ORF-General Roland Weißmann hantiert mit einer explosiven Mischung: GIS, Finanzlücke, neue Chefredaktionen und Ressortchefs.

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Wien – Der ORF bereitet eine neue Führung für die größte, reichweitenstärkste Info-Redaktion des Landes vor, während der öffentlich-rechtliche Riese gerade mit der Druck aufbauenden Kanzlerpartei ÖVP über seine künftige GIS-Finanzierung und dreistellige Millionen-Finanzlücken verhandelt. ORF-Generaldirektor Roland Weißmann operiert hier mit Stoffen, deren Verbindung brandgefährliche Wirkung entfalten kann für die laut Verfassung zentrale Aufgabe des ORF: unabhängige Information.

Die Komponenten dieser hochexplosiven Mischung:

1. Neue Info-Führung: Die 2022 im neuen Newsroom zusammengesetzten ORF-Redaktionen von TV, Radio, Online und Social Media sollen eine neue, gemeinsame Führungsstruktur samt neuer Besetzung bekommen. Der TV-Chefredakteur Matthias Schrom trat im Herbst nach der Chataffäre zurück, der von Multimedialität nicht merkbar begeisterte Radio-Chefredakteur Hannes Aigelsreiter mit guter Gesprächsbasis zu ÖVP-Kommunikationschef Gerald Fleischmann wird voraussichtlich zum ORF-Sportchef wegbefördert. In Diskussion für die neue Führung ist nach STANDARD-Infos – unter anderen Modellen – ein zentraler "Herausgeber" für den Newsroom mit Personal- und Finanzhoheit, angesiedelt über Sendungs- und Ressortchefs. Das Modell erinnert ein wenig an den Umbau des "Profil" im Raiffeisen-Konzern, wo Richard Grasl gerade als Geschäftsführer der Redaktionsgesellschaft Finanz- und Personalhoheit übernimmt.

2. Neue GIS: Bis Jahresende muss die Regierung eine neue öffentliche Finanzierung für den ORF umsetzen. Der Verfassungsgerichtshof hat das aktuelle Gebührenmodell aufgehoben, weil es Streamingnutzung von der GIS-Pflicht – verfassungswidrig – ausnimmt. Zur Diskussion stehen eine um streamingtaugliche Geräte erweiterte GIS, eine Haushaltsabgabe für alle, unabhängig von Geräten, aber ebenfalls mit Befreiungen für Einkommmensschwache, sowie eine Budgetfinanzierung. Für das neue Modell braucht der ORF jedenfalls die Regierungsmehrheit, für einzelne Konstruktionen potenziell eine Zweidrittelmehrheit.

3. Budgetloch: Die GIS bringt dem ORF derzeit – für 2023 geplant – 676 Millionen Euro pro Jahr. Ab 2024 drohen laut ORF-Prognose mit dieser Finanzierung Verluste von 70 Millionen, die sich bis 2026 auf 130 Millionen Euro auswachsen könnten. Das aktuelle Angebot des ORF lasse sich damit nicht mehr finanzieren, warnte ORF-Chef Weißmann. Medienministerin Susanne Raab (ÖVP) verlangte zuletzt breitenwirksam via "Krone" vom ORF Einsparungen an "Strukturen". Der ORF arbeitet intern längst an Sparszenarien, die üblicherweise kurzfristig etwa die Produktionsbranche, Kunst und Kultur sowie Sport treffen. Ohne Änderung des Gesetzesauftrags kürzbar sind etwa das ORF-Symphonieorchester RSO, ORF 3, ORF Sport Plus, ORF.at.

4. Angriffiger Kanzler, grantige ÖVP: Die ÖVP vom Bundeskanzler abwärts zeigt wenig Verständnis oder gar Sympathie für einen ORF, dessen Alleingeschäftsführer sie erst 2021 mit ihrem Wunschkandidaten mit ÖVP-Mehrheit im ORF-Stiftungsrat durchgesetzt hat. Was er von kritischem ORF-Journalismus hält, zeigte Kanzler Karl Nehammer gerade überdeutlich mit seinem angriffigen Auftritt bei Martin Thür in der "ZiB 2". Der ÖVP-Chef legte das Interview als "Boxkampf" an. Vorwürfe von Mitarbeitern über ständige Einflussnahmen zugunsten der ÖVP im ORF Niederösterreich belasten dort den Wahlkampf von Landeshauptfrau Johanna Mikl-Leitner (ÖVP).

5. Infodirektor Weißmann: Weißmann verhandelt mit der Regierung als Alleingeschäftsführer über die künftige Finanzierung des ORF bei massiven Finanzierungslücken. Weißmann übernahm von seinem Vorgänger Alexander Wrabetz dessen Führungsstruktur: Der ORF-Generaldirektor ist zugleich ressortzuständig in der ORF-Führung für die Information, auf einen Informationsdirektor oder eine Informationsdirektorin verzichtet auch Weißmann.

Das erhöht zumindest potenziell die Erwartungen der Politik auf entgegenkommenden Einfluss auf die ORF-Information – dem allerdings inhaltlich Redaktionsstatut und Programmrichtlinien entgegenwirken. Aber: Der ORF-Chef entscheidet über die Besetzung aller Jobs und vor allem Führungsjobs unterhalb der Direktion alleine. Einen Newsroom- "Herausgeber" würde er bestellen, ebenso Chefredakteurinnen oder Chefredakteure; ein Infodirektor bräuchte eine Mehrheit im Stiftungsrat.

