Das Schweizer Unternehmen Climeworks in Island ist eines von wenigen, die mit technischen Mitteln CO2 aus der Atmosphäre ziehen.
Foto: APA/AFP/HALLDOR KOLBEINS

"Schatz, wach auf, sie haben den Baum erfunden", reagierte der deutsche Satiriker Sebastian "El Hotzo" Hotz kürzlich trocken auf einen "Spiegel"-Bericht. Darin wurde der Versuchsaufbau eines Schweizer Forschungsteams beschrieben, bei dem eine Art künstliche Photosynthese abläuft. Vergleichbar mit grünen Pflanzen werden Wasser und Kohlenstoffdioxid (CO2) mithilfe von Licht in Sauerstoff und energiereiche Verbindungen umgewandelt.

Warum werden in Laboren Apparate gebaut, die ähnlich wie Bäume funktionieren? Abgesehen von der Grundlagenforschung, die versucht, Abläufe in der Natur besser zu verstehen, geht es auch um ein großes Problem der Klimakrise: Wie gehen wir mit CO2-Emissionen um, die sich auch künftig nicht vermeiden lassen? Zu einem Großteil stehen auch in Zukunft die Aufforstung, die Renaturierung von Mooren und andere konventionelle, "naturnahe" Methoden im Zentrum.

Technische Lösungen werden auch in den kommenden Jahrzehnten nur einen verhältnismäßig kleinen Prozentsatz ausmachen. Und trotzdem sind sie unverzichtbar, wie das Autorenteam hinter dem ersten Bericht zum Stand der CO2-Entnahmen – unter leitender Beteiligung der Universität Oxford und des Berliner Klimaforschungsinstituts MCC und Mitarbeit des österreichischen Forschungsinstituts IIASA – deutlich macht.

Massive Einsparungen

Modellszenarien des Weltklimarats IPCC rechnen Anlagen, die der Luft CO2 entziehen und dieses beispielsweise im Boden einlagern, fix ein. Anders wären wesentlich massivere Emissionseinsparungen nötig, um auch nur unter 1,5 oder zwei Grad Erderwärmung zu bleiben, wie es die Pariser Klimaziele vorsehen. Und nicht einmal dafür ist die Weltgemeinschaft auf einem guten Weg, 2022 dürften wir mehr als 40 Gigatonnen CO2 in die Atmosphäre gebracht haben.

"Um die Erwärmung auf zwei Grad oder weniger zu begrenzen, müssen wir die Emissionsreduzierung beschleunigen", betont Autor Steve Smith von der Universität Oxford. "Doch der Bericht zeigt eindeutig: Wir müssen auch die CO2-Entnahme erhöhen, indem wir Ökosysteme restaurieren und stärken und neue Entnahmemethoden rasch hochskalieren."

Starker Aufbau nötig

Derzeit ist der Anteil an CO2, das der Luft technisch entzogen wird, verschwindend gering. Etwa zwei Gigatonnen CO2 – zwei Milliarden Tonnen – werden derzeit jährlich durch konventionelle Methoden, also Landmanagement, Aufforstung und Co, entnommen, heißt es im Report. Nur 0,002 Gigatonnen entfielen auf neue Methoden, also 0,1 Prozent. Kommen zusätzlich jene Projekte zum Einsatz, die bis 2025 fertiggestellt werden sollen, wären es knapp 0,012 Gigatonnen pro Jahr.

Von den zwei Gigatonnen, die an CO2 jährlich aus der Luft genommen werden, entfallen nur 0,002 Gigatonnen auf neue Methoden wie BECCS (Bioenergie mit CO2-Speicherung, siehe unten) und Biokohle ("Biochar").
Bild: State of Carbon Dioxide Removal 2023

Dementsprechend ist also ein starker Aufbau in den kommenden zehn Jahren notwendig, um den Klimamodellen zu entsprechen und rechtzeitig auch technisch größere Mengen an CO2 aus der Luft zu ziehen und zu speichern. In der ersten Hälfte des 21. Jahrhunderts stünden Vermeidung und Reduktion der Treibhausgasemissionen im Vordergrund, in der zweiten Hälfte dominiere hingegen die CO2-Entnahme den Klimaschutz, sagt Nachhaltigkeitsforscher Jan Christoph Minx vom MCC, einer der leitenden Autoren des Berichts.

Die Analysen der mehr als 20 Fachleute zeigen, dass schon für 2030 eine Lücke zwischen dem Soll und dem aktuellen Kurs klafft. Um den Faktor 30 müssten die neuen Technologien demnach bis dahin wachsen, bis Mitte des Jahrhunderts sogar um das 1.300-Fache. "Das heißt, wir müssen – um die benötigten Mengen bereitzustellen – jetzt CO2-Entnahmen mit Anlagen in industriellem Maßstab auf die Schiene bringen", sagt Minx. Wird diese sogenannte "formative Phase" nicht rechtzeitig angegangen, dann werde die Aufskalierung in Zukunft sehr schwierig.

