Seit dem Fall von Roe v. Wade demonstrieren Menschen in den USA regelmäßig für das Recht auf Abtreibung.

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Die Mutterfirma von Dating-Apps wie Tinder und Hinge reagierte schnell, als Texas im September 2021 Schwangerschaftsabbrüche nach der sechsten Schwangerschaftswoche untersagte. Das Gesetz kam einem völligen Abtreibungsverbot nahe. Match Group richtete nur Wochen später einen Fonds ein, der die Reisekosten für Mitarbeiter:innen, die eine Abtreibung brauchten, übernehmen sollte.

Das funktioniert über eine Zusammenarbeit mit Planned Parenthood, einer NGO, die in ihren Kliniken unter anderem Abbrüche durchführt. Eine Zweigstelle in Los Angeles, Kalifornien, organisiert Flüge, Unterkünfte und den Eingriff. Mitarbeiter:innen, die das in Anspruch nehmen, blieben gegenüber den Arbeitgeber:innen völlig anonym, sagte eine Unternehmenssprecherin der Match Group.

Abtreibungsgegner:innen in den USA bekamen im Sommer 2022 starken Rückenwind durch den Fall der Grundsatzentscheidung Roe v. Wade, die das Recht auf Abtreibung in den USA seit 1973 verfassungsrechtlich verankerte. Im Juni des vergangenen Jahres hob der Oberste Gerichtshof dieses Urteil auf. Konservative Bundesstaaten können seitdem Abtreibungen völlig verbieten und unter Strafe stellen. So wie Texas, wo ungewollt Schwangere nun nicht einmal mehr die sechswöchige Frist haben, sondern Abtreibungen nur noch legal sind, wenn das Leben der Schwangeren in Gefahr ist. Wer aus anderen Gründen einen Abbruch vornimmt, muss mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen. In zwölf weiteren Staaten sind mittlerweile so gut wie alle Abtreibungen verboten.

Nur eine PR-Strategie?

Für eine legale Abtreibung müssen ungewollt Schwangere also reisen. Das ist teuer. Ein Viertel der Amerikaner:innen geben an, keine 400 Dollar auf dem Konto zu haben, um eine unvorhergesehene Rechnung zu bezahlen. Zu den Kosten von durchschnittlich 575 Dollar kommen nun auch Anreise, Unterkunft und Verpflegung dazu.

Dutzende Unternehmen kündigten nach dem Fall von Roe v. Wade an, ihre Mitarbeiter:innen nicht im Stich lassen zu wollen. Sie wollten Kosten rund um Abtreibungsreisen übernehmen. Zu den Firmen gehörten Schwergewichte wie Walmart, Amazon, Starbucks und Uber. Doch seit den Ankündigungen vergangenen Sommer ist es still geworden.

Seit anderthalb Jahren gibt es den Fonds der Match Group. Doch weder das Unternehmen noch Planned Parenthood selbst will Zahlen dazu nennen, wie viele Mitarbeiter:innen das Angebot in Anspruch genommen haben oder wie viel Geld das Unternehmen für den Fonds bisher aufgewendet hat.

Seit Mai 2022 übernimmt die Krankenversicherung der Kaffeehauskette Starbucks Reisekosten für Schwangerschaftsabbrüche, wenn die nächste Klinik mehr als 100 Meilen (etwa 161 Kilometer) entfernt ist. Das gilt auch für Teilzeitkräfte.

Zu kleines Pflaster

Beim Jeanshersteller Levi Strauss werden Reisekosten für medizinische Eingriffe übernommen, die nicht im Heimatbundesstaat verfügbar sind, darunter auch für Abtreibungen. Außerdem gebe es einen Prozess, mit dem auch jene Mitarbeiter:innen, die keinen Anspruch auf eine Versicherung bei Levi's haben, um eine Kostenerstattung anfragen könnten, sagte ein Unternehmenssprecher auf Nachfrage.

Das Essenslieferant Doordash lässt die Kostenübernahme über einen dritten Anbieter regeln, der zur vertraulichen Behandlung der Daten gesetzlich verpflichtet ist. Doch nicht alle Beschäftigten profitieren davon. Im Quartal lieferten über zwei Millionen Menschen Essen für die Plattform aus. Formal sind sie selbstständig und daher nicht über Doordash krankenversichert.

