Vor ein paar Jahren hat er noch Obst im Supermarkt verpackt, heute ist er der erfolgreichste Popstar der Welt: Bad Bunny.

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Als Amtssprache des Pop galt bisher Englisch. Zwar wird Popmusik in fast allen Sprachen und Dialekten produziert, die globale Oberliga verständigte sich jedoch bislang auf Englisch. Nur selten rutschte ein anderssprachiger Song ganz nach oben, und wenn, wurde er als exotischer Ausreißer wahrgenommen. Sich zu halten, das Crossover in den weißen Mainstreammarkt zu vollziehen, bedeutete meist, sich dem Publikum auf Englisch anzudienen. Diese Zeitrechnung ist vorbei.

Im Vorjahr vollzog Bad Bunny die Wende. Zwar trägt er einen englischen Künstlernamen, der auf ein Kostüm in seiner Kindheit Bezug nimmt, ansonsten macht der Musiker aus Puerto Rico keine Zugeständnisse: keine sprachlichen, keine musikalischen.

Dieser Wandel hat sich angekündigt. Ungenau über einen Kamm geschoren, hat sich die Latin Pop genannte Musik in die erste Reihe gestellt. In Europa wird das nicht so wahrgenommen wie in den USA, doch dort hat der böse Hase die Herrschaft angetreten. Er ist heuer Headliner beim US-Festival Coachella und bei den Grammys im Februar dreimal nominiert.

Rekord um Rekord

Noch 1999 wollten die Grammy-Verantwortlichen einen Ricky Martin in ihrer Show nicht auftreten lassen, weil er auf Spanisch sang. Erst eine Boykottdrohung des damaligen Sony-Music-Chefs Tommy Mottola brachte die Grammys zur Vernunft – und Ricky Martin einen Triumph.

Bad Bunny, Popweltregent aus Puerto Rico.
Bad Bunny

Das Album Un Verano Sin Ti des 28-jährigen, als Benito Antonio Martínez Ocasio geborenen Musikers wurde und wird milliardenfach gestreamt, so wie seine vier Alben davor. Un Verano Sin Ti war 2022 länger als jedes andere Album auf Platz eins der US-Charts. Seine Konzerte in den USA haben laut Billboard 435 Millionen Dollar umgesetzt: ein Rekord. Einer ausverkauften Arena-Tour folgte nur zwei Monate später eine ausverkaufte Stadiontour – das widersprach allen Regeln.

Renitente Clubmusik

Sechs Jahre zuvor hatte Benito noch in einem Supermarkt gearbeitet und nebenbei Musik gemacht: Reggaeton, eine Mischung aus Reggae, Merengue und Hip-Hop, die sich unter Hereinnahme von Electric Dance Music zu einem infizierenden und explosiven Gemisch auswuchs.

Es ist eine in die 1980er, in den Underground von Puerto Rico und Panama zurückreichende Clubmusik mit eher nicht radiotauglichen Texten und einer renitenten Grundhaltung, die sich gegen politische Missstände richtet und Machoklischees zu 110 Prozent entspricht. Lange hat sich dafür niemand interessiert. Der wesentliche Pionier des Fachs war Daddy Yankee, dem 2004 mit dem Album Barrio Fino ein Überraschungserfolg und mit dem Song Gasolina ein internationaler Hit gelang. Plötzlich stand Reggaeton im Spotlight.

Daddy Yankee und Luis Fonsi mit dem Latin-Pop-Türöffner "Despacito".
LuisFonsiVEVO

Mit Bad Bunny multiplizierte sich das alles. Er repräsentiert eine neue Generation, die bereits mit Latinovorbildern in der Popwelt aufwachsen konnte. Einerseits verkörpert er den slicken Latino, andererseits gibt er sich als weltoffener Mann, der sich die Nägel lackiert, wenn ihm danach ist, und der Kleider trägt, die auch Frauen passen würden. Was er mit schwerem spanischem Akzent auf Englisch sagt, geht meist im Gekreisch der Fans unter. Er gilt als ehrgeizig, dabei bescheiden und ironiefähig, was ein Auftritt neben Brad Pitt im Film Bullet Train unterstreicht.

Breiter Trend

Bad Bunny gelang das alles ohne Englischkurs. Hinzu kommt eine von seiner Musik vorgelebte Überwindung von Stilgrenzen. Gab sich Latin Pop bis vor kurzem meist seiner Herkunft verpflichtet, hat sich diese Treue im Zeitalter des Internets und des Streamings verflüchtigt. Bad Bunny springt zwischen Genres hin und her, befruchtet seinen Reggaeton ohne Rücksicht auf akademische Einwände bezüglich allgegenwärtiger kultureller Aneignung. Daneben spielt er Songs, die einen wachsenden, zusehends reflektierenden Künstler zeigen, dessen Musik eine tiefere Bedeutung anvisiert als bloß Partysounds. Und er ist nicht allein.

Neben ihm drängen andere Musikerinnen und Musiker wie die Popsensation Rosalía, der selbst ernannte "Emo Reggaetonero" Rauw Alejandro, ein Haberer von Bad Bunny, oder die mexikanische Songwriterin Carla Morrison ins Rampenlicht. Selbst in der Folklore verwurzelte Bands wie Grupo Firme verkaufen in den USA Millionen Konzertkarten.

Rosalía – Popsensation aus Spanien.
RosaliaVEVO

Diese Verbreiterung des Publikums deutete bereits 2017 der Welterfolg des Partyhits Despacito von Luis Fonsi und Daddy Yankee an. Der Song erhielt damals Unterstützung von einer Version des Lieds mit Justin Bieber. Eine Form der Anerkennung, die den Titel noch bekannter machte.

Mit der nun errungenen Weltherrschaft des Bad Bunny ist derlei Entwicklungshilfe überflüssig geworden – der Hase ist längst selbst ein Role-Model für dutzende andere Acts in den Startlöchern. Signalisiert Bunny auf Social Media Sympathien für einen Act, postet er dort einen Song, dann startet er damit Karrieren. Und bei all dem beschleicht einen das Gefühl, dass er gerade erst begonnen hat. (Karl Fluch, 20.1.2023)