Die große Newsmaschine: "ZiB", "Journale" und Ö3-Info bis ORF.at

In dieser schwierigen Gemengelage berät die ORF-Information gerade die Perspektiven für ihre künftige Führung jenes Newsrooms, die Österreichs weitaus reichweitenstärkste TV-News "ZiB" und "ZiB 2", die bestimmenden Radio-News von Ö1-Journalen bis Ö3-Information bis zum zugriffsstärksten Nachrichtenportal bestückt. Ein zentraler Newsdesk bestimmt Breaking News und Social-Media-News des ORF.

Als Prämisse für die künftige Führung wird weiterhin ausgegeben: kein zentraler Chefredakteur und auch keine zentrale Chefredakteurin. Über Jahre hat etwa auch der Fraktionssprecher der ÖVP-nahen Mehrheit im ORF-Stiftungsrat – Thomas Zach – das Mantra der Vielfalt im vereinten Newsroom und seiner Führung öffentlich betont, er sprach sich vielfach gegen einen zentralen Chefredakteur aus.

Modell: Herausgeber

Aber: Unter den intern diskutierten Modellen findet sich nach STANDARD-Informationen das eines zentralen "Herausgebers" über Sendungs- und Ressortchefs, der oder die als Hauptabteilungsleiter das Budget des Newsrooms verantwortet und auch für das Personal und Organisation zuständig ist. In der Information wird dieses Modell als Variante mit den besten Aussichten auf Vielfalt diskutiert. Keine Chefredaktion könnte aber die Koordination kompliziert machen.

Die Idee eines Herausgebers war bei einer Klausur der ORF-Information zur künftigen Führung am vergangenen Montag eines der diskutierten Führungsmodelle für den multimedialen Newsroom.

Ein weiteres Modell sieht doch nur einen Chefredakteur oder eine Chefredakteurin vor mit zwei Vizes, zuständig einerseits für den zentralen Newsdesk, andererseits für Inhalte und Ressorts. Das Modell soll bei der Klausur nicht weiterverfolgt worden sein.

Als weitere Möglichkeit werden zwei oder doch weiterhin drei Chefredakteure oder Chefredakteurinnen ventiliert.

Zwei Chefredakteure könnten sich ihre Zuständigkeiten aufteilen in einerseits Inhalte und Ressorts, andererseits für Sendungen und Plattformen. Klingt kompliziert, ist es vielleicht auch, deckt sich aber mit der Praxis im Newsroom: In der ORF-Information gibt es mehrere Führungsstrukturen parallel: Einerseits Inhalte liefernde Ressorts mit Ressortchefs, die seit 2022 multimedial arbeiten sollen, andererseits (teils) ebenfalls spezielle Inhalte erstellende Sendungsteams mit Sendungschefs und Redaktionsleitungen mit Teams für Plattformen wie ORF.at.

Ebenfalls im Menü der Möglichkeiten: weiterhin drei Chefredakteure – aber nicht wie bisher für TV oder Radio oder Online. Sie könnten sich die Zuständigkeit aufteilen in wiederum Content und Ressorts, Sendungen und Plattformen sowie Newsdesk.

Alle Führungsfunktionen zu besetzen

In der überaus explosiven medienpolitischen und wirtschaftlichen Großwetter- und Erwartungslage sind in allen diskutierten Modellen in den nächsten Monaten die Führungsjobs im Newsroom auszuschreiben: die neue Chefredaktion oder auch die neue Rolle eines zentralen Herausgebers.

Zudem schiebt der ORF-Chef noch die Ausschreibung der multimedialen Ressortleitungen vor sich her, spätestens seit Schroms Rücktritt im November vertagt auf nach der Besetzung der Chefredaktion.

Als mögliche Kandidaten wurden intern schon länger etwa gehandelt: Matthias Westhoff (Innenpolitik, Ressortchef Hans Bürger sorgte im September 2022 mit Aussagen bei einer Veranstaltung in Bregenz für Diskussionen), Hartmut Fiedler (Außenpolitik), Claudia Lahnsteiner (Chronik) und Barbara Battisti (Wirtschaft).

Battisti sieht sich gerade mit einer Beschwerde einer Redakteurin bei internen Kontrollinstanzen konfrontiert, die ihr den Versuch der Einflussnahme auf ein Ministerinterview vorwirft. Der Beitrag der Redakteurin soll – entgegen Wünschen der Ressortleiterin – in der "ZiB" gelaufen sein, die Redakteurin berichtet von folgender Benachteiligung bei der Dienstplanung. Battisti weist diese Vorwürfe auf STANDARD-Anfrage zurück.

Deadline für neue GIS

Weißmann muss seinen Stiftungsräten in einem Monat, am 20. Februar, seine Sparvorhaben vorlegen und über den Stand der Regierungsverhandlungen über ein neues Finanzierungsmodell für den ORF berichten.

Verhandelt wird unter massivem Zeitdruck: Um ein neues Gebührenmodell bis Jahresende umzusetzen, braucht der ORF-Chef nach eigenen Angaben eine Entscheidung der Politik im März. Das sind noch zehn Wochen. (Harald Fidler, 20.1.2023)