Leitner geht es tatsächlich um viel, sehr viel. Dass die ÖVP ihre absolute Mehrheit verlieren wird, ist erwartbar. Verliert sie aber auch die Mehrheit der Sitze in der Landesregierung, wäre das für die Partei ein Desaster. Immerhin wird die Ressortaufteilung per Mehrheitsbeschluss unter den Landesrätinnen und Landesräten festgelegt. Auch zahlreiche inhaltliche Beschlüsse erledigt die Landesregierung – bisher erledigte das die ÖVP bequem mit ihrer Mehrheit.

Etwas außerhalb in Ybbs liegt das Sägewerk des finnischen Holzgiganten Stora Enso, eine digitale Anzeige bei der Einfahrt verrät, dass es seit 26 Tagen keinen Unfall gegeben hat. Im Pausenraum will eine Handvoll Männer in Ruhe abendessen, da steht plötzlich die Landeshauptfrau mitsamt Medien vor ihnen. Mikl-Leitner fragt sie zur Schichtarbeit, wie es läuft – doch die Arbeiter antworten einsilbig. Höchstens. "Tolle Firma!", sagt sie und geht weiter.

Der sechste Sinn

Es ist Mikl-Leitners sechster Sinn: erkennen, bei wem sie nichts zu gewinnen hat. Wer ihrem Blick ausweicht oder zu ernst schaut, wird gegrüßt, mit einem netten Wunsch bedacht – und dann geht es schon weiter. Wer sich freut, die Landeshauptfrau zu sehen, wird in ein Gespräch verwickelt, das nicht belanglos ist, aber auch nicht in eine Diskussion ausartet.

Im Sägewerk legt Mikl-Leitner eine orange Warnweste an und setzt einen Schutzhelm auf. Fotos in der Fabrik sind nicht erlaubt, das freut auch die Partei nicht. "Wir schauen’s uns trotzdem an, gehtscho, gemma", sagt Mikl-Leitner und startet in Richtung der Halle, wo Holz zu maßgeschneiderten Fertigteilen für den Hausbau verarbeitet wird. Aber "machen wir’s im Schnelldurchlauf, weil drinnen wird’s warm sein". Das ist nicht ihr erster Fabriksbesuch.

Fachsimpeln über Holzhäuser

Im Werk stellt sie den Mitarbeitern Fragen zum Prozedere und zu den Maschinen – Fragen, die wegen des Lärms nur sie und ihr Gegenüber verstehen. Sie klappt die flachen Hände horizontal zusammen, wie es eine Maschine gerade mit zwei Holzplatten tut, lässt sich etwas erklären, nickt anerkennend mit heruntergezogenen Mundwinkeln. Man versteht kein Wort, aber ein Satz ist von ihren Lippen zu lesen: "Mir is haaß." Dennoch fragt sie weiter.

Orange Warnweste, oranger Helm: Johanna Mikl-Leitner auf dem Weg in die Fabrikshalle.
Heribert Corn

Im kühlen Hof der Fabrik fachsimpelt Mikl-Leitner mit Stora-Enso-Experten über Holzhäuser, wie das Holz nach dem Bau noch "arbeitet", ob die Teile öfter geschraubt oder zusammengesteckt werden. Sie ist entweder akribisch vorbereitet oder ihr fallen zu jedem Thema spontan Fragen ein.

Kugelbahnwahlkampf

Beim Verlassen des Werks ruft die Landeshauptfrau ihren Mitarbeitern zu: "Habts ihr die Zeit im Blick?" Die Landespartei organisiert ihrer Obfrau solche Wahlkampftage wie eine Kugelbahn, Mikl-Leitner geht, wohin sie geschickt wird, und tut, was sie am besten kann: mit Menschen reden.

Am Dienstagnachmittag hat das Wahlkampfteam die mobile Bühne in Wiener Neustadt längst aufgebaut. Doch die Landeshauptfrau kommt zu spät, sie hat sich mit dem Chef eines Flugzeugherstellers verplaudert. Auf dem Parkplatz eines Autohauses am tristen Stadtrand werden die zwei Dutzend Funktionärinnen und Funktionäre mit Popmusik aus der Konserve unterhalten.

"Laufen, laufen, laufen"

Dann ist Mikl-Leitner da, sie schüttelt Hände und herzt ein Kleinkind. Auf der kleinen Bühne ergreift sie das blau-gelbe Mikrofon und sagt: "Das Spiel ist mitten im Gange. Der Ausgang ist offen." Im Wahlkampf solle man sich "nicht von der Stimmung beeinflussen lassen", die Umfragen schauten schlecht aus, sagt die Landeshauptfrau. Deshalb müssten alle Unterstützerinnen und Unterstützer nun "laufen, laufen, laufen".

Keine Viertelstunde dauert die Rede, dann geht es für Mikl-Leitner und ihren Tross ins nahegelegene Einkaufszentrum. Dort wollen noch Wähler überzeugt werden. (Sebastian Fellner, 17.1.2022)