Mentale Gesundheit ist auch in jungen Jahren ein wichtiges Thema, Transpersonen sind oft von Problemen betroffen (Symbolbild).
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Die Pubertät ist eine schwierige Zeit – vor allem, wenn man sich nicht mit dem Geschlecht identifizieren kann, das einem bei der Geburt zugeschrieben wurde, wenn man also trans ist. Unter Transgender-Jugendlichen ist die Suizidrate extrem hoch: Untersuchungen zeigen, dass mehr als die Hälfte einen Suizidversuch unternommen hat und mehr als 80 Prozent darüber nachgedacht haben.

Seit den 1990er-Jahren ist wissenschaftlich bekannt, dass den Betroffenen Hormontherapien helfen können. Vor allem gesellschaftlich wird weiterhin kontrovers über das Thema diskutiert. Es betrifft nicht nur etwa 0,5 Prozent der Bevölkerung, die bisherigen internationalen Schätzungen zufolge trans sind, sondern auch ihr Umfeld und Betreuungspersonen. Neue Daten liefert nun die bisher größte US-Studie, die im Fachblatt "New England Journal of Medicine" veröffentlicht wurde. Sie zeigt, dass geschlechtsangleichende Hormonbehandlungen die mentale Gesundheit von Jugendlichen, die trans und/oder nichtbinär sind, signifikant verbessern.

Unterstützende Hormone

Das Team um Psychologin Diane Chen vom Lurie-Kinderspital in Chicago untersuchte 315 junge Menschen zwischen zwölf und 20 Jahren, die fachsprachlich unter Geschlechtsdysphorie litten: Dass ihre Geschlechtsidentität und ihr äußeres Erscheinungsbild nicht zusammenpassen, verursacht anhaltenden Druck. Für die Studie wurde ihr psychisches Befinden zwei Jahre ab Beginn einer Hormonbehandlung mit Testosteron oder Östradiol dokumentiert.

Für Minderjährige war die Zustimmung der Eltern zur Behandlung nötig. An allen an der Studie beteiligten Zentren waren multidisziplinäre Teams verantwortlich für eine Einschätzung, ob Genderdysphorie vorliegt und entsprechende medizinische Verfahren angemessen sind. Im Durchschnitt waren die Beteiligten 16 Jahre alt, 60 Prozent waren transmaskulin, also junge Männer oder nichtbinäre Personen, die sich eher auf der männlichen Seite des Geschlechterspektrums sahen. Ein kleiner Teil – rund acht Prozent – hatte zuvor Pubertätsblocker erhalten, die die Pubertät hinauszögern und beispielsweise auch bei Kindern mit früh einsetzender Pubertät angewandt werden.

Bessere psychische Gesundheit

Durch die verabreichten Geschlechtshormone entwickeln sich sekundäre Geschlechtsmerkmale wie stärkere Gesichtsbehaarung oder größere Brüste. Alle sechs Monate wurden die beteiligten Jugendlichen und jungen Erwachsenen befragt – etwa bezüglich ihrer Zufriedenheit, Depressionen, Angstgefühlen sowie positiven Emotionen. Damit handelt es sich um die längste und größte Follow-up-Studie, berichtet das Forschungsteam.

"Unsere Ergebnisse liefern solide wissenschaftliche Belege dafür, dass eine bessere Übereinstimmung des Aussehens infolge einer Hormonbehandlung stark mit besserer psychischer Gesundheit bei Transgender- und nichtbinären Jugendlichen verbunden ist", sagt Erstautorin Chen.

Kritik an der Studie

Während Depressions- und Angstsymptome zurückgingen, stiegen mit dem besseren Zusammenpassen des Erscheinungsbilds mit der eigenen Geschlechtsidentität zudem Lebenszufriedenheit und positive Gefühle. Die traurigen Aspekte der Studie betreffen zwei Teilnehmende, die Suizid begingen; 3,5 Prozent der Proband:innen berichteten von Suizidgedanken. Dieser Anteil liegt allerdings weit unter dem eingangs erwähnten Prozentsatz an Teenagern, die trans sind und – oft unbehandelt – besonders oft an Suizid denken.

Auch in diesem Zusammenhang gilt es in künftigen Studien einige Fragen zu klären, wie ein Begleitartikel zweier Expertinnen von der Universität Amsterdam, Annelou de Vries und Sabine Hannema, erwähnt. So wurden andere Einflussfaktoren nicht erhoben, die sich etwa auf Depressionen auswirken können, etwa ob die Betroffenen gleichzeitig psychische Gesundheitsfürsorge erhielten, wie es empfohlen wird.

Fehlende Unterstützung

Ermittelt wurde außerdem nicht, ob die Beteiligten zusätzlich von Faktoren wie einer Autismusspektrumsstörung betroffen waren oder von ihren Familien unterstützt wurden. Es werde etwa vermutet, dass soziale Unterstützung eine Erklärung dafür ist, warum es niederländischen Jugendlichen, die trans sind, oft psychologisch besser geht als jungen Menschen in anderen Ländern, schreiben de Vries und Hannema.

