Es kommt nicht alle Tage vor, dass sich eine DNA-Expertin eine Kalaschnikow über die Schulter wirft, damit quer durch den Gerichtssaal trabt und sie ohne zu zögern einem Geschworenen in die Hände drückt, um so leichter ins Mikrofon sprechen und das bedrohliche Kampfgerät Stück für Stück erklären zu können.

Noch merkwürdiger wirkt das alles, wenn man weiß, dass an der Waffe im übertragenen Sinn Blut klebt. Das Sturmgewehr gehörte nämlich niemand Geringerem als dem Jihadisten K. F., der am 2. November 2020 in der Wiener Innenstadt um sich schoss, dabei vier Menschen ermordete und etliche weitere verletzte.

Es sind Momente wie diese, die im Großen Schwurgerichtssaal am Wiener Landl zeitweise für eine seltsam lockere Atmosphäre sorgen, dafür sorgen, dass das Gefühl dafür verloren geht, dass sich der Wiener Terrorprozess tatsächlich um einen Terroranschlag dreht. Und deshalb nicht zuletzt sechs Hauptangeklagte seit einigen Monaten wegen mutmaßlicher Terrordelikte und Mordes vor Gericht sitzen. Spätestens am 2. Februar wird der Richter ein Urteil fällen. Es gilt die Unschuldsvermutung.

Sturmhauben-Model und Regenbogen

Ein zugeschalteter slowakischer Polizist, der für einen anonymen Waffenverkäufer als Sturmhauben-Model herhalten muss; eine ehemalige Fitnesscenter-Inhaberin, die ihre Erinnerungen an den Anschlagstag mit einem Regenbogenfoto auffrischt; oder langwierige Debatten darüber, ob für die Waschküche des Wohnhauses, in dem der Wiener Attentäter gelebt hatte, ein Chip notwendig sei, verstärken den beschriebenen Eindruck umso mehr.

Unmittelbar spürbar wird das Gefühl, sich in einem Terrorprozess zu befinden, dann oft nur durch die im Gerichtssaal postierten Justizwachebeamten und Verfassungsschützer. Oder wenn die Mutter des Terroristen über den Abend des Anschlags spricht und in Tränen ausbricht.

Auf die Geschworenen dürften vor den Urteilen im Wiener Terrorprozess noch langwierige Beratungen zukommen.
Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

Es ist auch ein unglaubliches Tempo, in dem der Wiener Terrorprozess abgearbeitet wird. In der Regel enden die Verhandlungstage früher als angesetzt. Die Zeugeneinvernahmen werden flott abgefertigt. Der Erkenntnisgewinn bleibt dürftig. Das liegt auch daran, dass sich der Stand der Ermittlungen rund um den Anschlag seit Monaten nicht mehr verändert hat. Die große Überraschung war nicht zu erwarten. Vielleicht treibt der Richter auch deshalb das Verfahren so voran.

Aber an anderer Stelle geht damit auch wertvolle Information verloren. Etwa im Fall Argjend G. Es ist nicht anzunehmen, dass bei dessen kurzer Befragung vor einigen Wochen für alle Geschworenen klar wurde, wen sie hier als Zeugen vor sich sitzen hatten. Dabei sehen Verfassungsschützer in G. eine bedrohliche Jihadisten-Größe Österreichs.

Der Eindruck zählt

Der 24-jährige Nordmazedonier gilt als radikaler "Durchlauferhitzer" des Wiener Attentäters – eine direkte Beteiligung am Anschlag konnte ihm aber nie nachgewiesen werden. Erst im vergangenen Oktober fasste er allerdings in einem getrennten Verfahren eine noch nicht rechtskräftige Freiheitsstrafe von 19 Monaten wegen terroristischer Vereinigung und krimineller Organisation aus. Für das Gericht ist G. ein "IS-Mann". Sichergestellte Memos lassen ihn zudem als "aufstrebenden jihadistischen Prediger" erscheinen. Da G. als Folge des Anschlags schon zwei Jahre in Isolationshaft saß, kam er umgehend frei.

Dass der nun Angeklagte Hedayatollah Z. (28) den Jihadisten G. wohl nicht nur flüchtig kennt, wie die beiden aussagen, sondern dem Staatsschutz Treffen mit G. und weiteren als einschlägig bekannten Personen aufgefallen sein dürften, ist ein relevanter Faktor. Denn das stärkste Beweismittel im laufenden Terrorprozess ist der persönliche Eindruck. Glasklare Belege für eine mutmaßliche Mordbeihilfe der sechs Hauptangeklagten treten oft nicht deutlich in Erscheinung.

Staatsschutz vertraut nur auf sein "Gedächtnis"

Selbst bei Z., der kurz vor dem Anschlag zwischendurch in der spärlich möblierten Wohnung des Attentäters gelebt hatte, stellen sich Fragen. Ermittler stellten dessen DNA unter anderem auf allen Waffen des Terroristen sicher. Ob sich daraus eine fixe Beteiligung an der Anschlagsplanung und der Vorbereitung der Waffen ableiten lässt, wie es die Staatsanwaltschaft formuliert, mag sich in einem Gesamtbild zwar andeuten, wird sich aber wohl nicht mehr lückenlos aufklären lassen.

