Rotieren die Windräder, wird mehr Strom produziert als nötig, und der Preis sinkt. Ein Wiener Start-up macht dieses Prinzip zum Geschäftsmodell.

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Ältere Semester können sich wahrscheinlich noch an Zeiten erinnern, als im Haus oder in der Wohnung zwei Stromzähler installiert waren: einer für den Tag, einer für die Nacht. Die Idee war simpel: Stromverbrauch sollte billiger werden, wenn die Nachfrage gering ist.

Mit dem zunehmenden Ausbau erneuerbarer Energieformen wird dieses althergebrachte Konzept deutlich komplizierter. Zwar ist der Energiebedarf in der Nacht immer noch geringer als am Tag, aber die Stromproduktion wird unregelmäßiger, weil Wind weht, die Sonne scheint – oder eben nicht. Mit dem steigenden Anteil von erneuerbarer Energie im Strommix steigen auch die Produktionsspitzen – an sonnigen oder extrem windigen Tagen kann plötzlich zu viel Strom im Netz sein.

Stromproduktion wird unregelmäßiger

Damit gibt es plötzlich auch angebotsseitig ein Problem: Im schlimmsten Fall wird gerade extrem viel Strom produziert, obwohl die Nachfrage gering ist, weil Windräder in einer unruhigen Nacht besonders schnell rotieren. Nun wäre eine Möglichkeit, diesen Strom zu speichern. Dies geschieht in Österreich üblicherweise in Form von Pumpspeicherkraftwerken, aber auch Powercells für Zuhause sind mittlerweile keine Seltenheit mehr, man kann sogar die Batterie des eigenen Elektroautos als Stromversorger in der Nacht heranziehen. Doch all diese Formen der Energiespeicherung sind aufwendig und teuer.

Das Start-up Awattar aus Wien will genau aus diesen Problemen einen Vorteil für die Kunden machen, indem es den Strompreis senkt, wenn Photovoltaik und Windkraft auf Hochtouren produzieren und viel Energie am Markt ist.

Preise sinken durch steigendes Angebot

Aktuell haben Photovoltaik und Windenergie in Österreich einen Anteil von 6,5 Prozent an der Stromproduktion. "Wenn das wirklich einmal viel wird, wird das einen extremen Einfluss auf die Strompreise haben – aber einen positiven", erklärt Co-Gründer und CEO Simon Schmitz. Schmitz war für einen großen deutschen Energieversorger tätig, bevor er Awattar in Wien gründete.

Die beiden Awattar-Gründer Simon Schmitz (links, CEO) und Peter Netbal (rechts, CTO).
Foto: Awattar

"Früher hieß es, erneuerbare Energien seien alle zu teuer, aber sobald die Photovoltaik einmal auf dem Dach ist, ist auch der Strom umsonst. Wenn jetzt große Mengen Energie ins Netz ballern, gehen auch die Preise runter." Diese Ersparnis will man an die Konsumenten weitergeben, deshalb wird der Tarif auch stündlich an den tatsächlichen Strompreis angepasst. Die Idee: Grüner Strom soll dann verbraucht werden, wenn besonders viel davon verfügbar ist.

Konsument kann stündlich den Preis verfolgen

Als Konsumentin kann man so seinen Stromverbrauch an den gerade geltenden Preis anpassen und etwa Geschirrspüler und Waschmaschine zu "günstigen" Tageszeiten betreiben und so sparen. Das klingt aufwendig und ist es auch, aber man muss nicht unbedingt sein eigenes Konsumverhalten von einem Tag auf den anderen umkrempeln, sondern kann smarte Technologie für sich arbeiten lassen.

So gibt es Kooperationen mit Herstellern von smarten Wallboxen für Elektroautos. Diese laden das eigene Vehikel dann auf, wenn der Tarif am günstigsten ist. So kann man etwa einstellen, dass man um acht Uhr morgens wegfahren muss und das Auto insgesamt vier Stunden geladen werden soll. Das System wählt daraufhin den günstigsten Zeitpunkt automatisch. Ähnliche Vorteile verspricht Awattar auch bei Wärmepumpen: Diese sollen zukünftig von der smarten Heizungssteuerung kontrolliert werden. Sinkt der Strompreis, heizt die Wärmepumpe, während sie die Temperatur absenkt, wenn der Strompreis steigt.

Abgerechnet wird monatlich, und die Verbrauchsdaten werden stundengenau aufgelistet. "Bislang hat man als Kunde ja keine Ahnung, was man wirklich verbraucht, weil anhand von Teilbeträgen abgerechnet wird", erklärt Schmitz. Mit der stundengenauen Auflistung würden sich bei vielen Kunden Einsparpotenziale finden. Damit verspricht das Unternehmen 20 bis 30 Prozent Kostenersparnis für die Kundschaft. "Manche schaffen sogar 50 Prozent, aber das sind Personen, die ihren Verbrauch wirklich ganz genau auf den Tarif abstimmen", erklärt Schmitz. Voraussetzung ist allerdings ein Smart Meter anstelle des althergebrachten Stromzählers mit der sich drehenden Scheibe.

Machine-Learning und die Kristallkugel

Damit das auch funktioniert, setzt man bei Awattar in der Lindengasse im siebenten Bezirk auf Machine-Learning. Das ist nötig, weil man als Lieferant den Strom möglichst exakt einkaufen muss. Für jedes 15-Minuten-Intervall eines Tages müssen der tatsächliche Verbrauch der Kunden und der vorherige Einkauf des Stromversorgers zusammenpassen, sonst drohen Strafzahlungen.

Nun liegt es im Konzept des Start-ups, dass der Strom unregelmäßig verbraucht wird, was die Vorhersage des Kundenverhaltens extrem schwierig macht. Deshalb setzt man auf Machine-Learning. Die Software versucht, aus den bisher vorhandenen Daten eine Vorhersage für die kommenden 15 Minuten zu treffen. Das sei auch ein Grund, warum große Stromversorger noch keine stundengenaue Abrechnung anbieten können, meint Schmitz. Ihnen würde das Handwerkszeug dafür fehlen. "Die großen Stromversorger trauen sich gar nicht, solche Tarife anzubieten, weil sie sich mit der Prognose schwertun."

Aktuell arbeitet man bei Awattar daran, die Kristallkugel der Software zu verbessern. Künftig soll sie zu zweitägigen Prognosen in der Lage sein. Mit dieser "Wettervorhersage" für den Strommarkt soll die Kundschaft ihren Stromverbrauch noch weiter vorausplanen können. (Peter Zellinger, 20.1.2023)