Wenig Diskussion

Um welche neuen Methoden geht es hier konkret? Smith zufolge haben viele Ansätze Potenzial: "Statt uns auf eine oder zwei zu fokussieren, sollten wir ein Portfolio fördern, damit wir schnell auf netto null kommen, ohne uns zu sehr auf eine einzige Methode zu verlassen." Die wichtigsten Akronyme und Begriffe dazu sind in aller Kürze:

  • CCS Carbon (dioxide) capture and storage. Beschreibt allgemein das "Einfangen" beziehungsweise Abscheiden von CO2 und dessen dauerhafte Lagerung, in der Regel unterirdisch.
  • BECCS Bioenergie mit CCS. Biomasse wird bei industriellen Prozessen verbrannt, das freiwerdende CO2 wird danach allerdings direkt abgeschieden und gespeichert.
  • DACCS Direct air capture mit CCS. CO2 wird direkt aus der Umgebungsluft genommen – quasi ein "künstlicher Baum" – und eingelagert. Rund um DAC-Verfahren wurden seit 2000 die meisten Patente beantragt, zu einem großen Anteil in China, wie der Report zeigt.
  • Biokohle Biomasse wird bei wenig Sauerstoffzufuhr erhitzt, Biokohle entsteht. Dem Boden beigemischt, könnte das CO2 langfristig gespeichert werden.

Über diese Methoden wird in der Öffentlichkeit kaum diskutiert, sagt Christine Merk vom Institut für Weltwirtschaft (IfW) Kiel, die unter anderem die gesellschaftlichen Meinungen zu technischen Verfahren in Deutschland erforscht und den aktuellen Report fachlich begutachtete. Daher gibt es wenig differenzierte Betrachtungen, welche Technologie bevorzugt wird oder größere Risiken birgt. Stattdessen herrscht beim Thema ein "diffuses Gefühl" vor. Im Gegensatz dazu gebe es in Norwegen seit Jahrzehnten einen breiten gesellschaftlichen Konsens, dass CCS erwünscht sei.

Bei Umweltverbänden und der Bundesregierung wachse jedoch auch in Deutschland die Offenheit für Technologie, die zur Lösung des Emissionsproblems beitragen kann. Für Ökosystem-basierte Optionen sei die Akzeptanz immer groß gewesen, sofern sie bekannt sind. Moorschutz wurde erst durch aktuelle Debatten zu einem Thema. "Die große Herausforderung wird aber sein, wie mit Landwirten umgegangen wird, wie sie entschädigt werden, wie neue Formen von Landwirtschaft gefunden werden können", sagt Merk.

Veränderte Debatte

Unter den Autoren des Berichts waren einige auch an IPCC-Teilberichten beteiligt. "Ich gehörte vor fünf bis zehn Jahren selbst noch zu den großen Kritikern der Modellierung von CO2-Entnahme, also der Idee: 'Das räumen wir in der zweiten Jahrhunderthälfte schon alles wieder auf'", sagt Co-Autor und Sozialwissenschafter Oliver Geden von der deutschen Stiftung Wissenschaft und Politik. Doch die Debatte habe sich geändert – weil global in den vergangenen zehn Jahren die großen Emissionsreduktionen ausblieben, aber auch, weil zahlreiche Länder und Unternehmen seit dem Pariser Abkommen Netto-null-Ziele ins Visier nehmen. Diese seien aber ohne große zusätzliche CO2-Entnahmen nicht realistisch, weil immer Restemissionen übrigblieben.

Damit die technologische Entwicklung der Methoden und die Umsetzung nicht zurückbleibt, sind Geden zufolge politisch konkrete Unterziele notwendig, wie sie auch auf staatlicher und EU-Ebene für viele Maßnahmen definiert werden. Beispielsweise könne man festlegen, dass der Anteil von Restemissionen, die in die Atmosphäre gehen, nur fünf Prozent betragen dürfe. Diese Menge müsse dann durch CO2-Entnahme ausgeglichen werden.

Ablasshandel?

Kompliziert wird bei allen CO2-Entnahmemethoden die Überwachung, also das Monitoring – vor allem bei nichtpermanenten Lösungen. Wälder, die CO2 aufnehmen und speichern, dürfen nicht abgeholzt und verbrannt werden, genauso wenig wie Kraftstoffe und Kohlefasermaterial, das zum Bauen verwendet wird – jedenfalls nicht, wenn sie langfristige Kohlenstoffsenken sind. Dahinter steckt mitunter hoher bürokratischer Aufwand, sagt Geden, immerhin müssten die Produkte permanent verfolgt werden.

In Sachen Vertrauen der Gesellschaft wird es jedenfalls wichtig sein, die Verfahren zu überprüfen, auch im Kontext von Emissionshandel. Für die Schweizer Firma Climeworks, die in Island eine CO2-Entnahme- und Speicheranlage führt (DER STANDARD berichtete), wurde nun erstmals von einer dritten Partei bestätigt, dass etwa für die Unternehmen Microsoft und Shopify CO2-Emissionen herausgefiltert wurden. Merk fragt: "Kann in Zukunft das Label 'klimaneutral' oder 'CO2-neutral' dazu führen, dass wir uns freikaufen von der Schuld – und dann zu weniger Emissionsreduktionen führen? Es wird interessant sein, dies in den nächsten Jahren und Jahrzehnten zu beobachten." (Julia Sica, 19.1.2023)