Jeglicher Konnex zur radikalislamischen Szene, der auch einige Verwandte des Angeklagten im Ermittlungsakt zugerechnet werden, könnte die Anklage für die Geschworenen aber plausibler erscheinen lassen. Z.s Verteidiger wehrt sich massiv dagegen, dass dieser Eindruck auch nur ansatzweise entsteht.

Die Arbeit des Staatsschutzes macht eine eindeutige Beweislage in diese Richtung nicht gerade leichter. Ein vorgeladener Beamter sagte am Dienstag vor Gericht aus, dass seit 2014 vereinzelte Besuche Z.s in einigen einschlägigen Moscheen bekannt seien. Allerdings sei er dort bloß als Besucher aufgefallen. Konkrete Ermittlungen im Bezug auf eine terroristische Vereinigung seien gegen Z. daher nie aufgenommen worden.

Laut dem Staatsschützer werden zudem sämtliche Aufzeichnungen über radikale Moscheen gelöscht, sobald die Gebetshäuser geschlossen seien. Die Behörde verfüge demnach nur noch über "Gedächtnisprotokolle", die dem Gericht auch vorgelegt worden seien. Die Information "ist nicht aus unseren Köpfen gelöscht", lautet der brisante Satz des Ermittlers. Das lässt den bisherigen Aktenbestand zum Angeklagten Z. doch teils in einem etwas anderen Licht erscheinen.

Den Geschworenen dürften spätestens am 2. Februar nervenaufreibende Beratungen bevorstehen. Immerhin drohen Z. und drei weiteren Angeklagten lebenslange Haftstrafen. Bei den zwei übrigen geht es um maximal 20 Jahre, da sie nach dem Jugendstrafrecht zu verurteilen wären. Und auch da gestaltet sich die Indizienkette nicht weniger komplex.

Der Chauffeur und der Dealer

Da wäre einmal Arijanit F. Der 23-jährige Kosovare fuhr den späteren Wiener Terroristen in die Slowakei, wo dieser in einem Waffengeschäft vergeblich versuchte, an Munition für ein Sturmgewehr zu gelangen. Der Angeklagte will davon nichts mitbekommen haben. Die Gun-Shop-Betreiber berichten das exakte Gegenteil. Da ihre Kunden zudem den Eindruck gemacht hätten, als "würden sie die Waffen für illegale Zwecke benutzen", schickten die Verkäufer ein Foto der beiden an die slowakische Polizei. Wie viel Arijanit F. tatsächlich von den Anschlagsplänen seines Bekannten wusste, ist allerdings unklar.

Ähnlich knifflig verhält es sich mit dem Tschetschenen Adam M. (32). Er gab bereits zu, im Sommer 2020 Waffen samt Munition an den späteren Attentäter vermittelt zu haben. Das aber womöglich mehr aus kleinkriminellen und weniger aus ideologischen Gründen. Sichergestellte Handydaten legen nahe, dass er sich am Vortag des Anschlags in der Wohnung des Attentäters befunden haben könnte. M. will bei seiner Schwester bzw. im Wiener Donauzentrum gewesen sein. Laut Informationen der Polizei liegt zumindest das Einkaufzentrum "teilweise" im Sendebereich der Wohnung.

Zwei Freunde, ein "schlechter Einfluss"

Ismail B. (22) und Burak K. (24) besuchten wiederum ihren Freund, den späteren Attentäter K. F., noch am Tag des Anschlags. B. will nur ein Buch vorbeigebracht haben. Die Staatsanwaltschaft wirft den beiden vor, in der Wohnung des Terroristen gewesen zu sein, während dieser sein Bekennervideo aufgenommen habe. Indizien dafür gibt es kaum. Dass der Mutter des Terroristen nur B. und K. als Freunde ihres Sohnes bekannt waren, wirkt für die beiden aber belastend. K. bezeichnete sie sogar als "schlechten Einfluss". Ihr Sohn und K. versuchten 2018 nach Syrien auszureisen, um sich den IS-Terroristen anzuschließen. Die beiden wurden dafür verurteilt. Burak K. soll auch probiert haben, für seinen Freund gefälschte Identitätsdokumente für eine erneute Ausreise zu besorgen.

Recht eng erscheint die Lage für Ishaq F. (22). Der Kindheitsfreund des Attentäters gestand, aus der Zelle heraus für K. F. den Draht zu Waffendealer Adam M. eingefädelt zu haben. Gleichzeitig erzählte er davon, dass K. F. bereits im Gefängnis über einen Terroranschlag fantasiert habe. Der Angeklagte, der bereits zweimal wegen Terrordelikten verurteilt wurde, will das damals aber noch als "Schwachsinn" abgetan haben. (Jan Michael Marchart, 24.1.2023)