Mackenzie McDonald zog nach seinem Zweitrundensieg die Kappe vor Leidensmann Rafael Nadal.

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Größere US-Hoffnungen tragen bei den Australian Open Frances Tiafoe ...

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... und Coco Gauff.

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Die Abgesänge auf Rafael Nadal werden mit jeder verletzungsbedingten Niederlage oder Pause des Spaniers vernehmlicher. Nach dem frühzeitigen Aus bei den Australian Open stimmt der 36-Jährige mit ein. Er sei "müde" und "frustriert", ja "mental zerstört", sagte die gescheiterte Nummer eins des ersten Grand-Slam-Turniers des Jahres nach dem 4:6, 4:6, 5:7 in Runde zwei gegen Mackenzie McDonald. Die kalifornische Nummer 65 der Weltrangliste hatte fast nur noch mit den Nerven zu kämpfen, als sich der schon mit Hüftschmerzen ins Spiel gestartete Grand-Slam-Rekordler infolge eines langen Schritts im zweiten Satz seiner Schmerzen wegen nur noch über den Platz schleppen konnte. Nach 2:32 Stunden waren die Qualen vorbei. Auf der Tribüne vergoss Nadals Ehefrau Maria Francisca Perello Tränen, während der schwer Geschlagene sein Berufsethos erläuterte: "Ich wollte nicht aufgeben, ich bin der Titelverteidiger hier. Bis zum Ende alles geben, egal wie groß die Chancen stehen, ist die Philosophie des Sports."

Für Nadal war es die früheste Pleite in Melbourne seit 2016. Der Sieger von 22 Grand-Slam-Turnieren hat sieben seiner letzten neun Einzel verloren, das war ihm zuletzt mit 17 Jahren passiert. Die Rückkehr an die Spitze der Weltrangliste kann er sich ohnehin aufzeichnen, Nadal wird nach Melbourne aus den Top fünf purzeln, sein verletzt fehlender Landsmann Carlos Alcaraz muss abwarten, wie seine restlichen direkten Konkurrenten abschneiden. Der Norweger Casper Ruud mit dem Finaleinzug, der Grieche Stefanos Tsitsipas mit seinem ersten Grand-Slam-Titel und natürlich Novak Djokovic, der an Major-Siegen mit Nadal gleichziehen müsste, können den Thron erklimmen.

Stolpersteine en masse

Stolpersteine gibt es für das Trio en masse. Aber es wäre nicht verwunderlich, wenn weitere Profis aus den USA das Rennen um die Nummer eins maßgeblich beeinflussen könnten. Schon ihre Quantität ist beachtlich. 13 von 64 Spielern in der zweiten Runde pflegen sich beim Erklingen von The Star-Spangled Banner zu straffen. Darunter sind natürlich Taylor Fritz und Frances Tiafoe, die zuletzt im neuen United Cup brillierten und zusammen mit Jessica Pegula und Madison Keys im Finale dieses Mixedbewerbes zu Sydney mit 4:0 über Italiens Quartett triumphierten. Fritz, in Melbourne als Nummer acht gesetzt und ein potenzieller Halbfinalgegner für Djokovic, gewann in der vergangenen Saison in Indian Wells im Finale gegen Nadal sein erstes Masters, danach stand der 25-Jährige aus San Diego im Viertelfinale von Wimbledon. Im Herbst gewann er das Endspiel von Tokio gegen Landsmann Tiafoe, der das Halbfinale der US Open geschmückt und da erst nach fünf Sätzen gegen den späteren Turniersieger Alcaraz die Segel gestrichen hatte. Der 24-Jährige aus Hyattsville, Maryland, ist nicht nur spielerisch eine der größten Hoffnungen im Zirkus, auch als Entertainer überzeugt er.

Das Supertalent

In Melbourne bekommt es die Nummer 16 möglicherweise im Viertelfinale mit Daniil Medwedew zu tun. Dazu muss sich der als Nummer sieben gesetzte Russe gegen Sebastian Korda aus Bradenton, Florida, durchsetzen. Der 22-jährige Sohn und Schützling von Petr Korda, der die Australian Open 1998 auch für Tschechien gewonnen hatte, gilt überhaupt als die größte Hoffnung im männlichen US-Tennis. Vergangene Woche hatte der Juniorensieger von Melbourne im Finale von Adelaide immer schon einen Matchball gegen Djokovic.

Während die USA im Frauentennis immer an der Spitze mitmischten – nach dem Rücktritt von Serena Williams wird der erst 18-jährigen Cori "Coco" Gauff in Zukunft ähnliche Dominanz zugetraut –, sah es bei den Männern nach Jahren der Triumphe lange düster aus. 2003 gelangen die bisher letzten Major-Siege – Andre Agassi in Melbourne und Andy Roddick in New York. Roddick war zwischen 3. November 2003 und 1. Februar 2004 auch die bisher letzte Nummer eins aus den USA.

Große Fußstapfen

Spieler vom Zuschnitt eines John Isner oder Sam Querrey hatten nicht die Klasse, in Roddicks Fußstapfen zu treten, geschweige denn US-Legenden wie Agassi, Pete Sampras oder auch Jim Courier nacheifern zu können. Fritz, Tiafoe, vor allem aber Korda sind vielseitiger, also weniger auf wuchtiges Aufschlag-Volley-Spiel ausgelegt. Sich bietende Chancen lassen sich so leichter nützen. Zumal in Zeiten, in denen Giganten wie Nadal taumeln. (Sigi Lützow, 19.1.2023)