Sprecher:innen der drei Unternehmen lehnten ab, konkrete Zahlen oder auch nur Dimensionen zu nennen, inwiefern die Belegschaft die Möglichkeit zur Kostenübernahme tatsächlich wahrnimmt. Über 50 Unternehmen kündigten noch im Sommer an zu helfen und waren damit groß in den wichtigsten Medien des Landes. Doch wie viele ihre Versprechen auch umsetzen, ist unklar.

"Es ist problematisch, den Zugang zu Abtreibung in die Hände von Unternehmen zu legen", sagt die Juristin Bethany Corbin, die Firmen unter anderem zu diesem Thema berät. "Es ist ein Pflaster auf einer Stichwunde", sagt die Ökonomin Kate Bahn gegenüber Vox.

Der Zufall entscheidet, ob ungewollt Schwangere bei Unternehmen arbeiten, die Unterstützung anbieten. Und auch wenn: In manchen Firmen sind gerade jene, die das Geld am dringendsten brauchen, von der Leistung ausgeschlossen.

Gigworker:innen, die zum Beispiel für Doordash Essen ausliefern oder für Uber Taxi fahren, sind oft von Armut gefährdet, können Rechnungen nicht bezahlen oder lassen Mahlzeiten aus, weil Geld fehlt. Da sie als selbstständig gelten, gehen sie leer aus. Auch bei Amazon haben Zusteller:innen als freie Dienstnehmer:innen keine Chance auf eine Kostenübernahme. Angestellte, die weniger als 20 Stunden in der Woche arbeiten, sind ebenfalls ausgeschlossen.

Komplizierte Gesetzeslage

Amazon und sechs weitere Firmen reagierten nicht auf Anfragen des STANDARD. Darunter auch Walt Disney, das wie Match Group und Amazon in der Vergangenheit an Politiker:innen oder politische Gruppen gespendet hat, die den Zugang zu Abtreibung einschränken wollten.

Waren die Ankündigungen, ungewollt schwangeren Mitarbeiter:innen helfen zu wollen, mehr PR-Aktion als Überzeugung? "Manche Unternehmen wollten sofort handeln und haben nicht wirklich durchdacht, wie das in der Praxis funktionieren soll. Das war gutgemeint, aber oft schlecht umgesetzt", sagt die Juristin Corbin.

Die Gesetzeslage ist kompliziert, unterscheidet sich stark zwischen den Bundesstaaten und kann sich jederzeit ändern. Corbin prognostiziert, dass es bald erste Gerichtsverfahren gegen Unternehmen geben wird, die Mitarbeiter:innen Kosten rund um Schwangerschaftsabbrüche erstatten. Im Laufe eines solchen Prozesses könnten Versicherungen dazu gezwungen werden, sensible Daten herauszugeben, die ansonsten gesetzlich geschützt sind. Gerade beim politisch umkämpften Thema Abtreibung ist das gefährlich.

Trotzdem ist die Abrechnung über die betriebliche Krankenversicherung noch die sicherste Variante, sagt Corbin. Manche Unternehmen regeln die Kostenübernahme intern. Gesundheitsdaten sind dann nicht gesetzlich geschützt, und Beschäftigte haben keine Sicherheit dahingehend, wer Einblick bekommt.

Aufgerissene Lücke

Intransparenz, Probleme beim Datenschutz, ungleiche Behandlung der Beschäftigten – all das macht wenig Hoffnung darauf, dass Arbeitgeber die Lücke füllen können, die der Fall von Roe v. Wade in der Gesundheitsversorgung aufgerissen hat.

Corbin prognostiziert trotzdem, dass die Kostenübernahmen noch für die nächsten Jahre Teil der Gesundheitsleistungen dieser Firmen sein werden. Allein deswegen, weil das frühzeitige Streichen schlecht fürs Image wäre.

Langfristig allerdings können reproduktive Rechte nur politisch gesichert werden. Bei den Midterm-Wahlen im November 2022 stimmten etwa Mehrheiten in Kalifornien, Michigan und Vermont dafür, ein Abtreibungsrecht in der eigenen Verfassung der Bundesstaaten zu verankern. Unternehmen können helfen, indem sie zum Beispiel Spenden einstellen, die auf Antiabtreibungskampagnen einzahlen, und stattdessen NGOs unterstützen, die Abtreibungen für einkommensschwache Frauen bezahlen. (Lisa Wölfl, 20.1.2023)