Ökonom Kurt Kratena schreibt in seinem Gastkommentar über den Frust der Klimaaktivistinnen und -aktivisten. Österreichs Politik kritisiert er, weil diese sich "immer mehr nach Umfrageergebnissen richtet".
Für die jüngsten Klimaproteste können zahlreiche Pro- und Kontra-Argumente aufgezählt werden, die konkreten Schlussfolgerungen hängen sehr davon ab, wie man diese Proteste generell qualitativ einschätzt. Sie dienen sehr wahrscheinlich wesentlich mehr dem Ablassen von – berechtigter – Frustration und dem Erlangen einer entsprechenden öffentlichen Aufmerksamkeit als der Vorlage eines bis ins letzte Detail durchdachten klimapolitischen Plans. Die Frustration, die den Klimaprotesten zugrunde liegt, ist sehr ernst zu nehmen und verständlich.
Die Protestierenden berufen sich auf die Klimawissenschaften und wollen die Dramatik eines immer kleiner werdenden Kohlenstoffbudgets aufzeigen, wenn die Erwärmung auf 1,5 °C begrenzt werden soll. Auf der anderen Seite erleben wir eine öffentliche Diskussion, die sich mit – angesichts der drohenden Erwärmung und ihrer Folgen – skurrilen Themen wie der "Zumutbarkeit" der Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel (weil sich nicht überall auf dem flachen Land eine U-Bahn-Station vor der Haustür befindet) befasst. Das muss bei den besorgten Klimaprotestierern massive Frustration auslösen.
Damit stellt sich aber auch die Frage, ob die österreichische Politik der geeignete Adressat dieser Proteste ist. Unsere durch den jahrzehntelangen Populismus beschädigte Demokratie zeichnet sich durch überzogene Gefälligkeit der Regierenden gegenüber den Regierten aus. Das führt zu einer Haltung, man müsse die Regierten bei allen politischen Maßnahmen immer "mitnehmen" und "abholen". Warum es notwendig sein sollte, dass die Mehrheit der Wahlberechtigten im Jänner 2023 mit Maßnahmen der Regierung zur dringenden Linderung einer Klimakatastrophe einverstanden ist, wenn erst im Herbst 2024 gewählt wird, bleibt dabei unklar.
Nichts geht?
Wenn sich die Politik immer mehr nach Umfrageergebnissen richtet, dann ist aber auch nicht sie der Adressat dieser Proteste, sondern jene Defätisten, die permanent aufzeigen wollen, dass die für die Dekarbonisierung notwendigen Veränderungen unmöglich sind. Es darf keinen CO2-Preis geben wegen der Wettbewerbsfähigkeit, es darf kein Streichen kontraproduktiver Subventionen (Pendlerpauschale) geben, die Elektromobilität ist wegen der Rohstoffknappheit keine Option, man kann die Gasheizungen nicht umstellen; mit einem Wort: Nichts geht.
Diese Zweifler vertrauen implizit darauf, dass es ihnen möglich sein wird, die Regierungen bis in alle Zukunft zu erpressen. Dabei wird aber ein wesentlicher Faktor übersehen, den auch der Ökonom Jan Kluge unlängst in einem Gastkommentar betont hat: die EU-Klimapolitik. Diese hat in den letzten Jahrzehnten ein Rahmenwerk geschaffen, in dem die Emissionen von Industrie und Stromerzeugung absolut beschränkt und kontinuierlich zurückgefahren werden (Emissionshandel) und für die Emissionen von Gewerbe, Verkehr und Gebäuden verbindliche Reduktionsziele festgelegt werden, die bei Nichterreichung ebenfalls zu Strafzahlungen beziehungsweise zum Erwerb von Zertifikaten führen.
Historische Erfahrung
Nationales Trittbrettfahrerverhalten für den Sektor des Nichtemissionshandels ist somit ausgeschlossen. Darüber hinaus sollen Verkehr und Gebäude ab 2027 auch in ein Emissionshandelssystem eingebunden werden. Der nationale Spielraum der Klimapolitik besteht damit im Wesentlichen in sozialen Maßnahmen zur Abfederung der Belastung mit CO2-Preisen und verschiedenen Einzelmaßnahmen, wobei aber jedenfalls das Reduktionsziel erreicht werden muss.
Manchmal wird entgegengehalten, dass die Ziele nicht erreicht werden beziehungsweise unerreichbar sind. Die historische Erfahrung zeigt etwas ganz anderes: Sowohl das Kioto-Ziel als auch die 20-20-20-Ziele wurden von der Gesamtheit der EU-Länder weit übererreicht. Nicht von Österreich, aber das dürfte dem globalen Klima egal sein. Derzeit hat Österreich die Emissionen gegenüber 2005 um 21 bis 25 Prozent (je nachdem, wie 2022 ausfallen wird) reduziert, was der Hälfte des Zieles für 2030 (minus 48 Prozent) entspricht.
Es gibt somit, bei aller Dramatik der Klimakrise, auch positive Entwicklungen, die Anlass für etwas Optimismus sein können. Die Klimaprotestierenden können auf die Klimapolitik, die innerhalb des EU-Rahmens erfolgt, vertrauen. Die Zweifler aber werden irgendwann aufwachen und zur Kenntnis nehmen müssen, dass es nicht ihre hundertprozentige Resistenz gegenüber minimalsten Veränderungen ist, die den Gang der Geschichte bestimmen wird. (Kurt Kratena, 19.1.2023)