Olaf Scholz sprach vergangenen Sommer von der Zeitenwende, die der Ukraine-Krieg in Verteidigungsfragen ausgelöst habe. Nun, wo der Sinneswandel auch in Panzerfragen in zahlreichen westlichen Hauptstädten tatsächlich eingetreten zu sein scheint, blicken die Ukraine und ihre Unterstützer nach Berlin, oder besser gesagt: nach Ramstein, wo am Freitag die Mitglieder der sogenannten Ukraine-Kontaktgruppe zu ihrem bereits dritten Treffen dieser Art auf dem US-Luftwaffenstützpunkt in Rheinland-Pfalz zusammenkommen. Neben der Bereitstellung von Artillerie, Munition und weiterem Gerät wird es vor allem auch um die Lieferung von Kampfpanzern gehen. Und damit um die Frage, inwiefern die Zeitenwende auch im Mindset des sozialdemokratischen deutschen Bundeskanzlers, des Chefs der größten europäischen Wirtschaftsmacht, angekommen ist. Auf den am Donnerstag frisch angelobten deutschen Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) wartet jedenfalls viel Arbeit.

Straßenumfrage in Berlin zu Panzerlieferungen: "Man sollte die Ukraine unterstützen"
DER STANDARD



Frage: Ist die Lieferung von Kampfpanzern an die Ukraine bereits beschlossene Sache?

Antwort: Die Ukraine wird demnächst mit westlichen Kampfpanzern versorgt werden. So viel steht spätestens seit der britischen Ankündigung zur Freigabe von 14 Challenger-Kampfpanzern durch Premier Rishi Sunak vergangene Woche schon fest. Nicht ganz unbewusst hat er damit den Druck auf Scholz erhöht – hatte dieser doch seit geraumer Zeit davon gesprochen, keinen Alleingang in Sachen Kampfpanzerlieferung machen zu wollen. Am Donnerstag reiste zudem der britische Verteidigungsminister Ben Wallace ins Baltikum, um mit den dortigen Amtskollegen eine gemeinsame Argumentationslinie zu finden. Nachdem am Donnerstag auch noch bekannt wurde, dass es in Frankreich ernsthafte Überlegungen gibt, französische Leclerc-Kampfpanzer zur Verfügung stellen, dürfte der Druck auf Scholz groß sein, zumindest die Weitergabe deutscher Panzer durch Polen oder Finnland zu erlauben, wenn nicht mehr.

Illustration: Michaela Köck, Foto: AFP / Patrik Stollartz

Frage: Was, wenn Scholz die Freigabe zur Weitergabe von Panzern deutscher Bauart nicht erteilt?

Antwort: Dann könnte es diplomatisch durchaus heikel werden. Der polnische Ministerpräsident Mateusz Morawiecki hatte angesichts der schwierigen Lage in Bachmut und Soledar gesagt, dass man sich nicht länger von Bürokratie aufhalten lassen dürfe und werde. "Jetzt oder nie", so Morawiecki, der seit einigen Wochen probiert, weltweit Partner dazu zu animieren, einige ihrer stärksten Kampfpanzer an die Ukraine abzutreten. Der polnische Geduldsfaden scheint mittlerweile aber ohnehin gerissen. Laut Morawiecki sei das deutsche Ja mittlerweile zweitrangig. Gebe es keine zeitnahe Erlaubnis, so werde man tun, was man für moralisch richtig halte.

Illustration: Michaela Köck; Foto: imago images

Frage: Wie reagiert der mächtigste Nato-Partner und größte Waffenlieferant, die USA?

Antwort: Bevor US-Verteidigungsminister Llyod Austin am Freitag ebenfalls in Ramstein eintrifft, traf er am Donnerstag noch Pistorius in Berlin. "Schulter an Schulter" stehe man, versicherten die Ressortchefs, von einer Einigung war aber noch keine Rede. Vielleicht wollte man aber nur nicht dem Gipfeltreffen vorgreifen. Wenngleich die USA auch weiter skeptisch bezüglich Abrams-Panzern bleiben und sich an der Scholz-Forderung (Leopard nur, wenn Abrams auch geliefert werden) stoßen, so sickerte im Vorfeld doch durch, dass die Lieferung von rund 100 Radschützenpanzern des Typs Stryker ein Kompromiss sein könnte. Sie erfüllen auf dem Gefechtsfeld eine andere Rolle als Kampfpanzer, sind leichter, mobiler, aber weniger gut geschützt und angriffsschwächer.

Frage: Könnte die Kampfpanzerlieferung, wie manche sagen, kriegsentscheidend sein?

Antwort: Westliche Kampfpanzer werden den Krieg nicht sofort für die ukrainische Seite entscheiden, sehr wohl aber ihre Verteidigungsfähigkeit immens erhöhen und auch Gegenoffensiven ermöglichen. Wirklich effektiv sind sie im Verbund mit Schützenpanzern wie dem deutschen Marder oder dem US-amerikanischen Bradley und auch Spähpanzern wie dem französischen AMX-10 RC. Lieferzusagen für Späh- und Schützenpanzer gibt es bereits.

Foto: Illustration: Michaela Köck; Foto: AFP/Thomas Samson

Frage: Bis wann müssten die Panzer ankommen, um einen Unterschied zu machen?

Antwort: Militärexperten sagen, dass man mit der Entscheidung zur Lieferung schon äußerst spät dran sei und dass diese nun umso schneller umgesetzt werden müsse, um einer möglichen großen Frühlingsoffensive der Russen etwas entgegenzusetzen. Abgegebene Panzer knabbern freilich an der eigenen Verteidigungsfähigkeit. Grundsätzlich sind aber aktuell verschiedenste Panzer in den jeweiligen Armeen verfügbar und einsetzbar. Sie abzugeben ist eine politische Entscheidung. Dem Stern sagte der frühere Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen, dass Deutschland am Ende eh stets das Richtige tue. "Aber immer erst auf Drängen und Druck aller anderen Verbündeten." Das verleiht Berlin dieses "sehr defensive Image."

Illustration: Michaela Köck; Foto: imago images

Frage: Würden die Ukrainer mit dem neuen Gerät umgehen können?

Antwort: Die USA lehnen die Lieferung ihrer Abrams-Panzer auch mit dem Verweis auf die komplexe, teure Handhabung ab. Auch die verschiedenen Leopard-2-Modelle unterscheiden sich teils erheblich. Um die Einschulung, vor allem aber die Interoperabilität, die Reparatur und die Beschaffung von Ersatzteilen zu vereinfachen, raten manche Rüstungsexperten etwa dazu, vorab auf eine abgespeckte, vor allem aber einheitliche "Ukraine-Variante" des Leopard 2 umzurüsten. Dafür könnte sich besonders die ältere A4-Variante eignen. Je einheitlicher die gelieferten Panzer sind, desto leichter wird es logistisch für die Ukraine. (Fabian Sommavilla, Peter Zellinger, 19.1.2023)