Pier Antonio Panzeri war mit insgesamt 15 Jahren Amtsdauer als Abgeordneter kein Unbekannter im EU-Parlament. Er wurde von Kollegen meist als beliebt, freundlich, zurückhaltend beschrieben. Wer jedoch des Italienischen nicht mächtig war, hat den 67-jährigen Italiener ob der Sprachbarriere meist gar nicht allzu gut kennengelernt. Trotz eineinhalb Jahrzehnten in Brüssel und Straßburg soll sich der Sozialdemokrat aus Mailand nämlich dem Erlernen sowohl des Französischen als auch des Englischen verwehrt haben.

Die Brüsseler Behörden dürften nun selbst auf ihre Italienischkenntnisse oder Dolmetscher gebaut haben, als sie den ehemaligen EU-Abgeordneten diese Woche erst zum zweiten Kronzeugen Belgiens seit der Einführung der neuen Regelung im Jahr 2018 machten.

Pier Antonio Panzeri wird Kronzeuge im EU-Korruptionsskandal.
Foto: EPA/STEPHANIE LECOCQ

Panzeri gilt als Drahtzieher hinter dem EU-Korruptionsskandal, der die Union Ende 2022 bis ins Mark traf und seither tiefgreifende Veränderungen in der Korruptionsbekämpfung der Institution nach sich zog. Bislang stehen vor allem Marokko und Katar im Verdacht, sich Stimmen und Einfluss im EU-Parlament über Panzeri, aber auch über die am Mittwoch endgültig als Vizepräsidentin durch Marc Angel ersetzte Eva Kaili erkauft zu haben.

Der Italiener will jedenfalls umfassend aussagen. Er hat sich verpflichtet, den Ermittlern umfassende Einblicke in die kriminellen Strukturen zu liefern und die Namen aller Bestochenen zu nennen. Im Gegenzug soll sich seine Haftstrafe deutlich auf nur ein Jahr (statt der drohenden zehn) reduzieren – und die Geldstrafe soll sich in Höhe von einer Million Euro bewegen. Die Berufung gegen seine Untersuchungshaft zog er bereits zurück.

Gewerkschaftsgröße

Vor seiner Karriere in Brüssel machte Panzeri vor allem als Mailänder Gewerkschafter Karriere. Und er blieb dort stets eine gewichtige Stimme – ob während seiner Abgeordnetenzeit oder danach. In der postkommunistischen Parteienlandschaft durchlief er mehrere Stationen. Zunächst für die Uniti nell'Ulivio nach Brüssel entsandt, wo er sich stets der Fraktion der Sozialdemokraten anschloss, war er für die jeweils in neuen Parteizusammenschlüssen gegründeten Parteien Democratici di Sinistra und Partito Democratico (PD) aktiv, ehe er zu Articolo Uno wechselte.

Es hat durchaus eine gewisse Ironie, dass ausgerechnet Panzeri – der in Parlamentskreisen dafür bekannt war, seine Dokumente in Plastiksackerln herumzutragen – nun über Korruptionsvergehen stolperte, die teilweise umfangreiche Bargeldzahlungen beinhaltet haben sollen.

Situationselastische Kritik

Geld soll vor allem aus Marokko und dem Wüstenemirat Katar geflossen sein. Dabei hatte Panzeri noch 2019 gesagt: "Wir können es absolut nicht zulassen, dass eines der prestigeträchtigsten Symbole unserer Stadt mit einem Staat zusammenarbeitet, der Rechte und Freiheiten tagtäglich mit Füßen tritt." Gesprochen hat Panzeri damals nicht über Katar, sondern über Saudi-Arabien anlässlich dessen versuchten Einstiegs beim Mailänder Opernhaus Scala.

Während Panzeri also den einen Staat wegen regelmäßiger Menschrechtsverbrechen geißelte, lobte er nur einen Monat später einen weiteren Staat trotz regelmäßiger Menschenrechtsverbrechen für dessen immense Fortschritte: Katar. Dort setze man mittlerweile Standards in Menschenrechtsfragen, behauptete Panzeri zu einer Zeit, in der er womöglich schon im Sold Katars stand.

Nach seinem Abschied aus dem EU-Parlament gründete Panzeri eine NGO, die – erneut ironischerweise – den Namen Fighting Impunity, also Kampf gegen Straflosigkeit, trug und als Einfallstor für die korrumpierenden Staaten gedient haben soll. Straffrei wird Panzeri aus dieser Sache aber bestimmt nicht mehr herauskommen. (Fabian Sommavilla, 18.1.2023)