Sie weisen zudem auf knapp drei Prozent der Proband:innen in der neuen Studie hin, die die Hormontherapie abbrachen. Unklar bleibt, ob dies geschah, weil sie mit dem Grad der körperlichen Veränderungen zufrieden waren oder dies eher auf Unzufriedenheit schließen lässt und sie womöglich eine Detransition vornehmen.

Die Frage der Detransition

Detransition beschreibt ein Rückgängigmachen der Transition zu einem anderen Geschlecht. Diesem Aspekt wird medial verhältnismäßig viel Aufmerksamkeit gewidmet, insbesondere als Argument gegen geschlechtsanpassende Hormone und Operationen. Tatsächlich müssen wissenschaftlich mehr Daten zu Detransitionen gesammelt werden, auch in Bezug auf Behandlungsoptionen bei jungen Menschen. Bisherige Studien zu den Gründen einer solchen Entscheidung zeigen aber, dass nicht immer ein Wandel in der Geschlechtsidentität dahintersteckt.

Oft erfahren die Personen mangelnde Unterstützung durch Eltern oder Partner, Diskriminierung am Arbeitsplatz und im Alltag. Dies kann dazu führen, dass manche ein Ende oder das Rückgängigmachen einer Behandlung wünschen. Eine Metaanalyse zu Operationen zeigte, dass ein Prozent der Patient:innen, die trans sind, nach geschlechtsanpassenden OP-Eingriffen Bedauern äußerte. Zum Vergleich: Statistiken zufolge sagen je nach OP drei bis 13 Prozent der Personen, die in den USA kosmetische chirurgische Eingriffe vornehmen lassen, dass sie nicht zufrieden sind und dies nicht wieder tun würden.

Vorteile und Nachteile

Wie immer müssen Vor- und Nachteile gegeneinander abgewogen werden, heißt es im Begleitartikel. Niederländischen Studien zufolge kann sich der Aufbau von Mineralstoffen im Knochen verlangsamen, wenn Pubertätsblocker zum Einsatz kommen. Durch geschlechtsangleichende Hormone hingegen nimmt diese Entwicklung zu. Außerdem wurde festgestellt, dass die schulischen Leistungen vorher und nachher konstant blieben.

Angesichts des hohen Suizidrisikos ist die psychische Gesundheit jedoch nicht zu vernachlässigen. Eine der Studienautorinnen, Johanna Olson-Kennedy vom Kinderspital Los Angeles, betont: "Wir hoffen, dass diese Ergebnisse inmitten einer Landschaft der Fehlinformationen den Einsatz rechtzeitiger und angemessener medizinischer Interventionen für diese gefährdete Gruppe von Jugendlichen unterstützen."

Einschränkende Gesetze

Damit spielt Olson-Kennedy neben europäischen Ländern, die ihre Empfehlungen anpassen und entsprechenden Zugang zu medizinischer Versorgung für Jugendliche, die trans sind, einschränken, vor allem auf gewisse US-Bundesstaaten an. Arkansas war der erste Bundesstaat, in dem 2021 geschlechtsangleichende Gesundheitsversorgung für alle betroffenen Jugendlichen verboten wurde. Dass dies medizinischen Empfehlungen zuwiderläuft, machten in den vergangenen Monaten nicht zuletzt US-amerikanische Fernsehshowmoderatoren deutlich, etwa John Oliver oder Jon Stewart im Gespräch mit der Vizegouverneurin von Arkansas, Leslie Rutledge.

The Problem With Jon Stewart

In Österreich sind für die Behandlung von Geschlechtsdysphorie drei Diagnosen notwendig, die von psychotherapeutischer, klinisch-psychologischer und psychiatrischer Seite erbracht werden. Auf dieser Basis können verschiedene Therapien – mittels Hormonen und/oder durch chirurgische Eingriffe – folgen. Empfohlen werden Hormonbehandlungen Leitlinien zufolge meist ab einem Alter von 16 Jahren.

Für entsprechende Operationen im Genitalbereich muss man volljährig, für eine Brustentfernung nach Hormonbehandlung mindestens 17 sein. Zuvor können reversible Maßnahmen eine Rolle spielen, etwa pubertätsbremsende Therapien, die allerdings von der individuellen körperlichen Entwicklung abhängen. Änderungen des Namens und des Personenstands können schon Kinder mit elterlicher Zustimmung beantragen, wobei laut dem Verein TransX die Stabilität der Geschlechtsidentität bestätigt werden muss – wie bei Erwachsenen.

Ob eine Hormonbehandlung ein Schritt ist, den die Einzelperson gehen möchte, bleibt freilich eine persönliche Entscheidung. Im Idealfall geschieht dies sowohl mit guter therapeutischer Betreuung als auch mit einem Umfeld, das Betroffene in ihrer Entscheidungsfindung und danach unterstützt. (Julia Sica, 21.1.2023)