Aus dem Plakat des Vizekönigs (Alexander Strömer) kommt die angetrunkene Périchole (Anna Lucia Richter).

Foto: Kmetitsch

Unsterbliche Operette! In Mörbisch hat mittlerweile das Musical die Regentschaft übernommen. Es springt aber das ins Museumsquartier ausweichende Theater an der Wien ein, gewährt der alten, bissigen Form Gastrecht. Auch was die opulent-grelle Machart anbelangt, ist die Operette bei Regisseur Nikolaus Habjan gut aufgehoben. Er bietet jenen, die Mörbischer Entzugserscheinungen plagen und gar wehmütig an die Wiener Volksoper von früher denken, Halt und bewusst derbe Heiterkeit.

Ja, das Tempo stimmt, das Timing der Pointen ist elegant, und das Stück rückt uns räumlich und geografisch nahe. Jacques Offenbachs La Périchole, die an sich in Peru spielt, wurde zwar nicht an den Neusiedler See verlegt, sie bekam aber doch Asyl in der österreichischen Hauptstadt.

Der als Arzt oder Kerkermeister verkleidete Vizekönig versucht hier am Aida-rosa Würstelstand "Zu den 3 Cousinen", eine Auserwählte zu betören, die seine Mätresse werden soll. Und wenn der Hofstaat von diesem Don Andrés de Ribeira, den Alexander Strömer souverän als einsamen Arroganzler gibt, beim Tanzen verhaltensauffällig zuckt, ist man ambientemäßig beim Wiener Staatsopernball gelandet.

Pointen durch Politik

Solch "Austrifizierung" habe, erhellte der Regisseur selbst im Vorfeld, seinen Ursprung in der Erkenntnis, dass die rot-weiß-rote peruanische Fahne, so man sie um 90 Grad drehe, zur österreichischen werde. Und da die Inszenierung, wie bei Offenbach selbst, Richtung politkabarettistisches Musiktheater tendiert, musste die Heimholung der Operette dazu führen, sich an der alpenländischen Skandalzeitgeschichte im Sinne der zu erzeugenden Schenkelklopfer gütlich zu tun.

Habjan borgt ohne Ende: bei Ibiza ("Zack, zack, zack!"), beim aktuellen Kanzler ("Alkohol oder Psychopharmaka!") und beim Thema Beinschab-Umfragen. Erwähnt werden gar die schmutzigen Zehennägel einer Dame, was einst auch der mysteriösen Ibiza-Oligarchin widerfuhr. Und natürlich sind Umfragen gefälscht, wirken alle bestochen, auch gibt es die "Hure der Reichen".

Lange Zeit betrunken

Schließlich fehlt in diesem musiktheatralen Untersuchungsausschuss auch nicht die Puppe im blauen Anzug, die an einen hier gealterten jungen Ex-Kanzler denken lässt. Sie gibt auf dem Fagott kurz Careless Whisper von George Michael.

Es geht noch mehr: An anderer Stelle hört man orchestral die Kennmelodie von Indiana Jones, während man sich Konfetti vom Anzug streift. Wer Glück hatte, wurde ja mit den bunten Papierschnipseln beschossen, es wuselt die Operette auch um den Zuschauerraum herum.

Was Wunder, dass man in diesem aufgeregten Zitatengarten mitunter die Geschichte von Périchole und ihrer großen, aber etwas dümmlichen Liebe Piquillo vergisst. Anna Lucia Richter gibt eine ausgelassene Frau, die auf dem Höhepunkt ihrer Darstellungskunst als eine Art angeheiterte Olympia aus Offenbachs Hoffmanns Erzählungen um Geistesgegenwart und Gleichgewicht kämpft. Starke humoristische Leistung. Umso mehr, als hier nahezu alle Beteiligten lange Zeit betrunken herumtorkeln, als wären sie Avatare des Gerichtsdieners Frosch aus der Fledermaus.

Ohne Tiefenpsychologie

Piquillo, den der glänzend singende David Fischer als netten Jungen mit dem Hang zur aggressiven Verzweiflung gibt, der für Sekunden als Prinz Tamino aus der Zauberflöte zitieren darf, braucht eine Weile, um die Zusammenhänge zu begreifen und seine Eifersucht abzustreifen. Allerdings geht es hier nicht um psychologisch tiefsinnige Ausleuchtung der Figuren, die vor einem Werbeplakat des Vizekönigs (Bühne: Julius Theodor Semmelmann) mit der Obrigkeit zurande kommen müssen. Hier frönt man der exaltierten guten Laune.

Gags, Gags, Gags

Die Obrigen? Da wäre der als Kolporteur verkleidete Graf Panatellas (Boris Eder). Da wäre der mit einem Bauchladen herumgehende und Köstlichkeiten feilbietende Don Pedro (Gerhard Ernst, bei dem der Hofstädter-Gag nicht ausgelassen wird). Sie besorgen das Geschäft des Vizemonarchen, die drei schlauen Cousinen vom Würstelstand können sie allerdings nicht täuschen (Tania Golden, Alexandra Maria Timmel und Bettina Soria).

Der musikalische Leiter des ORF-RSO Wien, Jordan de Souza, befeuert die komödiantische Geschichte solide, ohne die Geschmeidigkeit der Musik besonders auszuleuchten.

Applaus für eine gut gemachte, aber überraschend triviale Angelegenheit. (Ljubiša Tošic, 18.1.2023)