Ons Jabeur aus Tunesien ist die bis dato beste Spielerin Afrikas. Ihr Ehemann ist gleichzeitig ihr Fitnesstrainer.

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Die Erwartungen waren derart utopisch, sie konnten nie und nimmer erfüllt werden. Die herausragende Dokuserie Drive to Survive verschaffte der Formel 1 in der Pandemie einen überwältigenden Aufschwung. Eine ganze Saison wurden Fahrer und Teams mit großem Aufwand von Kameras begleitet, die Königsklasse des Motorsports freut sich bis heute über gestiegene Reichweiten und neue Fans. Die Produktionsfirma Box to Box soll nun dasselbe Kunststück für andere Sportarten darbieten. Man bringe den Spritzwein, quasi. Break Point ist der durchwachsene Versuch, Tennis in Szene zu setzen. Die ersten fünf Folgen sind kürzlich auf Netflix erschienen.

Die Serie verzichtet anders als ihr Vorbild auf perfekte Inszenierung, auf zugespitzte Sticheleien unter Profis – vielleicht auch, weil es sie im Tennis gar nicht gibt. Stattdessen wird das Ungreifbare greifbar: Was denkt ein Spieler im Match? Wie gehen sie mit täglichem Erfolgsdruck um? Break Point ist wörtlich zu verstehen: als Reise zu jenem Punkt, an dem ein Spieler im Kopf vermeintlich zerbricht.

In einer Folge werden jeweils zwei Tennisprofis begleitet. Sie erzählen das, was sie sagen wollen, und ein bisschen mehr. "Dieser Sport ist eine Droge", findet etwa die Spanierin Paula Badosa: "Matches und Titel zu gewinnen macht süchtig." Badosa ist die eindrücklichste Protagonistin der Serie. Sie spricht über Angstzustände auf dem Platz und Depressionen abseits davon. Badosa analysiert gerade eine deftige Niederlage, als ein Betreuer das vermeintlich Unerhörte vorschlägt: eine Berufspause, obwohl Badosa körperlich fit ist. Mental aber ist sie angeschlagen, Badosa muss ihre Psyche abwägen mit dem Aufwand weiterer Turnierteilnahmen.

Frauen sind die Stars der ersten Hälfte der ersten Staffel, weil sie ihre Gedanken schlüssiger aufzeigen als ihre männlichen Kollegen. Alja Tomljanovic aus Australien erklärt, wie plötzlich eine innere Stimme immer lauter wird, wenn es im Match nicht rundläuft, diese Stimme sie regelrecht beschimpft und unaufhaltsam schlechtredet.

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Schwangerschaft und Profisport

Die Tunesierin Ons Jabeur muss mit dem Druck eines ganzen Kontinents umgehen: Sie ist die bis dato erfolgreichste Spielerin aus Afrika, ihren Betreuerstab hat sie ausschließlich aus ihrem Geburtsland rekrutiert. Sie erwähnt das Thema Schwangerschaft und Vereinbarkeit mit der Profikarriere, ihr Fitnesstrainer ist gleichzeitig ihr Ehemann. Ein Kind zu bekommen bedeutet Verzicht: auf Matches, auf mögliche Titel, auf Erfolg.

Maria Sakkari aus Athen, die ihren Körper, so heißt es, zu jenem einer "griechischen Gottheit" formte, ist nach einem Sieg zu Tränen gerührt, weil der Druck von ihr abfällt. Tags darauf verliert sie im Finale, sie erklärt ihre Karriere für beendet und zieht sich auf eine griechische Insel zurück. Fünf Tage später meldet sie sich beim Betreuer: "Wann trainieren wir wieder?"

Angst und Alkohol

Matteo Berrettini aus Rom, der aktuell schönste Profisportler auf Erden, erklärt, wie er nur durch Angst vor einer Niederlage seine beste Form auf dem Court erreicht. Der US-Amerikaner Taylor Fritz deutet Grobheiten seines Vaters an. Das Thema wird nur angekratzt, ebenso wie die Flucht des Tennis-Entertainers Nick Kyrgios in den Alkohol. Dass Kyrgios im Zeitpunkt des Drehs von einer Ex-Freundin der häuslichen Gewalt beschuldigt wurde, kommt nicht vor.

Break Point hat Stärken auf einer emotionalen Ebene. Sehr rasch baut man Mitgefühl mit den Profis auf. Es war nur der Auftakt eines intensiven Jahres für die Macher von Drive to Survive: Im Februar folgen die fünfte Staffel und Full Swing über die Golf-Profitour. Im Sommer gibt es eine Serie zur Tour de France und fünf weitere Folgen Break Point. (Lukas Zahrer, 20.1.2023)