Immer öfter hängen Landärzte oder Landärztinnen den Beruf an den Nagel – ohne eine Nachfolge zu haben.

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Oft wird über die Pensionierungswelle gesprochen, die im Gesundheitssystem einen Teil der Versorgungsengpässe mitverursacht. Wie sich diese auswirkt, davon wissen die 4100 Einwohner der Gemeinde Scheibbs im Mostviertel ein Lied zu singen. Denn im Jahr 2021 sind dort zwei von drei Kassenärzten in Pension gegangen – eine Nachfolge fehlt bis heute. Insgesamt sind in Niederösterreich 29 Kassenstellen für Allgemeinmediziner vakant. Die Zahl der leerstehenden Praxen hat sich damit seit Ende 2017 fast verfünffacht. Weiters fehlen 24 Fachärztinnen, vor allem der Kinderheilkunde, Dermatologie und Frauenheilkunde.

Dass es immer schwieriger wird, Landärztinnen und Landärzte zu finden, bewegt die Bevölkerung – und die Parteien in Niederösterreich vor der Wahl am 29. Jänner. Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP) präsentierte dann auch vor Weihnachten die "blau-gelbe Gesundheitsoffensive" für den niedergelassenen Bereich. Dabei betonte sie, dass 96 Prozent der Kassenstellen ja besetzt seien und es ein dichtes Gesundheits-und Versorgungsnetz gebe. Jede offene Stelle sei aber eine zu viel.

Vertretung ohne Risiko

Kern der "Offensive" ist, dass Medizinerinnen und Mediziner, die bisher nur Angestellte oder bereits in Pension waren, als Vertretung zum Beispiel einige Stunden pro Woche in eine bestehende Praxis in eine Gemeinde mit vakanter Kassenstelle kommen können. Dabei sollen sie kein unternehmerisches Risiko tragen. So soll vorübergehend dringender Versorgungsbedarf gedeckt werden können. Der Scheibbser Bürgermeister Franz Aigner (ÖVP) kündigt an, er wolle sich da auch um Unterstützung bemühen.

Blickt man über die Scheibbser Gemeindegrenze, stellt sich die Versorgungslage etwas weniger dramatisch dar. So steht im keine elf Minuten Zugfahrt entfernten Purgstall an der Erlauf ein Primärversorgungszentrum. Es beteiligt sich am Wochenenddienstrad, hat wochentags von sieben bis 19 Uhr geöffnet und beschäftigt vier Ärzte und zwei Ärztinnen, Pflegepersonal sowie verschiedene Therapeutinnen und Therapeuten. Dort werden weit mehr Menschen versorgt als in einer Einzelpraxis.

Sechs Primärversorgungszentren

Ein Primärversorgungszentrum (PVZ) im Nachbarort zu haben ist in Niederösterreich aber nur wenigen Orten vergönnt: Bisher existieren dort gerade einmal sechs Primärversorgungseinheiten, 2023 sollen drei weitere folgen, Nummer zehn 2024. Der Ausbau ist in ganz Österreich weit hinter dem Plan. Niederösterreich liegt im Mittelfeld. Während andere Bundesländer wie etwa Tirol noch kein PVZ haben, haben Wien und die Steiermark zehn.

Sämtliche politische Mitbewerber der ÖVP fordern vehement, mehr gegen den Landarztmangel zu tun. Das Thema ist im Wahlkampf präsenter als jenes der Personalengpässe an Spitälern, die in Wien in den vergangenen Wochen für viel Aufruhr sorgten. Die FPÖ wirft mit Blick auf die fehlenden Kassenärztinnen und Kassenärzte der ÖVP vor, sie habe die Mehr-Klassen-Medizin gefördert. Die Roten wollen zum Beispiel den von den Ländern finanzierten Gemeindearzt wiedereingeführt sehen. Die Neos fordern unter anderem den Abbau der Bürokratie für die Ärztinnen und Ärzte, und die Grünen wollen "attraktive neue Kassenverträge".

Landarztgarantie floppte

Ein vor fünf Jahren präsentierter Lösungsversuch für das wachsende Problem, den Mikl-Leitner damals als "Landarztgarantie" verkaufte, ist allerdings gefloppt: Der Plan war, dass Ärzte aus Spitälern in Kassenpraxen aushelfen. Nur in zwei Fällen kam es kurzfristig dazu. Für die Neos ein Fall von "Placebo-Politik", für die FPÖ ein Vertrauensbruch.

Bürgermeister Aigner meint, dass einiges im Umbruch ist: "Es wird in Zukunft nur mehr in jeder fünften, sechsten Gemeinde einen Arzt geben." Trotzdem tue Scheibbs einiges, um zumindest eine der vakanten Stellen wieder zu besetzen: Die Gemeinde zahle interimistisch die Miete für voll möblierte Räumlichkeiten, bis ein ukrainischer Arzt, auf dem nun alle Hoffnungen ruhen, die Nostrifizierungsprüfungen absolviert hat. Aigner hofft, dass es spätestens Mitte 2024 so weit sein wird.

Noch einige Jahre länger wird es dauern, bis erste Medizinstudierende den Abschluss machen, die dann eine Zeitlang als Ärztin oder Arzt auf Kasse tätig sein müssen. Das entsprechende "Landarzt-Stipendium" vergibt das Land erst seit dem aktuellen Studienjahr.(Gudrun Springer, 20.1.2023)